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Die Klägerin erlitt während einer Aufführung schwere Verbrennungen mit Langzeitfolgen und einer andauernden posttraumatischen Belastungsstörung. Ein Jahr später schlossen die Parteien eine Vereinbarung, wonach gegen eine Bezahlung von Fr. 100 000 nicht nur die erlittene immaterielle Unbill, sondern auch der Schadenersatz im Zusammenhang mit dem Unfallhergang abgegolten sein sollte. Nach Jahren, aber noch während des bestehenden Arbeitsverhältnisses, stellte die Klägerin weitere Forderungen.

Aus dem Entscheid: Die Klägerin macht geltend, die Beklagte habe ihre Fürsorgepflicht nach Art. 328 Abs. 2 OR verletzt, indem sie elementarste Vorsichtsmassnahmen zulasten der Klägerin missachtet habe und nicht die notwendigen Massnahmen zum Schutz von Leben, Gesundheit und persönlicher Integrität der Arbeit­nehmerin ergriffen habe. Wenn die Beklagte durch Verletzung dieser teilzwingenden Bestimmung einen Schaden herbeigeführt habe, könne sie sich nicht durch einen Saldo-Vergleich ihrer Verantwortung entziehen, denn ein solcher Vergleich verstosse gegen das Verzichtsverbot von Art. 341 OR, zumal inhaltlich ein Ungleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung vorliege. Während der Dauer des Arbeitsverhältnisses und eines Monats nach dessen Beendigung kann der Arbeitnehmer auf Forderungen, die sich aus unabdingbaren Vorschriften des Gesetzes oder aus unabdingbaren Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrags ergeben, nicht verzichten (Art. 341 OR). Die Gültigkeit eines Vergleichs über Forderungen aus zwingenden gesetzlichen Bestimmungen hängt von einer angemessenen Gleichwertigkeit der gegenseitigen Zugeständnisse ab (BGE 136 III 467 E. 4.5). Art. 328 OR ist in Art. 362 OR aufgeführt, womit es sich um eine teilzwingende Gesetzesbestimmung handelt. Demnach kann durch Abrede, Normalarbeitsvertrag oder GAV nicht zugunsten der Arbeitnehmerin von Art. 328 OR abgewichen werden (Art. 362 Abs. 1 OR).

Von Art. 362 OR ist aber nur die Fürsorgepflicht im engeren Sinn erfasst: Die Parteien können zwar über Art. 328 OR hinaus Schutzvorkehrungen zugunsten der Arbeitnehmerin vereinbaren, sie können aber die in Art. 328 OR vorgesehenen Schutzpflichten nicht zu Ungunsten der Arbeitnehmerin abschwächen. Dementsprechend würde auch ein (genereller) Haftungsverzicht der Arbeitnehmerin im Voraus an einem Nichtigkeitsmangel leiden, weil ein derartiger Haftungsverzicht den Arbeitgeber gleichzeitig von den in ­ Art. 328 OR vorgesehenen Schutzvorkehrungen befreien würde. Art. 362 OR erfasst dagegen nicht auch Sekundäransprüche, wie etwa Schadenersatzforderungen, die sich aus der Verletzung von Art. 328 OR ergeben. Unter Berufung auf Art. 341 OR nicht anfechtbar sind überdies Vergleiche, mit denen ein streitiges oder unsicheres Rechtsverhältnis bereinigt wird und bei denen eindeutig beide Seiten Konzessionen gemacht haben. Mit dem Vergleich vom 30. Mai 2001 wurde die Abgeltung konkreter Schadenersatzansprüche der Klägerin gegen die Beklagte nachträglich (d.h. nach Eintritt des Ereignisses, dem allenfalls eine Schutzpflichtverletzung zugrunde liegt) einvernehmlich geregelt. Auf solche Vereinbarungen ist Art. 341 OR nicht anwendbar. Insofern ist es irrelevant, ob der Vergleich eine angemessene Gleichwertigkeit der gegenseitigen Zugeständnisse gewährleistet. Immerhin wäre es fraglich, ob die Vereinbarung als unangemessen bezeichnet werden könnte, wurden der Klägerin doch im Zusammenhang mit dem Unfallereignis nicht nur CHF 100 000.– bezahlt, sondern auch eine Reihe anderer Leistungen von der Beklagten erbracht (Anwaltskosten in der Höhe von CHF 28 759.–, Ausbildungskosten, vorteilhafte Arbeitsvertrags­anpassungen, Überweisung von zusätzlichen ­CHF 30 000.– an die Klägerin).

Eventualiter beruft sich die Klägerin auf einen Grundlagenirrtum nach Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR, weil die Parteien im Zeitraum bis Ende Mai 2001 nicht vom Eintritt einer andauernden posttraumatischen Belastungsstörung ausgegangen seien. Im Zeitpunkt des Vertragsschlusses unvorhergesehene Schäden könnten selbst bei Vorliegen einer Saldoklausel später erneut geltend gemacht werden (mit Hinweis auf ein Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 30. August 2012). Gemäss Bundesgericht verhindert eine fehlerhafte Willensbildung nicht den Konsens, sondern gibt der davon betroffenen Partei allenfalls ein Recht, den Vertrag anzufechten. Umgekehrt setzt diese Anfechtung notwendigerweise einen Konsens voraus. Wirksamer Dissens und Willensmangel schlies­sen sich gegenseitig aus (BGE 129 III 320 E. 6.2.). Wer sich auf einen wesentlichen Irrtum beruft, muss den Irrtum, seine Wesentlichkeit sowie die Kausalität zwischen Irrtum und Erklärung beweisen. Bei einem Grundlagenirrtum ist zunächst eine falsche Vorstellung erforderlich, die notwendigerweise beiden Parteien bewusst oder unbewusst gemeinsam und bei objektiver Betrachtung eine unerlässliche Voraussetzung für den Abschluss des Vertrags gewesen ist (BGE 113 II 25 E. 1). Die Anfechtung eines Vergleichs wegen Grundlagenirrtums ist nur dann möglich, wenn der Irrtum einen Sachverhalt betrifft, der von beiden Parteien oder von einer – für die andere Partei erkennbar – dem Vergleich als feststehende Tatsache zugrunde gelegt worden ist. Das Bundesgericht verlangt für die Bejahung eines Grundlagenirrtums über einen zukünftigen Sachverhalt zudem, dass auch die Gegenpartei nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr hätte erkennen müssen, dass die Sicherheit des Eintritts des zukünftigen Ereignisses für die andere Partei Vertragsvoraussetzung war (BGer. Urteil 4C.34/2000 vom 24. April 2011, E. 3c/bb). Der beachtliche Irrtum darf nicht einen Punkt betreffen, der gerade verglichen und nach dem Willen der Parteien dadurch endgültig geregelt werden sollte (sog. caput controversum). Diesfalls ist die Irrtumsanfechtung ausgeschlossen (BGE 130 III 49 E. 1.2).

Anhand der zahlreichen medizinischen Unterlagen kann davon ausgegangen werden, dass der physische und psychische Heilungsverlauf bereits im Zeitpunkt der Unterzeichnung des Vergleichs vom 30. Mai 2001 ungewiss war und sich die Parteien dessen auch bewusst waren. Dass sich zwischenzeitlich ein Therapieerfolg einstellte, ändert nichts an der Tatsache, dass sich die posttraumatische Belastungsstörung seit dem Unfallereignis entwickelte. Die Klägerin konnte sich aufgrund der verschiedenen Diagnosen gar nicht über die psychischen Implikationen und die unabsehbare Dauer des Genesungsprozesses irren. Zudem sollte mit der Vereinbarung gerade auch der Ungewissheit des zukünftigen Genesungsprozesses begegnet werden. Bei dem von der Klägerin vorgebrachten Irrtum handelt es sich gerade um den Gegenstand der Vereinbarung, weshalb es ihr auch nicht gelingt, einen wesentlichen Irrtum im Sinne von Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR darzutun.

Mangels Vorliegens eines wesentlichen Grundlagenirrtums erübrigen sich weitere Ausführungen zur Wahrung der Verwirkungsfrist, zu einem allfälligen Selbstverschulden der Klägerin oder zur Frage, ob die Berufung auf Irrtum gegen Treu und Glauben verstosse.

Dass die Parteien im Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit dem ungewissen und langwierigen Krankheitsverlauf der Klägerin rechnen mussten und dies ausdrücklich in der Vereinbarung festhielten, verhindert auch eine Anwendung der clausula rebus sic stantibus. Es entspricht gerade dem Wesen des vorliegenden Vergleichs, eine Rechtsunsicherheit und Ungewissheit zu beseitigen. Insofern mangelt es bereits am Vorliegen neuer, veränderter Verhältnisse und an deren Unvorhersehbarkeit. Die Voraussetzung für eine richterliche Anpassung des Vertrags an unveränderte Umstände ist somit nicht gegeben.

Die Vereinbarung ist verbindlich als solche per Saldo aller Ansprüche in Bezug auf Schadenersatz und Genugtuung gegenüber der Beklagten zustande gekommen und inhaltlich zulässig. Die von der Klägerin erhobene Forderung erweist sich deshalb als unbegründet.

Art. 328 und Art. 341 OR

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(ArbGer. ZH, 20.08.13 {AH120194} / Obergericht ZH, 2.12.13 {LA130029} / BGer., 7.04.14 {4A_25/2014}, Entscheide des Arbeitsgerichts Zürich 2013, S. 11)

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