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Das Kantonsgericht Neuenburg ordnete die Teilung der während der Ehe geäufneten Guthaben der beruflichen Vorsorge im Verhältnis von einem Viertel zugunsten des Ehemannes und drei Vierteln zugunsten der Ehefrau an. Der Ehemann erhob Beschwerde in Zivilsachen beim Bundesgericht. Das Bundesgericht erinnert nun zuerst daran, dass die Austrittsleistungen der beruflichen Vorsorge der Ehegatten grundsätzlich hälftig zwischen ihnen geteilt werden müssen (Art. 122 ZGB). Der Grundsatz der hälftigen Teilung kennt jedoch Ausnahmen, welche in Art. 123 Abs. 2 ZGB vorgesehen sind. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung kann das Gericht die Teilung ausnahmsweise ganz oder teilweise verweigern, wenn sie aufgrund der güterrechtlichen Auseinandersetzung oder der wirtschaftlichen Verhältnisse nach der Scheidung offensichtlich unbillig wäre. Art. 123 Abs. 2 ZGB muss jedoch zurückhaltend angewendet werden (BGE 135 III 153 Erw. 6.1). Bei den Verweigerungsgründen im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Situation der Ehegatten nach der Scheidung hielt das Bundesgericht beispielsweise die ganze oder teilweise Verweigerung der Teilung für gerechtfertigt, wenn die Ehegatten unter dem Güterstand der Gütertrennung lebten und einer von ihnen als Angestellter obligatorisch eine 2. Säule äufnete, während der andere, der eine selbstständige Erwerbs­tätigkeit ausübte, sich eine dritte Säule von gewisser Grösse aufbaute. In diesem Fall wäre es unbillig, das Vorsorgekonto des unselbstständig erwerbenden Ehegatten zu teilen, während der selbstständig erwerbende Ehegatte seine private Vorsorge behalten könnte (Urteil 5A_214/2009 vom 27. Juli 2009 Erw. 2.3). Als weiteres Beispiel der gerechtfertigten Verweigerung der Teilung muss auch der Fall der Ehefrau angeführt werden, welche durch ihre Erwerbstätigkeit das Studium des Ehemannes finanzierte und ihm so ermöglichte, in der Zukunft eine bessere Vorsorge aufzubauen als sie selbst (BBl 1996 I 99 ff., insbes. 105). Ein einfaches Ungleichgewicht der finanziellen Verhältnisse der Parteien reicht allerdings nicht aus, um vom Recht auf hälftige Teilung abzuweichen, welches davon abhängt, was während der Ehe erworben wurde und Ausdruck der ehelichen Schicksalsgemeinschaft ist. Um davon abweichen zu können, muss die hälftige Teilung demnach zu einem offensichtlichen Missverhältnis in der gesamten Vorsorge der Parteien führen. Dies scheint vorliegend nicht der Fall zu sein. Die Ehegatten X waren während der Dauer der im September 1990 geschlossenen Ehe beide voll erwerbstätig. Im Zeitpunkt der Scheidung war die Ehefrau 63 Jahre alt; sie arbeitete als Bücherexpertin mit einem monatlichen Bruttoeinkommen von 10 000 Franken, welches 13-mal jährlich ausbezahlt wurde. Ihr Guthaben der 2. Säule belief sich per 1. Januar 2008 auf 760 363 Franken, wovon 119 765 Franken vor der Ehe geäufnet worden waren. Während der Ehejahre tätigte sie durch Abzüge von ihrem Lohn Einkäufe in ihre Vorsorgeeinrichtung. Im Zeitpunkt ihrer Pensio­nierung würde ihre jährliche Rente ohne Teilung 56 423 Franken (4701 Franken im Monat) betragen. Zudem kann sie aus der güterrechtlichen Auseinandersetzung mit einem Betrag von 159 123 Franken rechnen. Der 48-jährige Ehemann verfügt über ein Freizügigkeitsgut­haben in der Höhe von Fr. 80 392.65, wovon Fr. 13 749.15 vor der Ehe erworben worden waren. Dieses Guthaben würde einer geschätzten jährlichen Rente im Alter 65 von 28 332 Franken (2361 Franken im Monat) entsprechen. Im Rahmen der güterrechtlichen Auseinandersetzung wird er eine Summe von 87 220 Franken erhalten. Nach der hälftigen Teilung der 2. ­Säule der Parteien würde sich die gesamte Vorsorge der Ehefrau aus ihrer AHV-Rente, dem Betrag von 159 123 Franken aus der güterrechtlichen Auseinandersetzung und einem Guthaben aus beruflicher Vorsorge von etwas mehr als Fr. 353 755.75 zusammensetzen [(760 363 Franken – 119 765 Franken) : 2] + [Fr. 80 392.65 – Fr. 13 479.15) : 2]. Der Ehemann würde über seine AHV-Rente, den möglichen Rest seines Vermögens (87 220 Franken + 75 000 Franken) und sein Guthaben aus beruflicher Vorsorge verfügen. Im Gegensatz zu seiner Ehefrau wird er den aus der hälftigen Teilung resultierenden Betrag von Fr. 353 755.75 bis zu seinem Pensionsalter weiter erhöhen können. In Anbetracht der Höhe seines Einkommens (rund 5200 Franken netto) und der Anzahl der ihm verbleibenden Beitragsjahre (17 Jahre ab dem Scheidungsurteil) wird diese Erhöhung jedoch nicht bedeutend sein. Als Anhaltspunkt dafür kann man anführen, dass der Ehemann während der 18 Ehejahre eine 2. Säule im Umfang von Fr. 66 913.50 geäufnet hat. Es ist also in Bezug auf die jeweilige gesamte Vorsorge der Parteien kein offensichtliches Missverhältnis zu erkennen. Es gilt auch zu beachten, dass der während der 18 Ehejahre von der Ehefrau geäuf­nete hohe Betrag der beruflichen Vorsorge (640 598 Franken) nicht nur von der Höhe ihres Einkommens (10 000 Franken brutto im Monat) herrührt, sondern auch von den Einkäufen in die Vorsorgeeinrichtung, welche sie durch Abzüge von ihrem Lohn getätigt hat. Im Jahr 2002 zum Beispiel hat sie bei einem Lohn von 123 175 Franken 25 488 Franken an BVG-Beiträgen einbezahlt. Ohne Einkäufe wären diese Beträge in die Errungenschaft der Ehefrau geflossen (Art. 197 Abs. 2 Ziff. 1 ZGB) und im Rahmen der güterrechtlichen Auseinandersetzung hälftig geteilt worden (Art. 215 Abs. 1 ZGB). Unter diesem Blickwinkel erscheint die hälftige Teilung weder offensichtlich stossend, absolut unbillig noch vollkommen unhaltbar.

Das Bundesgericht kommt deshalb zum Schluss, dass das kantonale Gericht, indem es die Voraussetzungen des Art. 123 Abs. 2 ZGB als erfüllt betrachtet hatte, sein Ermessen missbraucht hat. Das angefochtene Urteil muss also insoweit abgeändert werden, als die von den Parteien während der Ehe geäufneten BVG-Austrittsleistungen hälftig geteilt werden müssen.

Art. 123 Abs. 2 ZGB

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(BGer., 20.11.09 {5A_458/2008}, Mitteilungen über die berufliche Vorsorge Nr. 116, 28.01.10)

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