Im folgenden Artikel stellt der Autor dar, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um als Nichterwerbstätiger im Sinne der AHV-Beitragspflicht zu gelten. Dabei wird auch auf das Urteil des Bundesgerichts vom 1. Juli 2016 eingegangen, welches zu einer anderen Einschätzung gelangt als die Ausgleichskasse und das kantonale Versicherungsgericht.
«Es ist Sache der Versicherten, sich um ihre Beitragspflicht zu kümmern.» Dieser Satz findet sich unter anderem im Merkblatt 2.03 der AHV betreffend die Beiträge der Nichterwerbstätigen an die AHV, die IV und die EO. Mit diesem kurz und knackig gehaltenen Satz wird auf die gesetzliche Mitwirkungspflicht verwiesen. Wer einen Versicherungsschutz geniessen will – wozu auch eine ungekürzte Versicherungsleistung gehört – muss eine Versicherung abschliessen und die Beiträge lückenlos bezahlen. Viele Personen sind sich nicht im Klaren darüber, wann überhaupt eine AHV-Beitragspflicht als sogenannte Nichterwerbstätige beginnt und endet. Vor allem aber ist häufig unklar, ob eine erwerbstätige Person plötzlich doch – zumindest aus Sicht der AHV – als nicht erwerbstätig qualifiziert wird. Zu Letzterem hat sich das Bundesgericht in einem Urteil vom 1. Juli 2016 geäussert (BGE 9C_168/2016).
Die AHV unterscheidet zwischen Erwerbstätigen (selbständig oder unselbständig) und Nichterwerbstätigen. Als Erwerbstätigkeit gilt aus Sicht der AHV eine persönliche Tätigkeit, welche auf Erzielung von Einkommen gerichtet ist und zu einer Erhöhung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit führt. Ob eine Erwerbstätigkeit vorliegt oder nicht, bestimmt sich nach den tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen und Gegebenheiten. Es ist nicht von Belang, wie sich die Versicherten selber qualifizieren. Die «behauptete» Erwerbsabsicht muss – zumindest auf geltendes Landesrecht bezogen – aufgrund der konkreten wirtschaftlichen Tatsachen nachgewiesen sein. Vorbehalten bleibt hier der Fall einer internationalen Sozialversicherungsunterstellung, beispielsweise basierend auf dem auch für die Schweiz zwingend anzuwendenden EU-Koordinationsrecht gemäss Verordnung EG Nr. 883/2004, welche die sozialversicherungsrechtliche Unterstellung jeweils nur in einem einzigen Land vorsieht (Völkerrecht vor Landesrecht). Wesentliches Merkmal einer Erwerbstätigkeit ist im rein schweizerischen Verhältnis betrachtet eine planmässige Verwirklichung der Erwerbsabsicht in der Form von Arbeitsleistung.
Zum Beispiel gilt der Inhaber und einzige Mitarbeiter seiner Start-up-Aktiengesellschaft, welcher aufgrund der schlechten finanziellen Lage bis auf Weiteres mal auf jegliche Entlöhnung verzichtet, als nichterwerbstätig. Hier entsteht verständlicherweise ein gewisses Unbehagen, wenn man mit 200 Prozent Arbeitseinsatz ohne Lohn aus Sicht der AHV als Nichterwerbstätiger abgestempelt wird. Ohne Lohn, und damit ohne AHV-Beiträge geleistet zu haben, ist wohl aber unbestritten, dass eine Person mit Wohnsitz Schweiz zwar viel zu tun haben kann, jedoch aus Sicht der AHV als nichterwerbstätige Person eingestuft und beitragspflichtig wird.
Interessanter wird es, wenn ein Inhaber seiner eigenen GmbH eine Tätigkeit ausübt, es sich aber mangels Aufträgen nicht leisten kann, ein hohes Einkommen zu beziehen und gegenüber der AHV beitragsmässig abzurechnen. Gilt auch ein eher tiefes Einkommen – bei einem Pensum über 50 % – trotzdem noch als volle Erwerbstätigkeit? Dazu hat sich das Bundesgericht am 1. Juli 2016 in einem Urteil geäussert (BGE 9C_168/2016).
Die Beitragspflicht als Nichterwerbstätige bei der AHV beginnt ab dem 1. Januar nach Vollendung des 20. Altersjahres. Beendet wird die Beitragspflicht, wenn das ordentliche Rentenalter erreicht wird. Aktuell liegt dieses für Männer bei 65, für Frauen (noch) bei 64 Jahren.
Wer sich vorzeitig pensionieren lässt, bleibt also bis zum Erreichen des ordentlichen Rentenalters der AHV-Beitragspflicht unterstellt. Dies hat schon für viele Frührentner zu ungeplanten Nachzahlungen in die AHV geführt, selbstverständlich mit 5 % Verzugszinsen! Glücklich ist, wer seine Verzugszinssätze im Zeitalter von Negativzinsen in einer Verordnung festgehalten hat (Art. 41bis/ter i. V. m. Art. 42 Abs. 2 AHVV).
Als nichterwerbstätige Personen gelten gemäss Wegleitung über die Beiträge der Selbständigerwerbenden und Nichterwerbstätigen (WSN), Rz 2001 ff. unter anderem:
- vorzeitig Pensionierte, Teilzeitbeschäftigte, Partner von Pensionierten,
- Bezüger von IV-Renten, Empfänger von Krankentaggeldern,
- Verwitwete, Geschiedene, Partner von im Ausland erwerbstätigen Ehepartnern,
- Direktoren bzw. Geschäftsführer einer AG oder GmbH, welche keinen oder einen zu tiefen Lohn beziehen,
- Personen, welche ausschliesslich Verwaltungsratshonorare beziehen,
- Studierende, Weltreisende, Inhaftierte und Internierte,
- Mitglieder von religiösen Gemeinschaften,
- Beschränkt arbeitsfähige Versicherte, ausgesteuerte Arbeitslose,
- im Konkubinat lebende Personen, die ausschliesslich den gemeinsamen Haushalt führen,
- nichterwerbstätige Asylsuchende und vorläufig Aufgenommene, die als Flüchtlinge anerkannt sind, eine Aufenthaltsbewilligung erhalten oder einen Anspruch auf eine Rente haben,
- Versicherte, die zwar erwerbstätig sind, wo jedoch die abgerechneten AHV-Beiträge (Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeitrag) gesamthaft weniger als der jährliche Mindestbeitrag von 478 CHF betragen (entspricht einem Bruttojahreseinkommen von 4667 CHF),
- Versicherte, die weniger als neun Monate im Jahr (3/4 der Beitragsdauer von zwölf Monaten) oder weniger als 50 % der üblichen Arbeitszeit erwerbstätig sind. In solchen Fällen muss jeweils eine Vergleichsrechnung vorgenommen werden! Diesbezüglich sei auch auf die Ausführungen zur Vergleichsrechnung nach Art. 28bis Abs. 1 AHVV verwiesen, erschienen im TREX 2/2012, S. 96.
Nicht betroffen sind nichterwerbstätige Eheleute, sofern der andere Ehepartner bei der AHV als Erwerbstätiger gilt und dieser mindestens den doppelten Mindestbeitrag (2 × 478 CHF = 956 CHF) pro Jahr entrichtet (Art. 3 Abs. 3 AHVG). Wichtig: Diese Regelung gilt auch für das Kalenderjahr, in welchem eine Ehe geschlossen oder geschieden wird.
Im vorliegend zu beurteilenden Fall war der Beitragspflichtige mit einem Arbeitspensum von 57 % für eine GmbH tätig. Das daraus erzielte Nettoeinkommen pro Jahr (2007 bis 2010) betrug 19 200 CHF. Gemäss Angaben des Beitragspflichtigen wurde der Lohn deshalb in dieser Höhe angesetzt, damit darauf nicht Beiträge an die obligatorische berufliche Vorsorge entrichtet werden mussten (BVG, Eintrittsschwelle). Der Beitragspflichtige bezog – nebst diesem Lohn – bereits ein überdurchschnittlich hohes Renteneinkommen aus der beruflichen Vorsorge.
Die Ausgleichskasse begründete die vorgenommene Unterstellung als Nichterwerbstätiger wie folgt:
- der Beitragspflichtige sei auf die Erzielung des Erwerbseinkommens gar nicht angewiesen, da er den Lebensunterhalt für sich, seine nicht erwerbstätige Ehefrau und seine noch in Ausbildung stehenden Kinder auch ohne dieses Einkommen bzw. alleine mit der überdurchschnittlich hohen BVG-Rente hätte bestreiten können;
- seine Tätigkeit für die GmbH sei nicht darauf ausgerichtet gewesen, ein Einkommen zu erzielen, um seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu erhöhen.
Wie vorstehend erwähnt, war seine Ehefrau nicht erwerbstätig. Da der Ehemann mit einem jährlichen AHV-pflichtigen Einkommen von 19 200 CHF bzw. den darauf basierenden Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen von rund 1980 CHF mehr als den doppelten Mindestbeitrag bezahlt hat, war seine Ehefrau bisher automatisch mitversichert.
Mit dem Entscheid der Ausgleichskasse, den Ehemann als Nichterwerbstätigen zu qualifizieren, galten danach die Beiträge seiner Ehefrau ebenfalls als nicht mehr bezahlt. Die Ehefrau wurde in der Folge ebenfalls der Beitragspflicht als Nichterwerbstätige unterstellt. Das kantonale Versicherungsgericht schützte die Auffassung der Ausgleichskasse bzw. der Verwaltung.
So viel vorweg: Das Bundesgericht hat das Beitragsstatut als Nichterwerbstätiger verneint und damit den Entscheid des kantonalen Versicherungsgerichts «gekippt».
Im Urteil hält das Bundesgericht fest, dass weder das hohe Renteneinkommen noch der vergleichsweise tiefe Lohn des Beitragspflichtigen die Annahme einer Erwerbsabsicht im AHV-beitragsrechtlichen Sinn ausschliesst. Auf die Feststellung der Vorinstanz, dass es die Honorareinnahmen erlauben würden, einen deutlich höheren Lohn zu beziehen, wurde vom Bundesgericht nicht eingegangen, da es im vorliegenden Fall um die Festlegung des Beitragsstatuts (unselbständig oder nicht erwerbstätig) und nicht um das Beitragssubstrat gehe. Grundsätzlich – und das ist eine wichtige Aussage des Bundesgerichts – erhöhe aber jedes Einkommen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, egal wie gering es, verglichen mit Einkünften aus einer anderen erwerblichen Tätigkeit oder Vermögenserträgen, auch sein mag.
Das Bundesgericht verwies im Weiteren auf Folgendes: «Wer Beiträge in der Höhe des Minimalbeitrags oder mehr entrichtet, ist nach dem Willen des Gesetzgebers stets als Erwerbstätiger zu erfassen, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob er über Vermögen oder Renteneinkommen verfügt und darauf mehr Beiträge als auf dem Erwerbseinkommen zu bezahlen hätte (BGE 115 V 161 E. 6c – d S. 167 f.). Die gegenteilige Auffassung bedeutete, dass allen Versicherten, die es sich leisten könnten, überhaupt nicht (mehr) erwerbstätig zu sein, von vornherein der Erwerbstätigenstatus abzuerkennen wäre, was offensichtlich weder dem Wortlaut von Art. 4 Abs. 1 AHVG (und Art. 6 Abs. 1 AHVV) noch Sinn und Zweck dieser Regelung entspräche.»
Das Bundesgericht begründete das Urteil weiter auch damit, dass der Beitragsstatus von Personen, die nicht dauernd voll erwerbstätig sind, ausschliesslich nach Art. 28bis Abs. 1 AHVV zu bestimmen ist:
- Als nicht dauernd gilt eine Erwerbstätigkeit, die während weniger als neun Monaten im Kalenderjahr ausgeübt wird (WSN, Rz 2035).
- Als nicht voll erwerbstätig gelten Versicherte, die nicht während mindestens der halben üblichen Arbeitszeit (mind. 50 %) erwerbstätig sind (WSN, Rz 2039).
Eine «volle Erwerbstätigkeit» im Sinne von Art. 28bis Abs. 1 AHVV liegt in der Regel vor, wenn für die (selbständige oder unselbständige) Tätigkeit ein erheblicher Teil der im betreffenden Erwerbszweig üblichen Arbeitszeit nachweislich aufgewendet wird. Diese Voraussetzung ist nach der Verwaltungspraxis und Rechtsprechung erfüllt, wenn die beitragspflichtige Person während mindestens der halben üblichen Arbeitszeit tätig ist.
Gemäss der Urteilsbegründung kommt es bei einer beitragspflichtigen Person mit einer Arbeitszeit (Pensum) von 57 % nicht auf die Beweggründe an, weshalb sie nicht eine besser entlöhnte Tätigkeit oder lediglich eine solche in Teilzeit ausübt (BGE 115 V 170 E. 8). Im vorliegenden Falle hat das Bundesgericht entschieden, dass die Person dauernd (weil ganzes Jahr) und voll (weil über 50 %) einer Erwerbstätigkeit nachgeht. Es bestehe damit keine Beitragspflicht als Nichterwerbstätiger. Die Person gilt vorliegend als erwerbstätig, womit keinesfalls eine Vergleichsrechnung nach Art. 28bis Abs. 1 AHVV vorzunehmen ist. Entscheidend am Ausgang dieses Urteils war wohl, dass die Ausgleichskasse die entsprechenden Nachweise bezüglich Arbeitszeit (Pensum von 57 %) nicht genügend nachgewiesen haben wollte und sie sich viel mehr auf andere Gründe – wieso eine Nichterwerbstätigkeit vorliegen würde – fokussiert hat.
Aufgrund dessen, dass hier ein Ehegatte vom Bundesgericht schliesslich als erwerbstätig qualifiziert wurde und dieser auch den doppelten Mindestbeitrag bezahlt hatte, wurde auch die Ehefrau rückwirkend wieder aus der Beitragspflicht als Nichterwerbstätige «entlassen». Unglücklich sein kann, wer auch seine Vergütungszinssätze im Zeitalter von Negativzinsen in einer Verordnung festgehalten hat (Art. 41ter i. V. m. Art. 42 Abs. 2 AHVV, ebenfalls 5 %).
Verschiedene Faktoren beeinflussen die Unterstellung als erwerbstätige, selbständigerwerbende und nicht erwerbstätige Person bei der AHV (Beitragsstatut). Gerade die Beitragspflicht im Bereich der Nichterwerbstätigen lässt sich oft (noch) «steuern». Dieses Bundesgerichtsurteil zeigt auf, dass die nachzuweisende Arbeitszeit (Pensum) sehr entscheidend sein kann. Diese Arbeitszeit darf nicht frei erfunden sein. Ein Nachweis über den Arbeitseinsatz müsste beigebracht werden können, sollte dieser verlangt werden. Auf Letzteres – die Behauptungen über den Umfang der Erwerbstätigkeit zu belegen – sind die Vorinstanzen bzw. die Beschwerdegegnerin (AHV) im Verfahren schliesslich nicht explizit eingegangen. Das Bundesgericht hat die Beschwerdegegnerin (i. e. Ausgleichskasse) entsprechend «gerüffelt» (Erwägung 4.3 in BGE 9C_168/2016). Es ist folglich wohl davon auszugehen, dass die Ausgleichskassen hier in Zukunft genauer hinschauen und entsprechende Nachweise verlangen werden.
Zunehmende Kontrollen bzw. Rückfragen der AHV sind in der Praxis in verschiedenen Bereichen feststellbar und grundsätzlich auch zu befürworten. Es handelt sich hier ja immerhin um eine soziale Versicherung – einer für alle! Was viele «Optimierungsextremisten» häufig vergessen, ist der Versicherungsaspekt. Eine Versicherung bedeutet immer auch Leistungen. Wer nicht die vorgesehene Versicherungsprämie bezahlt, muss sich über ausbleibende Leistungen auch nicht beklagen.