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Die Ehe von P. (Ehefrau) und T. (Ehemann) wurde am 13. März 2004 in Italien geschieden (das Scheidungsurteil erwuchs am 16. März 2004 in Rechtskraft). Während der Dauer der Ehe hatten sie zeitweilig in der Schweiz gewohnt, wo der Ehemann eine berufsvorsorgeversicherte Erwerbstätigkeit ausübte. Gemäss Scheidungsurteil ist diese Austrittsleistung des Ehemannes «in parti uguali» aufzuteilen, was in der Folge jedoch unterblieb. Ende Mai 2005 trat T. aus seiner bisherigen Vorsorgeeinrichtung aus, worauf seine Austrittsleistung in der Höhe von Fr. 44 647.85 an die Freizügigkeitsstiftung der Neuen Aargauer Bank (NAB-2) überwiesen wurde. Auf entsprechenden Antrag von T. zahlte die NAB-2 per 2. September 2005 ihm das gesamte Freizügigkeitsguthaben als Vorbezug für die Wohneigentumsförderung aus. Mit Klage vom 5. Dezember 2007 ans kanto­nale Versicherungsgericht liess P. die Durchführung des Vorsorgeausgleichs beantragen. Das kantonale Gericht hiess die Klage gut, ­worauf die NAB-2 mit öffentlich-rechtlicher Beschwerde an das Bundesgericht gelangte und in Auf­hebung des kantonalen Urteils die Abweisung der Klage beantragte. Streitig ist in diesem Verfahren vor Bundesgericht, ob – wie die Vor­instanz erkannt hat – die NAB-2 verpflichtet ist, der Beschwerdegegnerin ihren Anteil am Vorsorgeausgleich auszuzahlen, obwohl die Freizügigkeitsstiftung das gesamte Freizügigkeitsguthaben bereits als Vorbezug an den Ex-Ehemann geleistet hat. Das Bundesgericht hält zunächst fest, dass sich der Anspruch auf Vorsorgeausgleich gegen den pflichtigen Ehegatten richtet. Soweit die zu teilende Masse bei einer Vor­sorge- oder Freizügigkeitseinrichtung liegt, wird der Anspruch so erfüllt, dass die Vorsorge- oder Freizügigkeitseinrichtung des schuldnerischen Ehegatten den entsprechenden Betrag an diejenige des Gläubigers überweist. Soweit jedoch infolge eines Vorbezugs nicht mehr genügend Mittel bei der Vorsorge- oder Freizügigkeitseinrichtung des pflichtigen Ehegatten vorhanden sind, um den Anspruch des andern Ehegatten zu befriedigen (und der pflichtige Ehegatte nicht durch eine Rückzahlung des Vorbezugs gemäss Art. 30d BVG seiner Einrichtung diese Mittel wieder verschafft), so kann sich der Teilungsanspruch vorbehältlich einer allfälligen Schadenersatzpflicht nicht mehr gegen die Ein­richtung richten; vielmehr hat der pflichtige Ehegatte den geschuldeten Betrag auf die ­Vorsorge- oder Freizügigkeitseinrichtung des berechtigten Ehegatten zu übertragen (BGE 135 V 324 Erw. 5.2.2). Das Bundesgericht prüft, ob der festgestellte Sachverhalt zur Unzulässigkeit des Vorbezugs führt oder eine Sorgfaltspflichtverletzung der Beschwerde­führerin darstellt. Unzulässig ist der Vorbezug unter anderem deshalb nicht, weil der Ver­sicherte im Zeitpunkt des Antrages bereits geschieden war und deshalb die Zustimmung des Ehegatten nicht mehr erforderlich war (Art. 30c Abs. 5 BVG bzw. Art. 331e Abs. 5 OR). Zudem konnte der erst nach dem Stichtag (Rechtskraft des Scheidungsurteils) erfolgte Vorbezug auf die Höhe des der Beschwerdegegnerin zustehenden (per Scheidungsdatum berechneten) Anspruchs von vornherein keinen Einfluss mehr haben. Beeinträchtigt durch den Vorbezug wird somit nicht der Rechtsanspruch der Be­schwerde­gegnerin, sondern höchstens das Vollstreckungssubstrat für diesen Rechtsanspruch. Eine Rechtshandlung kann aber nicht schon deshalb als unzulässig bezeichnet werden, weil sie möglicherweise dazu führen könnte, dass der Schuldner nicht mehr genügend Mittel hat, um seine Schulden zu begleichen (vorbehalten bleiben die Anfechtungsmöglichkeiten von Art. 285 ff. SchKG). Die Unzulässigkeit des Vorbezugs ist daher nicht gegeben. Zudem liegt auch keine Sorgfaltspflichtverletzung der Freizügigkeitseinrichtung vor. Es gibt keine ausdrückliche gesetzliche Grundlage für eine Überprüfung des Scheidungsurteils im Hinblick auf den Vollzug einer darin allenfalls angeordneten Vorsorge­ausgleichsteilung in den Fällen, in welchen ein geschiedener Versicherter einen Vorbezug von seiner Einrichtung der beruflichen Vorsorge beantragt. Auch aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen lässt sich eine solche Verpflichtung der Einrichtungen nicht rechtfer­tigen, zumindest dann nicht, wenn keine konkreten Hinweise auf eine Behinderung der Durchführung des Vorsorge­ausgleichs durch den Vorbezug vorliegen. ­Verlangt wird somit eine Überprüfung des Zi­vil­stands und der Angaben auf dem Antragsformular, was die Beschwerdeführerin im konkreten Fall gemacht hat, nicht aber weiter­gehende Nachforschungen zu allen denkbaren Problemsituationen, die sich im Zusammenhang mit der Auszahlung allenfalls ergeben könnten. Zudem können die Ehegatten im Rahmen des Scheidungsverfahrens (Art. 137 Abs. 2 ZGB) oder des Verfahrens nach Art. 25a FZG mittels vorsorglicher Massnahmen eine unzulässige Verfügung über das Vorsorgeguthaben zwischen dem Scheidungszeitpunkt und der Durchführung der Teilung verhindern (vorliegend war das wegen des ausländischen Scheidungsverfahrens und des erst nach Auszahlung des Vorbezugs eingeleiteten Verfahrens nach Art. 25a FZG kaum möglich). Insgesamt sind keine Verdachts­momente ersichtlich, welche allenfalls die Beschwerdeführerin nach Treu und Glauben hätten veranlassen müssen, eine nähere Prüfung vorzunehmen. Unter diesen Umständen könnte eine Sorgfaltspflichtverletzung der Beschwerdeführerin nur bejaht werden, wenn generell eine Pflicht bestünde, bei allen geschiedenen Versicherten den Vollzug einer allfälligen Vorsorgeausgleichsanordnung zu überprüfen, was jedoch nicht der Fall ist. Die Auszahlung des Vorbezugs an den ehemaligen Ehemann der Beschwerdegegnerin war daher nicht unrechtmässig, was zur Abweisung der Klage gegen die Beschwerdeführerin führt. Das ändert nichts daran, dass der Beschwerdegegnerin ein Anspruch gegen ihren ehemaligen Ehemann zusteht. Die Vor­instanz hätte daher nach Einleitung des Verfahrens nach Art. 25a FZG von Amtes wegen auch einen Anspruch der Beschwerdegegnerin gegen ihren Ex-Ehemann prüfen und beurteilen müssen, auch wenn nur eine Verpflichtung der Beschwerdeführerin zur Leistung der Ausgleichszahlung ­beantragt wurde. Die Sache ist daher an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie dies nachholt.

Art. 25a FZG; Art. 122 ZGB

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(BGer., 24.11.09 {9C_593/2009}, Mitteilungen über die berufliche Vorsorge Nr. 116, 28.01.10)

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