Zusammenfassung und Kommentar eines Entscheids der Standeskommission vom 2. Dezember 2010
Die Standeskommission veröffentlicht regelmässig Zusammenfassungen ihrer Entscheide, um damit ihre Tätigkeit besser bekannt zu machen und für Mitglieder von TREUHAND|SUISSE und deren Kunden sicherzustellen, dass Klagen seriös geprüft werden. Die vorliegende Angelegenheit betrifft einen Finanzintermediär und weist mehrere Besonderheiten auf: Ausser der Tatsache, dass die Akten Dokumente in drei Sprachen (Deutsch, Französisch und Englisch) enthielten, haben auch weitere Klagen zur Verletzung von Standesregeln im Verlauf des Verfahrens diesem eine neue Dimension verliehen. So hat die Kommission entschieden, die Klagen zusammenzulegen, und dem Betroffenen eine letzte Gelegenheit zur Äusserung gewährt. Ungeachtet eines anschliessenden Rückzugs der Klagen hat die Standeskommission beschlossen, wegen der Schwere der Verletzung der Standesregeln das Verfahren von Amtes wegen weiterzuführen. Sie hat jedoch bei der Zumessung der verhängten Strafe diese Rückzüge berücksichtigt.
Über mehrere Monate hinweg gelangten auf verschiedenen Kanälen (direkt oder über den Vorstand der Sektion des belangten Mitglieds) mehrere Klagen an die Standeskommission, welche allesamt einen ähnlichen Inhalt aufwiesen: Die Finanzintermediär AG verweigerte die Übermittlung der Dokumentation im Zusammenhang mit Gesellschaften, die beschlossen hatten, den Beauftragten zu wechseln, so lange, bis eine «Exit Fee» ordentlich bezahlt wurde oder frühere Rechnungen beglichen wurden. In einem Falle erfolgte schliesslich die Übermittlung der Dossiers nach der (zuerst fruchtlosen) Intervention eines Stadtammanns, während in anderen Fällen die Sache offenbar durch Rückzug der Klage seitens der Betroffenen ihren Abschluss fand. In ihren Stellungnahmen beschuldigten sowohl die Kläger als auch die Finanzintermediär AG die jeweils andere Partei eines Mangels an Professionalität.
Die Finanzintermediär AG ist Mitglied einer Sektion von TREUHAND|SUISSE und deswegen dazu angehalten, den Standesregeln des Verbands nachzukommen. Gemäss dem Reglement über das Vorgehen in Fragen der Standesregeln befindet die Standeskommission über Widerhandlungen gegen die Standesregeln.
Am 17. September 2010 beschloss die Kommission, drei Klagen, die sieben Gesellschaften betrafen und die Voraussetzungen von Art. 7 Abs. 11 des vorgenannten Reglements erfüllten, zusammenzulegen und der Finanzintermediär AG eine letzte Gelegenheit zur Äusserung zu gewähren. Am 2. Dezember 2010 gab sie gemäss Art. 11 Abs. 12 des Reglements aufgrund der Akten ihr Urteil ab.
Vorab ist in Erinnerung zu rufen, dass sich die Mitglieder von TREUHAND|SUISSE dazu verpflichten, die von TREUHAND|SUISSE verabschiedeten oder anerkannten Grundsätze und Regeln in den verschiedenen Bereichen ihrer Tätigkeit anzuwenden (Art. 3 Abs. 23 der Standesregeln).
Der Finanzintermediär AG wurde in allen Klagen der Vorwurf gemacht, sie habe es trotz ausdrücklichen Ersuchens der Kunden oder deren Vertreter bei Beendigung des Auftrags unterlassen, die Unterlagen zurückzugeben, und die Herausgabe der Dokumente an die Bezahlung von Gebühren oder Honoraren geknüpft. Art. 7 Abs. 1 der Standesregeln von TREUHAND|SUISSE sieht vor, dass «das Mitglied von TREUHAND|SUISSE ohne Verzug Rechenschaft über die Behandlung der Geschäfte, mit denen es beauftragt wurde, erstattet» und dass «die Orientierung unaufgefordert zu erfolgen hat, wenn Art und Inhalt des erteilten Auftrages dies erfordern». Art. 7 Abs. 44 der Standesregeln verlangt zudem, dass das Mitglied von TREUHAND|SUISSE nach Abschluss des Auftrages oder auf Begehren des Auftraggebers alle Dokumente an den Berechtigten weiterleitet.
Die verschiedenen Klagen legen dar, dass die Finanzintermediär AG die Herausgabe der Dokumente an eine Gebühr knüpfen wollte und dass sie der Aufforderung nicht nachkam, auch dann nicht, als die Standeskommission bereits mit der Sache befasst war. Dieses sich wiederholende Verhalten stellt eine schwerwiegende Verletzung der Standesregeln von TREUHAND|SUISSE dar.
Das Verhalten der Finanzintermediär AG bildet ebenfalls eine schwerwiegende Verletzung der in Art. 3 der Standesregeln von TREUHAND|SUISSE vorgesehenen Wohlverhaltenspflicht, wonach das Mitglied von TREUHAND|SUISSE sich dazu verpflichtet, seinen Beruf gewissenhaft und einwandfrei auf der Basis des Gesetzes und der Grundsätze von Treu und Glauben auszuüben. Durch sein untadeliges Verhalten macht es sich des Vertrauens würdig, welches ihm als Mitglied von TREUHAND|SUISSE entgegengebracht wird. Dieses Vertrauen wurde vorliegend verletzt.
Nachdem die Standeskommission am 28. September 2010 mitgeteilt hatte, die drei Klagen zusammenzulegen, um nur einen Entscheid fällen zu müssen, wurden die drei Klagen am 14. und am 15. Oktober 2010 zurückgezogen. Angesichts der Schwere der Verletzung der Standesregeln beschloss die Kommission jedoch, das Verfahren von Amtes wegen weiterzuführen, wie es Art. 8 Abs. 45 des Reglements von TREUHAND|SUISSE über das Vorgehen in Fragen der Standesregeln erlaubt.
Eine schwerwiegende Verletzung der Standesregeln kann den Ausschluss aus TREUHAND|SUISSE zur Folge haben. Im vorliegenden Fall verzichtete die Standeskommission – in Anbetracht der im Oktober 2010 erfolgten Klagerückzüge und der daraus abzuleitenden Tatsache, dass die Finanzintermediär AG eine gütliche Einigung mit den Klägern erzielen konnte – auf den Ausschluss und erhob eine relativ bescheidene Busse in Höhe von CHF 3000. Die Kosten wurden selbstredend der Finanzintermediär AG auferlegt.
Bestimmte Finanzintermediäre haben sich einer Sektion von TREUHAND|SUISSE zum alleinigen Zweck angeschlossen, Mitglieder seiner SRO (Selbstregulierungsorganisation im Bereich der Geldwäscherei) werden zu können. Wir benutzen hiermit die Gelegenheit, um in Erinnerung zu rufen, dass die Standesregeln ohne Ausnahme auf sämtliche Mitglieder von TREUHAND|SUISSE anwendbar sind.
Die Finanzintermediär AG war der Meinung, dass sie Opfer einer Verschwörung sei, da mehrere ihrer Kunden zu einer anderen Gesellschaft gewechselt hatten. Wenn auch dieser Eindruck die Wirklichkeit widerspiegeln sollte, rechtfertigt dies unter keinen Umständen eine wiederholte Verletzung der Standesregeln, erst recht nicht während des vor der Kommission anhängigen Verfahrens.
Die Tatsache, dass das Anrufen der Kommission in einer Konfliktsituation zu einer gütlichen Lösung führt, ist ein positiver Nebeneffekt. Es ist hingegen in Erinnerung zu rufen, dass der Klagerückzug nicht automatisch die Beendigung des Verfahrens bedeutet, und zwar namentlich dann nicht, wenn die Verletzungen der Regeln von TREUHAND|SUISSE schwerwiegender Natur sind.
Auch wenn die Angelegenheit rechtlich gesehen nicht sehr komplex war, so führten die Anzahl der versandten und empfangenen Korrespondenzen, die nicht eingehaltenen oder oftmals auf Antrag eines Betroffenen verlängerten Fristen sowie der Gebrauch von drei Sprachen zur Erstellung eines ziemlich komplizierten Dossiers und zu recht hohen Verfahrenskosten.
- Art. 7 Abs. 1: «Auf Begehren des Mandanten erstattet das Mitglied TREUHAND|SUISSE ohne Verzug Rechenschaft über die Behandlung der Geschäfte, mit denen es beauftragt wurde. Wenn Art und Inhalt des erteilten Auftrages dies erfordern, so hat die Orientierung unaufgefordert zu erfolgen.»
- Art. 11 Abs. 1: «Die Sanktionsmassnahmen umfassen folgende Ahndungen: a) Ausschluss; b) Busse bis zu Fr. 20 000.–; c) Verweis.»
- Art. 3 Abs. 2: «Nebst den gesetzlichen Vorschriften verpflichtet sich das Mitglied TREUHAND|SUISSE, die anerkannten Grundsätze für die Berufsausübung sowie die allgemeinen, anerkannten Regeln in den verschiedenen Bereichen seiner Tätigkeit anzuwenden.»
- Art. 7 Abs. 4: «Nach Abschluss des Auftrages oder auf Begehren des Auftraggebers leitet das Mitglied TREUHAND|SUISSE alle Dokumente an den Berechtigten weiter.»
- Art. 8 Abs. 4: «Auch wenn der Kläger seine Klage zurückzieht, kann die Standeskommission beschliessen, das Verfahren von Amtes wegen weiterzuführen. Eine Weiterführung von Amtes wegen ist legitim, wenn die Zuwiderhandlungen gegen die Sorgfaltspflicht, das Berufsgeheimnis oder die Unabhängigkeitspflicht schwerwiegend sind oder offensichtlich ein Rechtsverstoss vorliegt.»