Am 22. März 2010 hat das Bundesverwaltungsgericht in einer besonders für die Mitglieder der TREUHAND|SUISSE umstrittenen Frage einen bedeutsamen Entscheid gefällt (Entscheid BVGE B-3219/2009).
Gemäss Art. 4 Abs. 4 Revisionsaufsichtsgesetz (RAG) wird verlangt, dass von der auf den Gebieten des Rechnungswesens und der Rechnungsrevision erlangten Fachpraxis zwei Drittel unter Beaufsichtigung durch einen zugelassenen Revisionsexperten bzw. eine zugelassene Revisionsexpertin nachzuweisen sind. Die Gesuchstellerin, mit eidgenössischem Fachausweis als Treuhänderin, die eine Fachpraxis von mindestens zwölf Jahren nachzuweisen hatte, machte rund 20 Jahre als beaufsichtigte Fachpraxis geltend. Davon anerkannt hat die Revisionsaufsichtsbehörde lediglich insgesamt 57 Monate, dies mit der Begründung, es könne lediglich diejenige Fachpraxis angerechnet werden, die vor der Wahl der Gesuchstellerin in den Verwaltungsrat der Y. erworben wurde, da die Beaufsichtigung eines Mitglieds des Verwaltungsrats durch ein anderes Mitglied nicht möglich sei, weil diese hierarchisch gleichgestellt und gleichberechtigt seien. Die Revisionsaufsichtsbehörde stützte sich dabei auf Art. 7 der Revisionsaufsichtsverordnung (RAV), welche für die beaufsichtigte Praxis eine formelle Unterstellung und eine weisungsgebundene Ausübung der Tätigkeit verlangt.
Das Bundesverwaltungsgericht erwog, dass die Revisionsaufsichtsbehörde die Tätigkeit der Gesuchstellerin bei der Y. vor der Wahl in den Verwaltungsrat aufgrund des bestehenden Arbeitsverhältnisses als weisungsgebunden qualifizierte, das Vorliegen einer formellen Unterstellung bejahte und die Tätigkeit damit als beaufsichtigte Fachpraxis anerkannte. Das Arbeitsverhältnis der Gesuchstellerin sei nach der Wahl in den Verwaltungsrat jedoch keiner Änderung unterworfen worden, weder der Arbeitsvertrag noch der Stellenbeschrieb habe eine Änderung erfahren. Die Gesuchstellerin habe die Revisionsmandate weiterhin unter der Aufsicht ihres Vorgesetzten B. ausgeführt. Das Arbeitsverhältnis der Gesuchstellerin sei demzufolge als organunabhängige Tätigkeit zu qualifizieren. Bei einem Doppelverhältnis zu einer Gesellschaft, wenn also neben dem organschaftlichen Verhältnis (Mitglied im Verwaltungsrat) ein organunabhängiges Arbeitsverhältnis (Arbeitnehmer) bestehe, müsse es bezogen auf das Arbeitsverhältnis möglich sein, beaufsichtigte Fachpraxis zu erwerben. Das Bundesverwaltungsgericht zog den Umkehrschluss, dass die Revisionsaufsichtsbehörde die strittige Fachpraxis ohne Weiteres anerkannt hätte, wenn sich die Gesuchstellerin nicht in den Verwaltungsrat hätte wählen lassen.
Das Bundesverwaltungsgericht gab zu bedenken, dass es einem potenziellen Gesuchsteller innerhalb derjenigen Zeit, in der er die beaufsichtigte Fachpraxis zu erlangen hat, nicht möglich wäre, innerhalb des betreffenden Unternehmens aufzusteigen. Zwar möge dies für grössere Unternehmen praktikabel und gewollt sein, jedoch würden kleinere und Kleinst-Betriebe benachteiligt, indem ein allfälliger Aufstieg von verdienten Mitarbeitern gegebenenfalls für Jahre verhindert würde. Dies schränke allfällige Karrieremöglichkeiten unverhältnismässig ein. Die Gesuchstellerin hätte nach der Praxis der Vorinstanz die Anforderungen an die Fachpraxis nur erfüllen können, indem sie aus dem Verwaltungsrat zurückgetreten wäre oder eine Arbeitstätigkeit in einem anderen Betrieb aufgenommen hätte.
Das Bundesverwaltungsgericht hiess die Beschwerde der Gesuchstellerin mit dieser Begründung gut.
Aussergewöhnlich ist, dass das Bundesverwaltungsgericht – obschon in keiner Weise entscheidrelevant – sich noch zu folgender Schlussbemerkung veranlasst sah: Nach der bun-desgerichtlichen Rechtsprechung handle es sich bei der Beurteilung der erforderlichen Dauer der zu absolvierenden Fachpraxis nicht um eine rein formelle, rechnerische Voraussetzung, vielmehr müsse die erworbene Fachpraxis unter qualitativen Gesichtspunkten gewürdigt werden. Im Ergebnis gehe es deshalb gemäss der bundesgerichtlichen Praxis um die Bewertung der Eignung der Gesuchsteller aufgrund ihrer praktischen Fachtätigkeit. Es wäre zu wünschen, die Revisionsaufsichtsbehörde würde diese Empfehlung vor allem in Fällen mit langjähriger Praxis – wie vorliegend – beherzigen.