Issue
Category
Authors
Lead

Wie nehmen wir Zeit und Stress wahr? In welche Fallen lockt uns unsere Wahrnehmung? Wie befreien wir uns? Wie erarbeiten wir daraus Mehrwert für uns, unsere Partner und Kunden? Mit diesen Fragen beschäftigt sich der folgende Beitrag.

Content
Text

Wie investieren wir unsere Zeit richtig? Die Antwort darauf ist höchst unangenehm: Zeit richtig investieren ist eine sehr individuelle Sache. Es lohnt sich, allein in diesen Gedanken schon einmal etwas Zeit zu investieren

Kein Zeitsystem, keine ausgeklügelte Agenda, kein iPhone, kein Blackberry bringt uns mehr Zeit- und Leistungsqualität und weniger Stress. Dazu braucht es unser Gespür für das Einschätzen unserer wesentlichen Aufgaben und unseres Mehrwerts für uns, unsere Partner und Kunden. Die Lektüre dieses Artikels soll dazu anregen, dieses Gespür neu zu entdecken und noch besser nutzbar zu machen.

Title
1. Wie nehmen wir Zeit und Stress wahr?
Level
2
Text

Viel Zeit haben ist Luxus. Viel Stress haben ist Status. Beides ist relativ und wird durch unsere Wahrnehmung definiert. Wer wenig Stress und viel Zeit zu haben scheint, wird beneidet und ausgeschlossen. Wer wenig Zeit und viel Stress zu haben scheint, wird bedauert und gehört dazu.

Viel Stress haben ist ein Zeichen von Normalität. Die Grussformel «Wie geht es dir?» ist längst schon erweitert worden: «Wie geht es dir? Im Stress?» Statt «Gut, danke!» sagt man jetzt: «Gut, ja, danke!» Das Bonmot, wonach Zürcher alles doppelt so schnell machen und Berner auf Anhieb richtig, nimmt man lächelnd zur Kenntnis, spricht Sympathien für den Berner aus und orientiert sich dann doch am Zürcher.

Stress ist in unserem Bewusstsein nicht eindeutig klassiert. Wir fürchten seine Auswirkungen auf unsere Gesundheit, empfinden ihn aber als unabdingbar für unseren Erfolg.

Was wir am Stress lieben, ist, dass er uns die Auseinandersetzung mit dem Wesentlichen und Unbequemen erspart. Dazu fehlt uns ja die Zeit. Stress und operative Hektik kaschieren beispielsweise kritische strategische Inkompetenzen. «Ich komme einfach nicht dazu!» klingt doch schöner als: «Ich fühle mich überfordert!» Insofern ist Stress nicht nur ein Statussymbol, sondern auch ein guter Deckmantel für alles, was wir nicht oder anders wahrnehmen wollen.

Für jene Leser, die sich mit dieser weit verbreiteten Alltags-Ironie nicht zufrieden geben wollen, ist die weitere Lektüre empfehlenswert. Jene, die damit gerne und gut leben, vertiefen sich in ein anderes Thema in dieser TREX-Ausgabe.

Title
2. In welche Fallen lockt uns unsere Wahrnehmung?
Level
2
Text

Wir beleuchten drei klassische Wahrnehmungsfallen:

  • Stress ist schlecht für unsere Gesundheit.
  • Stress ist gut für unseren Erfolg.
  • Stress macht uns wertvoll.
Title
2.1 Stress ist schlecht für unsere Gesundheit
Level
3
Text

Das ist ja das Paradoxe am Stress: Wir scheinen ihn zu brauchen, er scheint zu einem etablierten Leben zu gehören. Und doch bedauern wir uns dafür wegen der schlechten Wirkung, die er auf uns haben soll.

Betrachten wir es einmal grundsätzlich: Woraus entsteht jener paradoxe Stress, den wir gleichzeitig als nötig und schädlich empfinden?

Stress empfinden wir dann, wenn wir befürchten, dass wir eigene oder fremde Erwartungen nicht erfüllen können. Gehen wir einmal davon aus, dass wir (Leser und Autor) eine Gemeinschaft mit hohen Erwartungen an uns selber sind. Gehen wir weiter davon aus, dass wir in einer Art und Weise etabliert sind, dass auch unsere Kunden und Partner eine hohe Erwartung an uns haben.

Was zeigt uns da der Stress, den wir empfinden? Dass uns die Kunden und wir uns selber mit hohen Erwartungen dazu herausfordern, das Beste zu geben. Ist das schlecht für unsere Gesundheit? Im Gegenteil! Es gibt dem Leistungsfreudigen die Möglichkeit, sein wahres Potenzial zu entdecken und nutzbar zu machen. Das ist im umfassenden Sinn sehr gesund. Eine günstige Voraussetzung dazu ist, dass wir fähig sind, unsere Leistungserbringung zu geniessen – unabhängig vom Resultat.

Title
2.2 Stress ist gut für unseren Erfolg
Level
3
Text

Nun sind wir geneigt, uns zu entspannen und zu sagen: Eben! So schlecht ist der Stress gar nicht. Wenn wir unsere Tätigkeit lieben, dann ist Stress innerhalb dieser geliebten Tätigkeit ein positiver Stimulus für unsere Lebensqualität. Stimmt, wenn wir vom Gesundheitseinfluss von Stress auf leistungsfreudige Erdenbürger sprechen. Stimmt nur bedingt, wenn wir den Erfolgseinfluss betrachten.

Wenn wir in einem Projektverlauf hie und da gestresst sind, dürfen wir diesen Stress durchaus als gut für Gesundheit und Erfolg einstufen. Ein Dauerstress in einem Projekt führt jedoch zu Verkrampfungen. Die fehlende Gelassenheit engt uns in der Lösungssuche ein, kann die Fehlerquote erhöhen, den Rhythmus des Dreiklangs Wahrnehmen–Entscheiden–Handeln empfindlich stören und so den Projekterfolg gefährden.

Title
2.3 Stress macht uns wertvoll
Level
3
Text

Als wertvoll wird empfunden, wer sein Fach souverän beherrscht und dem Kunden tiefe Wertschätzung entgegenbringt. Wodurch drückt sich diese Wertschätzung aus? Durch echtes Interesse. Und wie äussert sich echtes Interesse? Durch punktgenaue Kommunikation und einen weit offenen Empfang.

Dazu gehört, dass wir eine interessante Frage mehr stellen als alle anderen Partner des Kunden. Damit wird er herausgefordert, neue Antworten zu formulieren und wahrhaft relevante Erkenntnisse zu verinnerlichen.

Wenn wir gestresst sind, dann stört das in ganz besonderem Mass unseren Empfang. Echtes Verstehen wird unwahrscheinlich, weil die Geduld fehlt, zu Ende zu hören. Nach einem halben Satz glauben wir bereits zu wissen, was der Kunde sagen will, und versorgen es in der passenden Schublade.

Kunde: «Was Sie mir da empfehlen, ist sehr wertvoll für mich. Wenn ich mir aber überlege, was ich zu investieren habe, dann …»

Nun hört unser gestresstes Ohr das alte Lied: « … liegt das einfach nicht drin!»

Kunde (ein neues Lied singend): « … muss ich wirklich darauf vertrauen können, dass es die erwartete Wirkung bringt. Meine Erfahrung mit Ihnen spricht dafür, diese Investition zu wagen!»

Wir (auf das alte Lied antwortend): «Ja, ich verstehe, dass es sich nicht um eine alltägliche Investition handelt. Ich bin gerne bereit, über Anpassungen zu sprechen.»

Stress hat uns hier nicht wertvoll gemacht, sondern Wert zerstört. Höchste Zeit also, dass wir uns aus unseren Wahrnehmungsfallen befreien!

Title
3. Wie befreien wir uns?
Level
2
Text

Wir beleuchten zwei Konzentrationspunkte:

  • Konzentration auf Wertschätzung
  • Konzentration auf den Augenblick
Title
3.1 Konzentration auf Wertschätzung
Level
3
Text

Aus tiefer Wertschätzung wird hohe Wertschöpfung. Wenn ich ein echtes Interesse für meine Partner und Kunden entwickle, dann schaffe ich eine Voraussetzung dafür, dass deren Wertschätzung einen Beitrag zu meiner Wertschöpfung leistet.

Ich konzentriere mich also auf jene Partner und Kunden, bei denen ich eine gute Chance dafür sehe, dass diese Gleichung aufgeht. Das macht den Zeiteinsatz zu einem Vergnügen und den Stress zu einem positiven Antrieb.

Title
3.2 Konzentration auf den Augenblick
Level
3
Text

Was war, ist nicht mehr, und was sein wird, ist noch nicht. Nur der Augenblick ist wirklich. Das ist die philosophische Komponente. Die praktische Komponente ist folgende: Stress produzieren die Nebengedanken über das, was in einer Stunde, einem Tag, einer Woche sein wird, oder über das, was ich jetzt zu dieser Zeit wohl hätte tun sollen.

Je höher meine Konzentration auf die hier und jetzt unmittelbar zu erbringende Leistung ist, desto besser kann ich die störenden Neben­gedanken loslassen. So wird es unmöglich, ­negativ wirkenden Stress zu empfinden.

Title
4. Wie erarbeiten wir daraus Mehrwert für uns, unsere Partner und Kunden?
Level
2
Text

Wir müssen evaluieren, wo wir unsere Zeit am positivsten wirksam einsetzen können. Das ist etwas, was sich im Verlaufe des Lebens verändert. Es kann sein, dass wir uns in den letzten Jahren einen Mehrwert erarbeitet haben, der uns und unseren langjährigen Kunden gar nicht bewusst ist. Jetzt wird es spannend: Oft ist ein inoffizieller, unbewusst wahrgenommener Mehrwert mehr wert als der offizielle, der in Form von Leistungen auf der Rechnung erscheint.

Spinnen wir diesen Gedanken weiter: Wenn es uns gelingt, Leistungen und Wirkungen ausserhalb des vergleichbaren Treuhand-Standards anzubieten und darzustellen, dann können wir unseren Preis vom direkten Zusammenhang mit der Zeit befreien. Wir können ihn in Zusammenhang mit einem Gesamtnutzen stellen und kommen so an eine höhere Investitionsbereitschaft heran.

«Zeit ist Geld» ist in dieser Hinsicht also ein Widerspruch. Stellen wir unsere persönliche Leistung in Rechnung, dann ist die Zeit die niederste und für den Kunden irrelevanteste Ebene, die mit dem Geld in Zusammenhang gebracht werden kann. Der Kunde wird dann vom Nutzen, den er hat, abgelenkt und auf den Nutzen, den wir haben, aufmerksam («Deinen Stunden­ansatz möchte ich haben!»).

Mehr Zeiteinsatz heisst zwar mehr Leistung von mir, aber noch längst nicht mehr Wirkung für den Kunden. Es ist möglich, dass ich binnen weniger Sekunden eine Idee habe, die entscheidend zum wirtschaftlichen Erfolg meines Auftraggebers beitragen kann. Wenn ich Zeit und Geld als äquivalent betrachte, dann verrechne ich den Gegenwert einer Tasse Kaffee für die Existenzsicherung seines Unternehmens.

Title
5. Wer hat den besten Stress?
Level
2
Text

Wer Stress liebevoll akzeptiert, hat guten Stress. Wer ihn konzentriert und nicht dauernd einsetzt und empfindet, hat den besseren Stress. Wer das Gespür für das Einschätzen seiner wesentlichen Aufgaben und seines Mehrwerts für sich, seine Partner und Kunden stetig weiterentwickelt, hat den besten Stress.

Date