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Die Pflicht zur Übernahme der Kosten einer Fruchtbarkeitsbehandlung endet für die obligatorische Krankenpflegegrundversicherung nicht bei einer festen Altersobergrenze der betroffenen Frau. Ob die Behandlung aufgrund des Alters der Versicherten noch als wirksam gelten kann und damit von der Grundversicherung zu tragen ist, muss durch eine ärztliche Abklärung im Einzelfall ermittelt werden.

Eine Frau hatte 2011 eine erste Fruchtbarkeitsbehandlung mittels Stimulation der Eierstöcke und Einführung von Samenzellen in die Gebärmutter durchführen lassen, die von ihrer obligatorischen Krankenpflegegrundversicherung bezahlt wurde. Ein Jahr später ersuchte sie die Krankenkasse um Übernahme einer weiteren gleichen Behandlung. Die Versicherung wies das Ersuchen der damals 44 Jahre alten Frau ab und begründete dies damit, dass Fruchtbarkeitsprobleme bei einer Frau im Alter von über 40 Jahren nicht als Krankheit gelten könnten, sondern ein altersbedingtes körperliches Problem darstellen würden. Eine Fruchtbarkeitsbehandlung bei über 40-jährigen Frauen erfülle deshalb das Kriterium der Wirksamkeit nicht und könne nicht mehr zulasten der obligatorischen Krankenpflegegrundversicherung vorgenommen werden. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Waadt entschied 2015, dass die Kasse die Behandlung übernehmen müsse. Das Bundesgericht hiess die Beschwerde der Krankenkasse teilweise gut, hebt das Urteil der Vorinstanz auf und weist die Sache an diese zurück. Die altersbedingte Abnahme der Fruchtbarkeit stellt grundsätzlich zwar keine Krankheit dar. Die Festlegung einer fixen Altersgrenze, ab der eine Fruchtbarkeitsbehandlung nicht mehr von der obligatorischen Krankenpflegegrundversicherung zu übernehmen wäre, müsste sich allerdings rechtsprechungsgemäss auf eine objektive und breit abgestützte medizinische Rechtfertigung stützen können. Der medizinischen Doktrin lässt sich indessen keine fixe Altersgrenze entnehmen, ab der die Chancen auf die Geburt eines Kindes nicht mehr realistisch sind. Die fehlende Wirksamkeit einer Fruchtbarkeitsbehandlung kann daher nicht allein mit dem Alter einer Frau begründet werden. Vielmehr müssen die Erfolgschancen von ärztlicher Seite in jedem Einzelfall gesondert abgeklärt werden. Da es diesbezüglich an einer medizinisch hinreichend abgeklärten Sachlage fehlt, hat die Vorinstanz die konkreten Verhältnisse eingehend zu beleuchten und über den Fall neu zu entscheiden.

Art. 3 Abs. 1 ATSG; Art. 3 Abs. 2 lit. b FMedG; Art. 24, Art. 34 Abs. 1, Art. 25 Abs. 1, Art. 32 Abs. 1 und Art. 33 Abs. 1 und Abs. 3 KVG; Art. 33 Abs. 5 i. V. m. Art. 33 lit. a und lit. c KVV

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(BGer., 10.05.16 {9C_435/2015}, Medienmitteilungen des Schweizerischen Bundesgerichts, 10.05.16, www.bger.ch)

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