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Liebe Leserin, lieber Leser

Ein Herr beklagt sich: «Am Strand hatte es viele ältere Frauen. Oben ohne. Nicht sehr ästhetisch.» Ein anderer fleht geradezu: «Könnte jemand dem Koch erklären, dass die Haut am Poulet das Beste ist und nicht weggeschmissen werden sollte?» Diese Sätze stammen aus Online-Hotelbewertungen. Es sind Extrembeispiele, klar.

Und Sie: Wie waren Ihre Ferien? Konnten Sie sich erholen? Oder glich der Charter einer fliegenden Sardinenbüchse? Entpuppte sich die «zentrale Lage» als Ort direkt an der lärmenden Durchgangsstrasse? – Hand aufs Herz: Ob Flug, Hotel, Mietwagen oder Restaurant – jeder war schon unzufrieden. Ich schliesse mich nicht aus. Und füge an: Probleme haben wir! Für den Polterabend jetten wir nach Mallorca, für das Weihnachtsshopping nach New York. Und dann ärgern wir uns über solche Lappalien. Willkommen im 21. Jahrhundert! Gut möglich, dass unsere Grosseltern nie im Ausland waren. Wenn, dann höchstens einige wenige Male. Vom Erlebten erzählten sie mit leuchtenden Augen. Wir Vielgereisten jedoch schimpfen über dieses und jenes.

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Paradox unserer Wohlstandsgesellschaft
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Ferienenttäuschungen sind ein Musterbeispiel für das Paradox unserer Wohlstandsgesellschaft: Wir geniessen herrliche Annehmlichkeiten und realisieren es nicht. Im Gegenteil, wir beklagen uns. Zweifelsohne: Wir arbeiten hart, dafür dürfen wir uns Luxus leisten. Mitunter aber könnten wir unser Glück etwas bewusster wahrnehmen. Wir leben in einem wohlhabenden und sicheren Land – einem schönen obendrein. Wir haben einen interessanten Job und ein lauschiges Zuhause. Wir können uns entspannende Hobbys leisten – und Ferien. Kurz: Es geht uns verdammt gut!

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und mir, dass wir möglichst viel Energie aus dem Urlaub in den Alltag mitnehmen. Aber auch, dass wir unsere komfortable Lage etwas bewusster wahrnehmen und geniessen.

Toni Bussmann

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