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Wird bei einer Person, die 60 % arbeitet, eine Erwerbsinvalidität in gleicher Höhe festgestellt, erhält sie keine ganze Invalidenrente. Dies hat das Bundesgericht in einem Leitentscheid entschieden. Es ändert damit die Rechtsprechung bei Personen, die neben ihrer Erwerbstätigkeit keinen Aufgaben wie der Kinderbetreuung nachgehen.

In seinem am 17. Mai 2016 publizierten Urteil hält das Bundesgericht fest, dass die Invalidenversicherung «nicht verwertete» Teile der Erwerbstätigkeit nicht versichert. Arbeitet eine Person also nur 60 % und geht sie in den restlichen 40 % einem Hobby nach, sind nur die 60 % versichert. Gemäss Bundesgericht verzichteten Teilzeitangestellte, die mehr Freizeit haben wollten, freiwillig auf jenen Teil des Lohnes, den sie bei einem 100%-Pensum erwerben könnten. Wer 60 % arbeitet und in gleichem Mass invalid wird, hat demnach kein Anrecht auf eine ganze IV-Rente. Dies würde gemäss der Zweiten sozialrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts zu einer Ungleichbehandlung unter den Versicherten führen. Arbeite jemand nämlich 100 %, führe eine 60-prozentige Erwerbsunfähigkeit auch nicht zu einer vollen Rente, sondern zu einer Dreiviertelsrente. Diese wird ab einem Invaliditätsgrad von 60 % gewährt. Die Berechnungsmethode führe auch gegenüber Personen, die in den restlichen 40 % einen Haushalt mit Kindern führten, zu einer Ungleichheit. Bei diesen wird anhand der sogenannten gemischten Methode sowohl bei der Erwerbs- wie auch bei der Haushaltsarbeit proportional der Invaliditätsgrad berechnet. Ob die gemischte Methode weitergeführt werden darf, ist unklar. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat am 2. Februar 2016 entschieden, dass diese Berechnungsart diskriminierend sei. Die Schweiz hat die Sache an die Grosse Kammer weitergezogen. Im hier aktuellen Fall hat das Bundesgericht die Beschwerde der IV-Stelle des Kantons Luzern gutgeheissen und einen Entscheid des Kantonsgerichts Luzern aufgehoben.

Art. 16 und Art. 17 ATSG; Art. 8 BV; Art. 28 und Art. 28a IVG; Art. 27 IVV

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(BGer., 4.05.16 {9C_178/2015}, Jusletter 23.05.16)

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