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… titelte einst der Schriftsteller Ernest Hemingway. An dieser Stelle folgt keine literarische Auseinandersetzung mit dem Roman. Es geht um Krisen und Krisenkommunikation. Was sind Krisen und warum haben sie Hochkonjunktur? Warum geraten immer häufiger KMU-Betriebe in den Strudel einer Krise? Lassen sich Krisen vorab erkennen oder gar verhindern? Wie funktioniert wirksame Krisenkommunikation in der Praxis, und lässt sich eine Krise tatsächlich als Chance nutzen? Eine praxisbezogene Anleitung.

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1. Einleitung
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Es gibt Krisen und es gibt Katastrophen – aber nicht jede Krise ist gleich eine Katastrophe. Bei einer Krise kommen nach einem Ereignis Prozesse in Gang, bei denen massive Folgewirkungen in der Lage sind, einem Unternehmen oder Protagonisten massiven Schaden zuzufügen und im äussersten Fall die Existenz zu bedrohen. Eine Katastrophe definiert sich ähnlich, es kommt aber hinzu, dass die Bewältigung deutlich mehr Ressourcen benötigt, insbesondere auch eine systemübergreifende Zusammenarbeit und Unterstützung, zum Beispiel mit Blaulichtorganisationen. Unabhängig von theoretischen Begriffsfindungen gilt, dass jede Krise ihren Ursprung in einem Risiko hat. Und es ist erheblich angenehmer, sich frühzeitig mit Risiken zu befassen, als später mit den Folgen einer Krise oder Katastrophe.

Der Umgang mit Risiken hat sich etabliert. Grössere Unternehmen beschäftigen ganze Abteilungen dafür und sprechen auf Neudeutsch von Risk Management. Doch auch bei kleineren und mittleren Unternehmen (KMU) setzt sich das Risikomanagement zunehmend durch – dabei reicht es je nach Unternehmensgrösse schon, ein wirksames Controlling implementiert zu haben. Doch weder das operative noch das strategische Controlling kümmert sich im Regelfall um die Reputationsrisiken für ein Unternehmen und seine Protagonisten. Klar, grössere Organisationen leisten sich eine Unternehmenskommunikation. Dort gehört dann eine adäquate Krisenprävention, also die angemessene Vorbereitung auf mögliche Krisenszenarien ins Pflichtheft, ebenso ein Plan, wie alle notwendigen Kommunikationsmassnahmen in der Krise wirksam umgesetzt werden.

Doch wie sieht es heute bei kleinen und mittleren Unternehmen tatsächlich aus? Unternehmen also, die üblicherweise keine Unternehmenskommunikation haben, im besten Fall «nur» eine Marketing- oder PR-Abteilung? Die Realität zeigt leider, dass man Reputationsrisiken oft schlicht ignoriert oder das Prinzip Hoffnung vorherrscht: Wir wissen dann schon irgendwie, wie es gehen wird – falls überhaupt jemals etwas passieren sollte. Das reicht aber zunehmend nicht mehr aus. Immer mehr KMU ohne grossen öffentlichen Bekanntheitsgrad geraten in einen medialen Strudel oder werden zum Opfer eines viel zitierten «Shitstorms» (ein englischer Begriff, der mittlerweile fast so deutsch ist wie «Handy»). Die Risiken, die sich dabei ergeben, sind nicht zu unterschätzen. Im Extremfall kann es rasch um existenzielle Fragen gehen, wenn zum Beispiel der Umsatz quasi über Nacht wegbricht, weil sich Grosskunden die Zusammenarbeit reputationsmässig nicht mehr leisten können und wollen. Doch es braucht nicht immer einen Vorfall oder Zwischenfall, um den Nährboden für Krisen zu schaffen. Als Beispiel bietet die aktuelle konjunkturelle Entwicklung in der Schweiz (nicht nur der starke Schweizer Franken) ideale Bedingungen für Krisen in KMU. Typische Umstände sind Restrukturierungen, Effizienzsteigerungsprogramme, Fusionen, Unternehmensverkäufe, Nachfolgeregelungen usw. – nämlich dann, wenn die Krise durch ungeschicktes Agieren, falsche oder fehlende Kommunikation quasi selbstverschuldet produziert wird.

Was also tun? Wer nun allen KMU den Aufbau einer professionellen Unternehmenskommunikation oder gar dicke Krisenhandbücher empfiehlt, der irrt gewaltig. Wenn es um die Prävention oder Bewältigung von Krisen geht, muss man die (Reputations-)Risiken und die Dynamik einer Krise verstehen und vor allem Verbündete haben.

Und wer kommt da idealerweise auch in Frage? Sie ahnen es bereits: Treuhänderinnen und Treuhänder können eine bedeutende Rolle spielen. Naturgemäss befassen sich Treuhandexperten eh schon dauerhaft mit Chancen und Risiken für ihre Kunden, zwar in erster Linie basierend auf Zahlen, aber eben nicht nur. Treuhandexperten werden oft als erste externe Person herangezogen werden, wenn ein KMU – drücken wir es positiv aus – vor grösseren Herausforderungen steht. Denn der Treuhänder kann im eigentlichen Sinne seiner Aufgabe eine wichtige Vertrauensperson für ein KMU sein.

Der vorliegende Fachbeitrag richtet sich dementsprechend an Treuhänderinnen und Treuhänder, die ihre Verantwortung als Vertrauensperson um die Facette Krisen und Krisenkommunikation erweitern wollen. Es geht um das Verständnis dafür, warum es Krisen gibt und wieso immer mehr, was man präventiv tun kann und darum, wie man sich in der Initialphase einer Krise möglichst richtig verhält. Sozusagen ein Krisen-Notfallset für die ersten Stunden mit einer kurzen Zusammenfassung der wichtigsten Grundsätze im letzten Abschnitt.

Sie werden feststellen, dass manchmal viel zu tun ist, damit nichts passiert. Wenn dann doch etwas passiert, ist weniges zu tun, aber das richtig.

In einem ersten Schritt geht es um das Verständnis, warum Krisen überhaupt entstehen, und vor allem um die Frage, warum sie heute viel rascher entstehen als noch vor einigen Jahren – eine Entwicklung, die oft unterschätzt wird.

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2. Krisen in der Hochkonjunktur der Skandalisierung
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Skandale sind en vogue, grosse sowieso. Nehmen wir den VW-Abgasskandal als Beispiel: Er füllte über Wochen die Titelseiten nicht nur der deutschen Zeitungen und bot Gelegenheit für abendfüllende Diskussionssendungen auf allen Kanälen. Und er ist noch lange nicht ausgestanden: Weiterhin halten neue Erkenntnisse, Vermutungen und Spekulationen das Feuer am Brennen. Zweifelsohne ein Fall mit weitreichenden Konsequenzen. Nicht nur ist die Reputation eines Unternehmens, ja sogar einer ganzen Nation sozusagen «zerbeult». Es stehen auch Tausende Arbeitsplätze auf dem Spiel – und nicht zuletzt geht es um unvorstellbar viel Geld. Am Ende werden vielleicht sogar existenzielle Fragen aufgeworfen. Verständlich also, dass ein solches Thema in aller notwendigen Tiefe (wie auch flacher) abgehandelt wird. So weit, so gut, wird man sagen: Ein Konzern wie VW ist ja auf Krisen vorbereitet und es gilt: grosses Unternehmen – grosse Krise.

Haben kleine Unternehmen dann auch nur kleine Krisen? Mitnichten. Heute kommt auch ein ganz kleines Unternehmen rasend schnell auf die Titelseite einer grossen Zeitung, und eben nicht nur dann, wenn es ein grosses Problem hat. Immer mehr, und das ist der herausfordernde Kern der Entwicklung, entstehen heute aus Randnotizen grosse Geschichten. Doch woher kommt diese Entwicklung von der buchstäblichen Mücke zum Elefanten?

Zwei grosse Trends sind entscheidende Ursachen.

1. Wirtschaftlicher Druck auf die Medienhäuser

Die Medienlandschaft hat sich in den letzten 10, bald 20 Jahren fundamental transformiert. Die klassischen Massenmedien (Zeitungen, Zeitschriften, Radio und Fernsehen) hat die Konkurrenz der Onlinemedien buchstäblich überrollt. Onlinemedien erfreuen sich einerseits grosser Beliebtheit, weil die Kommunikation mit den Lesern praktisch in Echtzeit erfolgen kann, dank mobiler Kommunikation (Smartphones, Tablets usw.) immer mehr orts- und zeitunabhängig. Andererseits sind Onlinemedien meist gratis. Dies trägt zu einem Preisverfall für News bei und damit zu der neuen Vorstellung, dass sie eigentlich kostenlos seien. Damit erklärt sich übrigens auch der Erfolg der Gratiszeitung 20 Minuten.

Das veränderte Nutzungsverhalten und die Vorstellung der kostenlosen News haben zu einem Paradigmenwechsel im Konsum der Medien geführt: Immer weniger Leute lesen heute noch Zeitungen, geschweige denn wollen dafür zahlen. Die Leser- und Abonnentenzahlen bei den Zeitungen sind dramatisch gesunken, was auch weniger Werbeeinnahmen bedeutet. Trotz aller Konsolidierung der Medienlandschaft kämpfen die Medien heute mehr denn je um jeden Leser und am Ende des Tages gar ums wirtschaftliche Überleben.

2. Soziale Medien hebeln die klassische Rollenverteilung zwischen Sender und Empfänger aus

Wir alle sind im digitalen Zeitalter nicht mehr nur Empfänger einer Nachricht. Dank der sozialen Netzwerke Facebook, YouTube, Twitter, Instagram & Co. sind wir als Nutzer heute in der Lage, auch zum Sender von Inhalten oder eben News zu werden – und zwar durch die mobile Kommunikation so gut wie unabhängig von Ort und Zeit. Im Zeitalter, wo geteilt, «geliket» und kommentiert wird, sind wir damit alle potenzielle Absender und Multiplikatoren in der Verbreitung von News. Ein Beispiel ist die Explosion in einer kleinen Chemiefirma in Pratteln Mitte Februar 2016. Die ersten Infos und Bilder gab es nicht in den klassischen Medien, sondern von Augenzeugen, die das Ereignis fotografierten und auf Twitter verbreiteten – innerhalb von Minuten und wie ein Lauffeuer.

Das bedeutet, dass die Hoheit bei der Verbreitung von News nicht mehr bei den traditionellen Massenmedien liegt, sondern eben bei jedem von uns. Nicht selten entsteht ein Skandal heute in den sozialen Medien. So verbreiten sich auch lokale und kleine Themen im Netz rasant schnell und können rasant zu einem grossen Thema werden. Umgangssprachlich sprechen wir dann von einem «Shitstorm». Und ist ein Shitstorm erst gross genug, erzeugt er die nötige Relevanz dafür, auch in die klassischen Massenmedien überzuschwappen. Damit ist nicht mehr so sehr die Brisanz eines Themas für seine Verbreitung relevant, sondern plötzlich vorwiegend die Anzahl der Interessierten.

In der Kombination haben diese beiden Entwicklungen eine erhebliche Sprengkraft. Auf der einen Seite haben wir die klassischen Medien, die aufgrund des wirtschaftlichen Drucks (Weniger Leser = weniger Abos. Weniger Leser und Abos = weniger Werbeeinnahmen) mehr denn je auf der Suche nach dem Skandal sind: Eine Skandalschlagzeile verkauft sich immer besser als die Schönwetterüberschrift. Auf der anderen Seite bieten die sozialen Medien heute jedem die Möglichkeit, jederzeit einen (vermeintlichen) Skandal ins Rollen zu bringen. So werden heute schneller denn je aus Mücken Elefanten gemacht.

Überträgt man diese Entwicklung nun auf mittelständische Unternehmen, so zeigt sich ein völlig neues Krisenpotenzial. Ein Restaurant mit einem Salmonellenfall war früher im dümmsten Fall ein regionales Thema für eine gewisse Zeit. Heute schafft es ein solcher Fall deutlich schneller in die überregionalen oder nationalen Schlagzeilen. Und das oft mit den sozialen Medien als Brandbeschleuniger, wenn etwa Restaurantbesucher noch Fotos vom Essen, ausgeschmückte Geschichten oder dergleichen in Umlauf bringen. Ein anderes Beispiel: Ein Mitarbeiter beschwert sich in den sozialen Netzwerken über die Art und Weise seiner Entlassung – ein tägliches Einzelschicksal mit gar keiner Relevanz für die breite Öffentlichkeit. Durch die Verbreitung im Netz entsteht aber eine Welle der Solidarisierung und eine kollektive Empörung über das Verhalten des Unternehmens. Und plötzlich steht die Firma oder gar der Chef persönlich auf der Anklagebank der Öffentlichkeit. Von dort aus schwappt die Empörung in die klassischen Medien – voilà, ein neuer Skandal ist geboren, völlig ungeachtet irgendeiner «echten» Relevanz für die Öffentlichkeit. Es reicht alleine die Macht der grossen Anzahl an Empörten. Man wird nun entgegnen können, dass zugleich auch die Halbwertszeit solcher vermeintlicher Skandale erheblich abgenommen hat. Das stimmt wohl, das Problem ist nur, das Internet vergisst nie. Skandale finden sich noch Jahre später im Netz. Und deshalb sind auch «kommunikative Eintagsfliegen» nicht ungefährlich.

Wichtiger denn je ist es also auch für KMU, sich wenigstens rudimentär mit potenziellen Risiken und Krisen auseinanderzusetzen. Am besten beginnt man mit der Frage, auf welche Risiken ein Unternehmen realistischerweise stossen kann.

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3. Eine pragmatische Bewertung der Risiken
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Welche Risiken ein Unternehmen hat und ob daraus eine Krise entstehen kann, muss immer im Einzelfall beurteilt werden. Allgemein gesprochen ist die Liste der möglichen Risiken sehr lang. Da gibt es zum Beispiel Produktrisiken wie Produktfehler oder gar einen Rückruf, betriebliche Risiken wie Stromausfall, IT-Panne oder Transportausfall – aber auch Umsatzrückgang, Restrukturierungen, Fusionen, Stellenabbau, Korruption und Veruntreuung zählen zum langen Katalog der denkbaren Risiken.

Auch ein KMU kann ohne grossen Aufwand eine Liste aller möglichen Risiken erstellen. Sich auf alle eventuellen Risiken und die damit verbundenen möglichen Krisen vorzubereiten, führt aber zu weit. Empfehlenswert ist vielmehr, sich mit denjenigen Krisen zu befassen, von denen die grösste Gefahr für das Unternehmen ausgeht. Für eine solche Risikobewertung ist es essenziell festzulegen, welchem Krisentyp ein Risiko zuzuordnen ist. Die Lehre1 unterscheidet drei Krisentypen aus Sicht des betroffenen Unternehmens. Relevant für die Beurteilung des Risikos ist dabei die wahrgenommene Verantwortung des betroffenen Unternehmens.

  1. Die Opferkrise: Dazu gehören Krisen, die natürliche Katastrophen, höhere Gewalt oder Dritte auslösen, beispielsweise, wenn ein Produktionsgebäude von einem Erdrutsch unterspült wird, sodass die Produktion mehrere Wochen unterbrochen wird. Wie der Begriff schon sagt, ist das betroffene Unternehmen hier Opfer. Die Zuweisung der Schuld ist folglich sehr gering und damit in der Regel auch das Reputationsrisiko und der mögliche Reputationsschaden.
  2. Die Unfallkrise: Ein Beispiel ist ein Stromausfall nach Baggerarbeiten vor dem Gebäude. Die Betroffenen weisen dem Unternehmen und seinen Verantwortlichen zwar nicht die ganze, aber doch eine moderate Schuld zu. Daraus resultieren ein entsprechend moderates Reputationsrisiko und ein ebenso moderater Reputationsschaden.
  3. Vermeidbare Krise: Bei der vermeidbaren Krise weisen die Betroffenen dem Unternehmen eine signifikante Verantwortung zu, weil sie davon ausgehen, dass die Krise mit einem verantwortungsvollen und umsichtigen Verhalten zu vermeiden gewesen wäre. Ein Beispiel ist ein Personalabbau wegen zu spät initiierter Restrukturierungsmassnahmen. Das Reputationsrisiko und damit der Reputationsschaden sind erheblich.

Für ein KMU reicht es völlig aus, die erwähnte Liste der möglichen Krisenherde auf den Typus «vermeidbare Krise» und allenfalls noch «Unfallkrise» zu beschränken. Denn dort lauern die grössten Risiken für die Reputation.

Doch Vorsicht: Eine Krise entwickelt sich nicht starr. So kann im Laufe der Ereignisse aus einer Opferkrise eine vermeidbare Krise werden. Das passiert in vielen Fällen dann, wenn das betroffene Unternehmen die Krise nicht wirksam anpackt und entsprechend ungeschickt agiert und kommuniziert.

Beispiel
Das Unternehmen X darf wegen eines plötzlichen Wirtschaftsembargos gegen das Land Y seine Produkte nicht mehr dorthin exportieren. X verliert 50 % seines Umsatzes und muss in der Folge 25 Mitarbeitende entlassen. Bis zu diesem Punkt der Geschichte macht niemand dem Unternehmen einen Vorwurf – es kann von einer Opferkrise ausgegangen werden. Der Personalabbau erfolgt dann aber unkoordiniert: Die Mitarbeitenden erfahren zuerst aus der lokalen Presse vom Abbau, es dauert Wochen, bis klar ist, wer genau betroffen sein wird, und das Unternehmen verweigert zudem die Gespräche mit der Personalvertretung. Plötzlich steckt das Unternehmen in einer vermeidbaren Krise. Es geht nämlich nicht mehr um den Stellenabbau per se, sondern darum, wie das Unternehmen mit seinen Mitarbeitenden umgeht. Wer dann noch argumentiert, der Stellenabbau erfolge doch nur aufgrund eines Embargos, wofür man schliesslich nichts könne, der begibt sich ins kommunikative Abseits. Eine vermeidbare Krise ist geboren und mit ihr das Risiko eines erheblichen Reputationsschadens.

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4. Gibt es Krisenprävention?
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Ja, die gibt es, und es lohnt sich durchaus, sich damit etwas ausführlicher zu befassen. Erfahrungsgemäss ist es erheblich angenehmer, einen Scherbenhaufen zu verhindern, als ihn aufzuräumen. Krisenprävention setzt auf zwei Ebenen an: Zum einen geht es um die Überwindung menschlicher Reflexe, zum anderen um die Implementierung einfacher Frühwarnsysteme.

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Überwindung menschlicher Reflexe
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Der Mensch verhält sich in Krisen oft stereotypisch falsch – fast so, als gehöre das zum Pflichtstoff in der Schule. Doch die Ursache reicht vermutlich weiter zurück, wir verhalten uns nämlich schon als Kinder so. Die Frage ist: Warum gehen viele Betroffene immer noch davon aus, mit einem «kein Kommentar» eine Angelegenheit unter den Teppich kehren zu können? Wo es doch jeden Tag zahlreiche Beispiele gibt, dass das eben nicht funktioniert.

Vermutlich liegt die als menschlicher Reflex zu sehende Abwehrhaltung sogar in unseren Genen. Sie lässt sich ja schon bei kleinen Kindern wunderbar beobachten. Nimmt ein Kleinkind ungefragt Schokolade aus dem Küchenschrank und wir konfrontieren es etwas druckvoll damit, wird es den «Diebstahl» im Regelfall zunächst abstreiten. Es sei denn, ihm fällt spontan eine gute Ausrede ein oder jemand anders, der schuld sein könnte. Kleinkinder machen manchmal sogar die Augen zu, um selbst nicht mehr gesehen zu werden. Im übertragenen Sinne beobachten wir das auch in der Welt der Krisenkommunikation: Abstreiten, Schuldzuweisungen oder gar ein «no comment» bleiben beliebte Versuche der initialen Krisenkommunikation – die zum Scheitern verurteilt sind. Wer an der Stelle die menschlichen Reflexe nicht durchbricht, gerät aber in den Teufelskreis der Skandalisierung (vgl. Abbildung 1).

Der menschliche Reflex verleitet uns dazu, Probleme zunächst zu unterschätzen – gerade deshalb, weil sie aus einer Innensicht harmloser beurteilt werden. Relevant ist aber nicht die Innensicht, sondern die Aussensicht: Wie beurteilen unsere Kunden, Mitarbeitenden, Lieferanten usw. unser Handeln? Eine Unterschätzung führt dazu, dass wir eine falsche oder, noch schlimmer, gar keine Antwort auf die sich stellenden Fragen geben. Das führt zu Irritationen und Misstrauen bei den Anspruchsgruppen – der Druck wächst. Medien beginnen intensiver zu recherchieren, was den Druck aufs Unternehmen weiter ansteigen lässt. Druck erzeugt Gegendruck, und viele Betroffene lassen sich dann zu Beschönigungen hinreissen. Das bewirkt aber gerade das Gegenteil: Der Aufschrei wird grösser und der Druck steigt weiter an, bis er dann gross genug ist und sich zum Skandal aufbaut. Danach geben betroffene Unternehmen scheibchenweise zu, was alles schiefgelaufen ist. Manchmal reicht das noch – manchmal ist es aber auch zu spät und Kunden springen ab, der Umsatz schrumpft, Rücktrittsforderungen werden laut und die mehr oder weniger Verantwortlichen müssen den Sessel räumen.

Die besondere Tragik daran ist der häufig beobachtete Umstand, dass der eigentliche Skandal und seine Folgen nicht auf dem Ursprungsproblem beruhen, sondern auf nachgelagertem Fehlverhalten. Gerade das wäre ja eigentlich gezielt zu verhindern.

Nur wenn es gelingt, die natürlichen menschlichen Reflexe zu überwinden, schafft man die Grundlage dafür, eine Krise im besten Fall zu verhindern – oder sie nicht unnötig zu verstärken, zumindest nicht zu verlängern. Eigentlich ein einfaches Rezept, doch direkt Betroffenen fällt das im Regelfall sehr schwer. Hier kommt den externen Vertrauten eine zusätzliche wichtige Rolle zu. Sie sind als neutrale Aussenstehende kein Teil des Teufelskreises und dadurch erheblich besser in der Lage, die Aussensicht einzunehmen und zu beurteilen, wie das Verhalten wirkt.

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Implementierung einfacher Frühwarnsysteme
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Unternehmen, die eine Krise erleben oder sogar überlebt haben, hört man immer wieder sagen: «Warum haben wir das nicht kommen sehen? Es war doch völlig klar, dass das Wellen werfen wird» – nun ja, hinterher ist man gemeinhin immer schlauer. Die Vorwarnung alleine macht den Erfolg nicht aus, aber immerhin lässt sich verhindern, dass man völlig unvorbereitet auf dem falschen Fuss erwischt wird. Die Frage ist also, ob es eine Art Radargerät gibt, das mich vor Krisen warnen kann. Ja, das gibt es, und zwar Folgendes:

  • Anlaufstelle für Mitarbeitende

Der feinste Frühwarn-Seismograf sind im Regelfall die Mitarbeitenden. Doch abhängig von der Führungsstruktur und -kultur verhindern Unternehmen in vielen Fällen, dass das Wissen um Probleme oder latente Risiken wirksam genutzt wird. Oft fehlen nämlich geeignete interne Anlaufstellen oder Vorgesetzte tragen Hinweise aus Angst vor dem Überbringen schlechter Nachrichten nicht nach oben. Dabei sollte gemeinhin gelten: Don’t shoot the messenger. Deshalb ist es ratsam, eine Unternehmenskultur zu fördern, die mit Schwächen so transparent und offen umgeht, dass sie jederzeit und ohne Angst vor Repressalien adressiert werden können. Als Minimalanforderung soll es eine Anlaufstelle geben, an die man sich zur Not auch anonym wenden kann. Das muss in kleinen Unternehmen nicht gleich eine Ombudsstelle sein. Oft reicht schon eine einfache interne Mailadresse (z.B. mein.feedback@muster-ag.ch).

  • Anlaufstelle für Kunden

Völlig egal, ob im B2B- oder B2C-Bereich2: Kunden müssen ein Unternehmen erreichen können, um bei Bedarf rasch und unkompliziert Fragen und Kritik anbringen zu können. Unternehmen, die Anregungen oder Kritik erfassen, sind eher in der Lage festzustellen, ob sich ein Kundenproblem von einem Einzelfall zu einem grösseren Problem ausweiten kann. Man stelle sich vor, dass Dutzende Kunden dasselbe Problem mit einem Produkt haben, aber das Unternehmen nicht erreichbar ist oder auf die Kunden nicht oder nur unzureichend eingeht. Dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis vereinzelte Kunden einen anderen Weg finden, um Aufmerksamkeit zur Problemlösung zu erlangen. Ein gerne verwendeter Weg geht über die Medien. Kassensturz & Co. leben davon.

  • Medienmonitoring

Ein Unternehmen ist gut beraten, wenn es die Medien (Online und Print) nach Erwähnungen seines Namens, seiner Produkte und der Unternehmensführung screent. Heute gibt es kosteneffiziente Systeme, um sieben Tage die Woche die Medien in der Schweiz oder bei Bedarf auch im Ausland nach definierten Begriffen zu durchsuchen. Vergleichbare Systeme gibt es auch für soziale Medien. Ein Unternehmen kann so frühzeitig davon erfahren, wenn es selbst, ein Grosskunde oder ein Lieferant in den Medien erwähnt wird. Im Regelfall reicht das blosse Wissen aus. Aber wenn es darauf ankommt, kann das Medienmonitoring zu einem unverzichtbaren Frühwarnsystem werden. Wer früh genug gewarnt wird, hat genügend Zeit, entsprechende Massnahmen zu treffen.

Ein praxistaugliches Frühwarnsystem ist also ohne grossen Aufwand sicherzustellen. Wer einen Informationsvorsprung hat, gewinnt nicht nur Zeit, sondern auch den Raum dafür, geeignete Massnahmen einzuleiten, um eine Krise je nach Situation einzudämmen und im besten Fall gar zu verhindern.

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5. Wirksame Krisenkommunikation
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Lässt sich eine Krise nicht rechtzeitig abwenden, braucht es unter anderem eine wirksame Krisenkommunikation – «unter anderem» deshalb, weil Krisenkommunikation in der Praxis immer nur richtig wirkt, wenn sie Hand in Hand mit einem adäquaten Krisenmanagement (also der Führung, Planung und Organisation der entsprechenden Prozesse zur Bewältigung einer Krise) und bei Bedarf mit einer Care-Leistung (der Betreuung der direkt oder indirekt betroffenen Personen) arbeitet. In der Praxis spricht man von den drei C Command, Communications and Care (vgl. Abbildung 2). Im vorliegenden Beitrag wird allerdings, wie erwähnt, nur der Aspekt der Krisenkommunikation beleuchtet.

Die Krisenkommunikation selbst umfasst ebenfalls drei Erfolgsfaktoren: den richtigen Inhalt, die passende Form und einen geeigneten Botschafter.

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Der Inhalt
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  • Betroffenheit zeigen: Guter Inhalt lebt zunächst davon, dass ein Unternehmen seine Betroffenheit zum Ausdruck bringt – egal, ob es sich um eine Opfer-, Unfall- oder vermeidbare Krise handelt. Man darf aber Betroffenheit keinesfalls mit Schwäche oder einem Schuldeingeständnis verwechseln. Vielmehr geht es darum, sich auf Augenhöhe mit den Betroffenen zu begeben. Dazu gehören Formulierungen wie beispielsweise: 
    – Wir müssen leider bestätigen, dass …
    – Wir bedauern sehr, dass …
    – Wir können den Unmut / Ärger sehr gut nachvollziehen …
    – Wir würden an Ihrer Stelle genauso reagieren …
  • Nur Fakten kommunizieren: Ein zentraler Aspekt ist, nur Fakten zu kommunizieren. Eine Beteiligung an Spekulationen ist gefährlich und führt unweigerlich dazu, sich in Widersprüchlichkeiten zu verwickeln. Das Ergebnis ist ein Verlust der Glaubwürdigkeit. Wer sich an Fakten hält, bleibt auf der sicheren Seite. Diese Fakten müssen einfach und verständlich dargelegt werden. Komplizierte und verklausulierte Formulierungen verwirren und erhöhen das Misstrauen.
  • Keine Salamitaktik – Transparenz schaffen: Beim richtigen Inhalt geht es auch darum, nicht nur gerade das zuzugeben, was ohnehin schon bekannt ist. Sonst setzt man sich schnell dem Vorwurf einer «Salamitaktik» aus. Naturgemäss kommt ohnehin alles ans Licht. Es geht also darum, aktiv alle sich stellenden Fragen der Betroffenen zu beantworten. Dort, wo es noch keine Antworten gibt, soll man klar aufzeigen, dass man sich die Fragen auch stellt und nach den Antworten sucht. Wer mehr zugibt, als unmittelbar notwendig ist, schafft nicht nur Glaubwürdigkeit, sondern übernimmt auch wieder schrittweise die Kommunikationshoheit.
  • Kritik ernst nehmen: Kritik formulieren meist Kunden, Mitarbeitende oder die Öffentlichkeit. Weil sie oft von Subjektivität lebt, muss man Kritik immer aus der Sicht des Kritisierenden einschätzen. Nur diese Sichtwechsel ermöglichen es, Kritiker zu verstehen und im weiteren Verlauf die richtigen Massnahmen zu finden
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Die Form
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  • Aktiv und rasch kommunizieren: Zur richtigen Form gehört zunächst eine schnelle Reaktion. Wer nicht kommuniziert, für den wird kommuniziert. Daher gilt es, möglichst schnell eine initiale Kommunikation zu lancieren – so sehr es auch verlocken mag, zunächst einmal nichts zu sagen und abzuwarten, bis vielleicht mehr Fakten auf dem Tisch liegen, oder gar darauf zu hoffen, dass der Sturm doch noch schadlos an einem vorbeizieht. Als Faustregel gilt: Rund eine Stunde nach einem akuten Ereignis erfolgt die erste Kommunikation, wenn auch nur in Form einer kurzen Bestätigung. Bei einem weniger akuten Ereignis (z.B. einem negativen Zeitungsartikel) binnen zwei bis vier Stunden. Zu diesem Zeitpunkt werden sicherlich viele Fragen offen sein. Aber es geht darum zu zeigen, dass Sie daran arbeiten. Sobald wie möglich erfolgt eine kontinuierliche und proaktive Information aller Betroffenen über neue Erkenntnisse und Entwicklungen.

Nicht zu kommunizieren bewirkt im Regelfall das Gegenteil. Eine alte Weisheit der Kommunikation besagt: Man kann nicht nicht kommunizieren.3 Wer also nichts sagt, sagt unter Umständen sehr, sehr viel und öffnet den Raum für Spekulationen. Diese später zu korrigieren, zählt zu den ganz grossen Herausforderungen der Kommunikation. Wer aber aktiv und rasch kommuniziert, der dämmt das Risiko von Spekulationen erheblich ein und sichert sich so den Kommunikations-Lead.

  • Die Wahl der richtigen Kommunikationskanäle: Zur Form gehört, auf welchen Kanälen die Kommunikation stattfindet. In der Regel kann man die bestehenden Kanäle nutzen, also Website, Intranet, Kundenmailings, Mitarbeiterinfo, Pressemitteilung, Social-Media-Kanäle usw. Dabei ist wichtig, dass nicht nur die unmittelbar Betroffenen informiert werden. Auch wichtige Multiplikatoren und Botschafter müssen im Besitz der aktuellen Informationen sein. Mitarbeitende werden beispielsweise in ihrem beruflichen und privaten Umfeld auf ein Ereignis angesprochen und müssen bei Bedarf ebenfalls Auskunft geben können.
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Der Botschafter
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Wenn der Inhalt und die richtige Form festgelegt sind, geht es um die Frage, wer der Absender der Kommunikation ist – nicht nur das Unternehmen, sondern auch das Gesicht. Ein allgemeiner Grundsatz lautet: Krisenkommunikation ist Chefsache. Klingt eigentlich ganz einfach, doch ganz so simpel ist es nicht. Konsequenterweise müsste also in einer Krise immer der Verwaltungsratspräsident, mindestens aber der CEO Absender der Kommunikation sein. Das mag in vielen Fällen stimmen. Allerdings ist unter Umständen eine Rückfallebene sinnvoll, etwa dann, wenn ein latentes Risiko besteht, dass sich eine Krise noch ausweiten könnte. Dann ist es besser, eine Ebene tiefer anzufangen.


Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass alle drei Faktoren für eine wirksame Krisenkommunikation gleichbedeutend sind. Nur wer sie geschickt verbindet, kommuniziert in der Summe wirksam. Die Ursachen gescheiterter Krisenkommunikation liegen immer darin, dass einer der drei Faktoren nicht ausreichend berücksichtigt wurde.

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6. Die Krisen als Chance?
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Max Frisch hat einmal gesagt, «die Krise kann ein produktiver Zustand sein. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.» Und recht hat er.

Es gibt zahlreiche Bespiele dafür, wie man Krisen als Chance nutzt. Als Paradebeispiel in der Schweizer Krisenkommunikation wird immer noch der Flugzeugabsturz der Swissair 111 herangezogen, und das zu Recht. Swissair und allen voran die damalige Kommunikationschefin haben es verstanden, Inhalt, Form und Botschafter in den buchstäblichen Dreiklang zu bringen. Swissair stand bis zum Ende ihres Bestehens auch für den welt- und industrieweiten Benchmark punkto Sicherheit. Das hatte sie durchaus auch der guten Krisenkommunikation zu verdanken.

Zusammenfassend braucht es also gerade kein dickes Krisenhandbuch in der Schublade. Wenn der Sturm losbricht, kommt man ohnehin nicht viel weiter als ein paar Seiten.

Es reicht die Fähigkeit, eine Krise frühzeitig zu erkennen und ihr wirksam zu begegnen – sie trotz einer enormen Dynamik, dem vorübergehenden Verlust der Kontrolle über die Informationshoheit konstruktiv anzunehmen und mit kühlem Kopf ein paar einfache Rezepte zu berücksichtigen.

Der Treuhänder spielt im KMU-Bereich eine entscheidende Rolle und kann mit der notwendigen Aussensicht eine angemessene Krisenprävention und bei Bedarf eine initiale Krisenbetreuung sicherstellen.

Die Erfahrung lehrt: Treffen kann es jedes Unternehmen – unabhängig von Grösse und Branche. Eben «wem die Stunde schlägt …»

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7. Das Krisen-Notfallset
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  • Skandale werden heute in vielen Küchen und ohne viele Zutaten produziert – auch im eigenen Unternehmen.
  • Das Krisenpotenzial steigt stetig – treffen kann es jedes Unternehmen oder Einzelpersonen – immer mehr auch KMU.
  • Jedes Unternehmen sollte heute als Mindeststandard die Top-5-Risiken der vermeidbaren Krisen definiert haben.
  • Der grösste Feind wirksamer Krisenkommunikation sind wir selbst – wir müssen unsere menschliche Reflexe überwinden.
  • Frühwarnsysteme dämmen das Krisenrisiko erheblich ein.
  • Krisenkommunikation lebt vom richtigen Inhalt, der passenden Form und dem geeigneten Botschafter.
  • Jede Krise lässt sich als Chance nutzen – jede!
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  1. Ansgar Thiessen, Organisationskommunikation in Krisen, 2011.
  2. Die Bezeichnung B2B (Business-to-Business) wird allgemein für Beziehungen zwischen mindestens zwei Unternehmen benutzt. Im Gegensatz dazu steht B2C (Business-to-Consumer) für Beziehungen zwischen einem Unternehmen und Konsumenten, also Privatpersonen als Kunden.
  3. So die bekannte Formulierung von Watzlawik et al.
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