Die Vorsorgeeinrichtung darf den Rückforderungsanspruch aus zu Unrecht an einen Versicherten erbrachten Invalidenleistungen nicht mit der Forderung der Witwe auf Auszahlung der Austrittsleistung verrechnen. Der Versicherte erlitt im Jahr 2000 einen Arbeitsunfall. Im Jahr 2003 löste die Arbeitgeberfirma das Arbeitsverhältnis auf. Die Vorsorgeeinrichtung bezahlte dem Versicherten während mehrerer Jahre Invalidenrenten sowie eine einmalige Kapitalleistung aus. Nach dessen Tod verfügte die IV-Stelle rückwirkend die Aufhebung der Invalidenrente. Die Vorsorgeeinrichtung teilte der Witwe mit, dass sämtliche Invalidenleistungen zu Unrecht erbracht worden waren und dass sie den Anspruch der Witwe auf die Auszahlung der Freizügigkeitsleistung mit der Rückerstattungsforderung verrechne. Das Bundesgericht erläutert im Entscheid die Unterschiede zum Fall, der dem Bundesgerichtsurteil 9C_65/2008 zugrunde lag: Anders als in jenem Fall lag im Zeitpunkt des Austritts kein Barauszahlungsgrund vor. Das Gericht hält weiter fest, dass mit dem Urteil 9C_65/2008 nicht ein neuer Barauszahlungsgrund für alle Fälle von unrechtmässigem Leistungsbezug geschaffen wurde. In casu war beim Versicherten beim Austritt aus der Vorsorgeeinrichtung im Jahr 2003 noch kein Vorsorgefall eingetreten: Es ergab sich nachträglich, dass im Zeitpunkt des Austritts keine Invalidität bestand, und er verstarb erst später. Er hatte somit einen Anspruch auf eine Austrittsleistung erworben. Durch den Tod des Versicherten erwarb dann die Witwe einen eigenen, direkten Anspruch auf die Austrittsleistung. Die Verrechnung der Austrittsleistung mit der Rückerstattungsforderung ist nicht zulässig, da es an der Gegenseitigkeit der Forderungen fehlt. Gläubigerin der Austrittsleistung ist die Witwe, ihr gegenüber besteht kein Anspruch auf Rückerstattung der zu Unrecht erbrachten Leistungen.
Art. 73 BVG; Art. 5, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 und Art. 4 FZG; Art. 15 FZV; Art. 2 Abs. 2 ZGB
(BGer., 19.10.15 {9C_124/2015}, Mitteilungen über die berufliche Vorsorge Nr. 142, 7.07.2016)