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Die Herausforderung bei der Formulierung eines Arbeitszeugnisses besteht darin, dass dieses einerseits wahrheitsgetreu und andererseits wohlwollend abzufassen ist. War der Arbeitgeber mit den Leistungen eines Arbeitnehmers nur mässig zufrieden, steht er somit vor einer schwierigen Formulierungsaufgabe. Der folgende Artikel gibt eine Übersicht über die wichtigsten zu beachtenden Grundsätze und die Entwicklungen in der neueren Rechtsprechung.

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1. Einleitung
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Prozesse rund um die Formulierung von Arbeitszeugnissen beschäftigen die Gerichte häufig. Dies liegt einerseits daran, dass die Eckpunkte für das Verfassen eines Arbeitszeugnisses im Gesetz (Art. 330a OR) bloss rudimentär geregelt sind. So hält Art. 330a OR bloss fest, dass sich das Zeugnis über die Art und Dauer des Arbeitsverhältnisses sowie über die Leistungen und das Verhalten des Arbeitnehmers auszusprechen habe. Weitere ausführende gesetzliche Bestimmungen bestehen nicht. Andererseits sind Zeugnisprozesse häufig emotional belastet, da die Schlussbeurteilung eines im Streit ausscheidenden Mitarbeiters durch den Arbeitgeber möglicherweise ungünstiger ausfällt als diejenige in einem vorhergehenden Zwischenzeugnis – und sich überdies die Selbstbeurteilung des Mitarbeiters nicht selten wesentlich von jener durch den Arbeitgeber vorgenommenen Beurteilung unterscheidet. Zudem kommt es in der Praxis immer wieder vor, dass der Arbeitgeber das Zeugnis als Druckmittel zur Durchsetzung eigener (anderer) Forderungen missbraucht, obwohl diesbezüglich kein Retentions- oder Zurückbehaltungsecht besteht.

Dennoch werden auch gemäss den Erfahrungen der Verfasser sehr viele Zeugnisprozesse durch Vergleich erledigt. Einerseits sind die Parteien im Hinblick auf eine Gesamtlösung aller bestehenden Forderungen vielfach eher gewillt, auch beim Zeugnis gewisse Zugeständnisse zu machen. Andererseits hat der Arbeitnehmer ein Interesse daran, sein bereinigtes Zeugnis so schnell als möglich zur Hand zu haben.

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2. Prozessuale Fragen (Beweishürden und Streitwert des Zeugnisprozesses)
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Ein Zeugnisberichtigungsprozess ist immer auch mit erheblichen Prozessrisiken verbunden, denn die Verteilung der Beweislast im Berichtigungsprozess ist umstritten: So wird von den Gerichten teilweise von einer Qualifikation auf der Stufe «gut» ausgegangen, wobei der Arbeitnehmer für ein «sehr gut» und der Arbeitgeber für ein «genügend» beweispflichtig ist.1

In einem neueren Entscheid hat das Bundesgericht nun aber festgehalten, dass den Arbeitnehmer die Beweislast für die Tatsachen treffe, die es rechtfertigen würden, ein anderes Zeugnis auszustellen als jenes, welches ihm vom Arbeitgeber übergeben wurde. Andererseits müsse der Arbeitgeber im Prozess bei der Sachverhaltsermittlung mitwirken, indem er die Tatsachen darlege, die seiner negativen Einschätzung zugrunde gelegen hätten. Tue er dies nicht oder gelinge es ihm nicht, seinen Standpunkt zu rechtfertigen, könne der Richter den Änderungsantrag als begründet betrachten.2

In der Praxis kann dieser Beweis regelmässig (wenn überhaupt) nur durch Zeugenbeweis erbracht werden. Ein solches Beweisverfahren ist langwierig und kostenintensiv. Die Kosten für einen Zeugnisänderungsprozess (mit Beweisverfahren und Urteilsbegründung) stehen jedenfalls nur in den seltensten Fällen im Verhältnis zum Resultat.3

Zwar ist der Prozess in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten bis zu einem Streitwert von CHF 30 000.– kostenlos (Art. 114 lit. c ZPO). Das gilt jedoch nur für die Gerichtskosten, nicht hingegen für Parteientschädigungen, welche in der Regel nach Obsiegen und Unterliegen verteilt werden (Art. 106 ZPO). Der Streitwert von Arbeitszeugnissen (an welchem sich in Streitfällen über CHF 30 000.– sowohl die Höhe der Parteientschädigung als auch die Höhe der Gerichtskosten orientiert), wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Laut Art. 91 Abs. 2 ZPO hat das Gericht auf übereinstimmende Angaben der Parteien zum Streitwert abzustellen, soweit deren Angaben nicht offensichtlich unrichtig sind. Fehlen übereinstimmende Parteiangaben, entscheidet das Gericht nach Ermessen. Während die sehr heterogene Praxis der kantonalen Gerichte von CHF 50.– bis zu einem vollen Monatslohn (in älteren Entscheiden sogar bis zu drei Monatslöhnen) ausgeht, hat sich das Bundesgericht in einem neueren Entscheid gegen einen Schematismus, basierend auf einer bestimmten Anzahl von Monatslöhnen, ausgesprochen.4

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3. Wann ist der Arbeitgeber verpflichtet, ein Arbeitszeugnis auszustellen?
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Anders als beim Lehrvertrag5 entsteht die Pflicht, ein Zeugnis oder eine Arbeitsbestätigung auszustellen, erst auf Verlangen des Arbeitnehmers, obschon heutzutage die Ausstellung eines Zeugnisses auf Beendigung des Arbeitsverhältnisses hin in den meisten Betrieben Usanz ist.

Das Zeugnis ist auf Wunsch des Arbeitnehmers jederzeit auszustellen, somit auch während des Arbeitsverhältnisses in Form eines Zwischenzeugnisses, wobei der Arbeitnehmer hierbei nach überwiegender Auffassung ein berechtigtes (jedoch nicht allzu hohes) Interesse glaubhaft machen muss6, bei dessen Beendigung und nachher.

Das Arbeitsgericht Zürich hat in einem neueren Entscheid entschieden, dass mit Bezug auf ein drei Monate vor Ausscheiden erstelltes besseres Zwischenzeugnis eine Verschlechterung im Endzeugnis nur dann erfolgen dürfe, wenn in der Zwischenzeit einschneidende Änderungen eingetreten seien, die eine erheblich unterschiedliche Beurteilung rechtfertigen würden, was der Arbeitgeber zu beweisen habe. Ferner habe die im Schlusszeugnis abgegebene Bewertung für die ganze Zeit des Arbeitsverhältnisses zu erfolgen. Es dürfe das Verhalten und der Eindruck in den letzten paar Wochen ebenso wenig überbewertet werden wie einzelne Vorkommnisse.7

Der Zeugnisanspruch gehört zu den nachwirkenden Fürsorgepflichten des Arbeitgebers8 und verjährt erst zehn Jahre nach Arbeits­vertragsende9. Der Zeugnisanspruch kann einzig vorübergehend sistiert sein, wenn die Gefahr eines falschen Inhalts besteht, weil z.B. eine Strafuntersuchung hängig ist.10 Obwohl noch ungeklärt ist, innert welcher Frist ein Arbeitszeugnis oder eine Arbeitsbestätigung auszustellen sei, sollte es unseres Erachtens möglich sein, ein Vollzeugnis innert zwei Wochen und eine ­Arbeitsbestätigung innert zwei Tagen auszustellen.11

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4. Worauf ist bei der Formulierung eines Arbeitszeugnisses besonders zu achten?
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4.1 Vollzeugnis oder Arbeitsbestätigung?
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Das Vollzeugnis unterscheidet sich von der ­Arbeitsbestätigung dadurch, dass Ersteres zwingend über alle in Art. 330a Abs. 1 OR aufgeführten Punkte, d.h. über die Art und die Dauer der Anstellung sowie über die Leistungen und das Verhalten des Arbeitnehmers, Auskunft geben muss, während die Arbeitsbestätigung ausschliesslich über die Dauer der Anstellung und die ausgeübte Funktion Auskunft geben darf.12

In einer Arbeitsbestätigung ist ferner jeder Hinweis über den Grund der Auflösung des Arbeitsverhältnisses verboten, während im Vollzeugnis die Umstände des Austritts gegen den Willen des Arbeitnehmers dann erwähnt werden dürfen, wenn ohne einen solchen Hinweis ein unwahres Zeugnis entstünde, also beispielsweise ein schwerwiegender Mangel des Arbeitnehmers unterschlagen würde, was bei einer gerechtfertigten fristlosen Kündigung in der Regel der Fall sein dürfte.13

Eine Arbeitsbestätigung im Sinne von Art. 330a Abs. 2 OR darf nur dann ausgestellt werden, wenn der Arbeitnehmer dies ausdrücklich verlangt.14 Weiter kann der Arbeitnehmer nach Erhalt des einfachen Zeugnisses auch noch ein qualifiziertes Zeugnis oder nach Erhalt des qualifizierten Zeugnisses noch ein einfaches Zeugnis verlangen.15

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4.2 Notwendiger Inhalt
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Das Vollzeugnis muss, wie bereits erwähnt, zwingend über die Art und die Dauer der Anstellung sowie über die Leistungen und das Verhalten des Arbeitnehmers Auskunft geben.

Notwendiger Inhalt sind somit der tatsächliche Beginn und das rechtliche Ende des Arbeitsverhältnisses, nicht dagegen das tatsächliche Ende, z.B. wenn der Arbeitnehmer beispielsweise noch Ferien bezieht oder freigestellt wird16 oder er zu Unrecht entlassen wird.17 Ferner gehört in ein Vollzeugnis eine detaillierte Auflistung der wichtigen Funktionen und der das Arbeitsverhältnis prägenden Tätigkeiten des Arbeitnehmers und deren Zeitdauer sowie eine aussagekräftige Bewertung der Leistung und seines Verhaltens.18

Massgebend sind dabei nicht die vertraglich vereinbarten, sondern die tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten.19 Tätigkeiten, die der Arbeitnehmer nur einmal ausgeübt hat, brauchen dagegen nicht im Arbeitszeugnis erwähnt zu werden.20

Ferner gilt, dass das Zeugnis die Leistung und das Verhalten so konkret und ausführlich schildern muss, dass sich ein neuer Arbeitgeber ein aussagekräftiges Bild über die Qualifikation des Arbeitnehmers machen kann. Ausserdem ist es heute verkehrsüblich, dass sich das Zeugnis neben der Beurteilung einzelner Aspekte auch über eine Gesamtbeurteilung ausspricht (z.B. Aufgabenerledigung zur vollen Zufriedenheit).21

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4.3 Spannungsfeld zwischen Wahrheitspflicht und wohlwollender Zeugnisformulierung
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Der klassische Zeugniskonflikt besteht darin, dass das Zeugnis gemäss Lehre und Rechtsprechung einerseits wahrheitsgetreu und andererseits wohlwollend abzufassen ist. War der ­Arbeitgeber mit den Leistungen eines Arbeitnehmers nur mässig zufrieden, steht er somit vor einer schwierigen Formulierungsaufgabe. Denn seinem Zweck entsprechend soll das Zeugnis einerseits das berufliche Fortkommen des Arbeitnehmers fördern und andererseits zukünftigen Arbeitgebern ein möglichst getreues Abbild von Tätigkeit, Leistung und Verhalten des Arbeitnehmers vermitteln. Dieser Zielkonflikt wird oft in die Formel gekleidet, das Zeugnis habe wohlwollend zu sein, doch finde das Wohlwollen seine Grenzen an der Wahrheitspflicht.22 Immerhin wird anerkannt, dass sich der Arbeitgeber nicht durch verharmlosende Darstellungen Prozessrisiken aussetzen muss, sei dies im Verhältnis zum Arbeitnehmer beispielsweise hinsichtlich einer missbräuchlichen Kündigung oder gegenüber zukünftigen Arbeitgebern.23

Ob das Zeugnis wahr ist, entscheidet sich dabei danach, ob es nach dem Verständnis eines unbeteiligten Dritten den Tatsachen entspricht. So führte das Bundesgericht bei der Beurteilung der Frage, ob im betreffenden Fall im Zeugnis die Kaderposition des Arbeitnehmers erwähnt werden müsse, aus, es sei nicht ausschlaggebend, ob der Arbeitnehmer von der Arbeitgeberin zum Kader gezählt werde, sondern ob er tatsächlich eine Position innehatte, die ein unbeteiligter Dritter als Kaderposition einstufen würde.24

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4.4 Vollständigkeit (Erwähnung negativer Tatsachen?)
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Das Zeugnis muss ferner vollständig sein, d.h. es muss alle wesentlichen Tatsachen und Bewertungen enthalten, die für die Gesamtbeurteilung des Arbeitnehmers von Bedeutung sind. Das Zeugnis soll künftigen Arbeitgebern ein möglichst getreues Abbild von Tätigkeit, Leistung und Verhalten des Arbeitgebers geben. Dabei darf und muss es bezüglich der Leistungen des Arbeitnehmers auch negative Tatsachen erwähnen, soweit diese für seine Gesamtbeurteilung erheblich sind.25

Aufgrund des Grundsatzes der Verhältnis­mässigkeit,26 der das Weglassen von Unwesentlichem gebietet, dürfen jedoch einmalige Vorfälle und Umstände, die für den Arbeitnehmer nicht charakteristisch sind, nicht in das Zeugnis aufgenommen werden.27 So berechtigte beispielsweise die einmalige Verletzung der Herausgabepflicht eines Berechnungsblattes durch die Personalverantwortliche am Ende des Arbeitsverhältnisses, um das vertragswidrige Verhalten der Arbeitgeberin bei der Berechnung der Gewinnbeteiligung zu beweisen, die Arbeitgeberin nicht dazu, das der Arbeitnehmerin vorher im Arbeitszeugnis als «stets korrekt» attestierte Verhalten zu korrigieren.28

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4.5 Zeugniscodes und Verwendung von bestimmten Formulierungen
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Aufgrund des Klarheitsgebots sind zweideutige Formulierungen unzulässig.29 Das Gebot von Treu und Glauben verbietet ferner die Verwendung der bekannten Zeugniscodes, bei welchen in vordergründig neutralen oder positiven Formulierungen für Eingeweihte negative Botschaften zum Ausdruck gebracht werden, wie z.B. «sie erledigte alle ihr zugewiesenen Arbeiten zu meiner Zufriedenheit». Weitere unzulässige codierte Formulierungen wären beispielsweise «er bemühte sich, seine Aufgaben so gut wie möglich zu erledigen» (Bedeutung: seine Leistungen befriedigten nicht) oder «er ist ein gewissenhafter Mitarbeiter» (Bedeutung: er tut, was er kann) oder «gegenüber seinen Mitarbeitern zeigte er grosses Einfühlungsvermögen» (Bedeutung: er suchte Kontakt zum anderen Geschlecht). Die Codierung kann dabei auch in einem beredten Schweigen bestehen, etwa wenn bei der Verhaltensbeurteilung nur das Verhalten zu Mitarbeitern und Kunden erwähnt wird, nicht aber jenes zu Vorgesetzten.30 Gemäss dem Arbeitsgericht Zürich stellt die Wendung, er «habe sich bemüht» keine Qualifikation dar. Deshalb sei der Arbeitnehmer im Falle von nachweisbar guten Leistungen berechtigt, gerichtlich eine Änderung des Wortlautes des Zeugnisses zu verlangen.31

Trotz dieser zahlreichen Rahmenbedingungen steht dem Arbeitgeber bei der Wortwahl ein im Rahmen der Klarheit und des noch Verkehrsüblichen breites Ermessen zu. Der Arbeit­nehmer hat daher keinen Anspruch auf die Verwendung bestimmter Klauseln oder Floskeln.32 Somit kann der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber nicht die Verwendung der in der Praxis relativ häufig anzutreffenden Freizeichnungsklausel «verlässt die Firma frei von jeder Verpflichtung» oder Dankesworte und Zukunftswünsche verlangen.

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4.6 Erwähnung von Absenzen
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Auch hier gilt es, im Spannungsfeld von Wahrheitspflicht und der Forderung nach wohlwollender Formulierung möglichst allen Beteiligten gerecht werdende Grundsätze zu erarbeiten: Einerseits muss ein Vollzeugnis wahr und vollständig sein und damit auch negative Tatsachen erwähnen, soweit diese für die Gesamtbeurteilung erheblich sind.33 Andererseits ist die Erwähnung von Absenzen grundsätzlich geeignet, das wirtschaftliche Fortkommen des ­Arbeitnehmers zu erschweren.34 So könnten Feststellungen über krankheitsbedingte Abwesenheiten von zukünftigen Arbeitgebern beispielsweise als Hinweise auf fehlende Leistungsbereitschaft oder besondere Risiken des entsprechenden Arbeitnehmers aufgefasst werden.

Grundsätzlich gilt, dass eine Freistellung sowie andere Absenzen wie Militärdienst, Mutterschaftsurlaub oder unbezahlte Urlaube gegen den Willen des Arbeitnehmers nur erwähnt werden dürfen, wenn andernfalls ein falsches Bild entstünde, so beispielsweise in Bezug auf die erworbene Berufserfahrung (beispielsweise bei einer Freistellung von neun Monaten bei einer Anstellungsdauer von einem Jahr) oder bezüglich der aufgrund einer längeren Unterbrechung nur beschränkt möglichen Beurteilung.35

In Bezug auf krankheitsbedingte Abwesenheiten hat das Bundesgericht wie folgt Stellung bezogen: Eine Krankheit sei nur dann zu erwähnen, wenn sie einen erheblichen Einfluss auf die Leistung oder das Verhalten des Arbeitnehmers hatte oder die Eignung zur Erfüllung der bisherigen Aufgabe infrage stellte und damit einen sachlichen Grund für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses bildete. Ferner seien längere Arbeitsunterbrüche in einem qualifizierten Zeugnis zu erwähnen, wenn sie im Verhältnis zur gesamten Vertragsdauer erheblich ins Gewicht fallen und daher ohne Erwähnung bezüglich der erworbenen Berufserfahrung ein falscher Eindruck entstünde. Massgebend seien die Umstände des Einzelfalls. Eine geheilte Krankheit, welche die Beurteilung der Leistung und des Verhaltens nicht beeinträchtige, dürfe dagegen nicht erwähnt werden.36

Im vom Bundesgericht zu beurteilenden Fall war der Arbeitnehmer während eineinhalb Jahren unfähig, seine bisherige Tätigkeit auszuüben. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses war zudem nicht absehbar, ob und wann er dazu wieder in der Lage sein würde, weshalb die Krankheit seine weitere Eignung zur Ausübung der bisherigen Tätigkeit erheblich infrage stellte. Unter diesen Umständen bildete die Krankheit einen berechtigten Kündigungsgrund, und die Arbeitgeberin war gehalten, die Krankheit in einem qualifizierten Zeugnis zu ­erwähnen.37

Unseres Erachtens muss (mit Blick auf die Wahrheitspflicht und die durch deren Verletzung mögliche Schadenersatzpflicht des Arbeitgebers38) massgebend sein, ob einem zukünftigen Arbeitgeber durch Nichterwähnung der Krankheit ein falsches (weil zu positives) Bild bezüglich der beruflichen Fähigkeiten des Arbeitnehmers vermittelt werden könnte, sei dies aufgrund der beurteilten Leistung oder aufgrund der erworbenen Berufserfahrung. Bei einer geheilten Krankheit, welche (nach deren Heilung) keinen Einfluss auf Leistung und Verhalten des Arbeitnehmers hat, ist dies von vornherein ausgeschlossen.39 Dasselbe muss in Bezug auf eine Abwesenheit aufgrund einer sogenannten arbeitsplatzbezogenen Arbeits­unfähigkeit gelten, deren Wesensmerkmal darin besteht, dass der Arbeitnehmer meist aufgrund einer Konfliktsituation am Arbeitsplatz lediglich in Bezug auf diese konkrete Stelle arbeitsunfähig, im Übrigen jedoch einsatzfähig ist.40

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5. Schlussfolgerungen
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Das Arbeitszeugnis kann für den Arbeitnehmer von existenzieller Bedeutung sein. Besonders in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist bei der Stellenbewerbung ein gutes Arbeitszeugnis unabdingbar. Der Arbeitgeber hat bei der Formulierung eines Arbeitszeugnisses zahlreiche Grundsätze zu beachten. Der von der Lehre und Rechtsprechung entwickelte Grundsatz, wonach ein Arbeitszeugnis einerseits wahrheitsgetreu und andererseits wohlwollend abzufassen ist, stellt den Arbeitgeber nicht selten vor ein unlösbares Problem. Er sieht sich mit der Frage konfrontiert, wie er gleichzeitig den Anforderungen der Wahrheit, der Vollständigkeit und der Förderung des beruflichen Fortkommens des Arbeitnehmers gerecht werden soll. Es ist offensichtlich, dass dies bei unbefriedigenden ­Leistungen oder ungenügendem Verhalten des Arbeitnehmers ohne beschönigende Formulierungen nur schwer möglich ist. Der Arbeitgeber muss daher bei der Abfassung eines Zeugnisses, welches sich über die Leistungen und das Verhalten eines schlechten oder mittelmässigen Arbeitnehmers aussprechen muss, stets das Risiko eines Zeugnisberichtigungsprozesses im Auge behalten.

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  1.  Vgl. Hans Peter Egli in: Entscheide des Arbeitsgerichtes Zürich 2002, S. 51 ff., S. 71.
  2.  BGE 4A_117/2007 und 4A_127/2007 vom 13.9.2007 E.7.1 = JAR 2008 S. 264.
  3.  Egli (zit. Fn. 1), S. 51.
  4.  BGE 8C_151/2010 vom 31.8.2010, E.2.5–2.8 = ARV 2010, S. 265 = JAR 2011, S. 293; Vgl. zum Ganzen: Ullin Streiff / Adrian von Kaenel / Roger Rudolph, Arbeitsvertrag, Kommentar zu Art. 319 – 362 OR, 7. Aufl., Zürich 2012, Art. 330a N 6.
  5.  Vgl. Art. 346a OR.
  6.  An den Interessennachweis werden richtigerweise keine hohen Anforderungen gestellt. Genügend sind beispielsweise ein Wechsel des Vorgesetzten, den Arbeitnehmer betreffende Umstrukturierungen, ernsthafte Stellenwechselabsichten des Arbeitnehmers sowie das nahende Vertragsende, vgl. Streiff / von Kaenel / Ru­dolph, (zit. Fn. 4), Art. 330a N 2a.
  7.  Vgl. hierzu Entscheide des Arbeitsgerichtes Zürich 2005, Nr. 11, und Entscheide des Arbeitsgerichtes Zürich 2010 Nr. 10.
  8.  BGE 129 III 177, E.3.2. = SJ 2003 I 420 = JAR 2004 S. 201.
  9.  Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn Jahre später das Ausstellen eines Vollzeugnisses fast unmöglich geworden ist, z.B. wenn sowohl die Vorgesetzten als auch die HR-Verantwortlichen seit Längerem ausgeschieden sind und ein aussagekräftiges Personaldossier fehlt oder der alte Arbeitgeber verstorben, die alte Firma durch Fusion untergegangen oder ein Betriebsübergang stattgefunden hat. Vgl. zum Ganzen: Streiff/von Kaenel/Rudolph, (zit. Fn. 4), Art. 330a N 2.
  10.  Wolfgang Portmann, Kommentar zu den Art. 319 – 362 OR, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht I, hrsg. von Heinrich Honsell / Nedim Peter Vogt / Wolfgang Wiegand, 5. Aufl., Basel 2011, Art. 330a N2; Streiff / von Kaenel / Rudolph, (zit. Fn. 4), Art. 330a N 2.
  11.  Basis bildet Art. 75 OR, wonach eine Schuldverpflichtung bei Fehlen einer anderslautenden Regelung «sogleich» zu erfüllen ist. Ebenso Roger Rudolph, Zankapfel Arbeitszeugnis, in: Treuhand und Revision, Jahrbuch 2012, Hrsg. Mathis, Andrea / Nobs, Rolf, ­Zürich 2012, S. 33 – 52, S. 36; vgl. auch Janssen, Susanne, Die Zeugnispflicht des Arbeitgebers, Diss 1996, S. 35.
  12.  BGE 129 III 177, E. 3.2.
  13.  Streiff / von Kaenel / Rudolph, (zit. Fn. 4), Art. 330a N 3g; Entscheide des Arbeitsgerichtes Zürich 2007, Nr. 14.
  14.  BGE 129 III 177, E. 3.2; JAR 2010, S. 535 ff.
  15.  BGE 129 III 177, E. 3.2.
  16.  Vgl. Entscheide des Arbeitsgerichtes Zürich 2008, Nr. 15 = JAR 2009, S. 693 = SAE 2009, S. 30.
  17.  AGer ZH JAR 2009, S. 94.
  18.  BGE 4A_432/2009, E.3.1 = JAR 2010, S. 370.
  19.  BGE 4A_432/2009, E.3.1 und 3.2 = JAR 2010, S. 370.
  20.  BGE 4C.60/2005, E.7 = JAR 2006, S. 200.
  21.  Streiff / von Kaenel / Rudolph, (zit. Fn. 4), Art. 330a N 3.
  22.  Streiff / von Kaenel / Rudolph, (zit. Fn. 4), Art. 330a N 3a, Janssen (zit. Fn. 11), S. 74; BGE 136 III 510, E.4.1 = JAR 2011, S. 303, in welchem das Bundesgericht die Wahrheitspflicht als allgemeinen Zeugnisgrundsatz anerkannt hat.
  23.  BSK-Portmann (zit. Fn. 10), Art. 330a N 6.
  24.  BGE 4C.60/2005, E.4.1 und E.4.4 = JAR 2006, S. 200.
  25.  BSK-Portmann (zit. Fn. 10) Art. 330a N4; BGE 136 III 511, E.4.1.
  26.  Art. 4 Abs. 2 DSG.
  27.  BSK-Portmann (zit. Fn. 10), Art. 330a N 4.
  28.  JAR 2011, S. 428.
  29.  Edi Class, Das Arbeitszeugnis und seine Geheimcodes, Zürich 2009, S. 28.
  30.  Vgl. Streiff / von Kaenel / Rudolph, (zit. Fn. 4), Art. 330a N 3a; Class (zit. Fn. 29), S. 69ff.; Rehbinder / Stöckli, Berner Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, Band VI, 2/2/1, Art. 319 – 330b OR, Bern 2010, Art. 330a N 13.
  31.  AGer ZH JAR 1985, Seite 174 ff.; AGer ZH JAR 1986, Seite 105 f.
  32.  BGE 4A_117/2007 und 4A_127/2007 vom 13.9.2007 = JAR 2008, S. 264; BSK-Portmann (zit. Fn. 10), Art. 330a N 8.
  33.  Vgl. hierzu vorstehend Ziff. 4.4.
  34.  Vgl. auch: Janssen, (zit. Fn. 11), S. 134.
  35.  BSK-Portmann (zit. Fn. 10) Art. 330a N 5; Janssen (zit. Fn. 11), S. 125 und 134; Alfred Blesi, Die Freistellung des Arbeitnehmers, 2. Aufl., Zürich 2010, Rz 511.
  36.  BGE 136 II 510, E. 4.1 mit Hinweis auf Janssen, (zit. Fn. 11), S. 125 f. Für einen Überblick über die kantonale Rechtsprechung vgl. Rudolph, Zankapfel (zit. Fn. 11), S. 42.
  37.  BGE 136 II 510, E. 4.4.
  38.  Vgl. dazu Oliver Kälin, Haftung des Arbeitgebers gegenüber Dritten für unwahre Arbeitszeugnisse, in: Trex 3/2007, S. 150 – 152 und Rudolph, Zankapfel (zit. Fn. 11), S. 50 ff. wobei zu erwähnen ist, dass der dort zitierte Entscheid (BGE 101 II 69), soweit ersichtlich, bis heute das einzige Urteil ist, mit welchem ein Arbeitgeber gegenüber einem Dritten wegen eines falschen Zeugnisses für schadenersatzpflichtig erklärt wurde. Dabei hatte eine Firma einem Arbeitnehmer nach einer den Strafverfolgungsbehörden nicht angezeigten Unterschlagung ein hervorragendes Zeugnis ausgestellt, worauf dieser am neuen Arbeitsort eine noch viel grös­sere Unterschlagung beging. Schadenersatzansprüche wegen unrichtiger Angaben betreffend die Leistung des Arbeitnehmers werden aufgrund der Beweisproblematik dagegen in der Praxis wohl kaum je erfolgreich durchgesetzt werden können.
  39.  Gleicher Meinung BSK-Portmann (Zit. Fn. 10), Art.330a N 5.
  40.  Vgl. zum Begriff der arbeitsplatzbezogenen Arbeits­unfähigkeit, Streiff / von Kaenel / Rudolph, (zit. Fn. 4), Art. 336c N 8.
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