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Zur Bekämpfung der Geldwäscherei sollen Steuerdelikte als Vortat zur Geldwäscherei erklärt werden. Eine solche Ausweitung der Standards auf Steuerdelikte – die ursprünglich zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität geschaffen wurden – setzen Steuerzahler mit einer kriminellen Organisation gleich.

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1. Gegenwärtige Lage in der Schweiz
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In meiner täglichen Arbeit als Treuhänder muss ich mich oft mit Fällen von Steuerbetrug oder Steuerhinterziehung auseinandersetzen;1 diese sind in der Praxis nicht immer leicht voneinander abzugrenzen, genauso wie deren Auslegung aus der Sicht des Strafrechts und namentlich des Tatbestandes der Geldwäscherei eher komplex und nicht immer eindeutig ist. Daher ist es nicht besonders besorgniserregend, dass schon heute Art. 9 GwG auf Art. 305bis StGB verweist, in dem allgemein von «aus einem Verbrechen herrührenden Vermögenswerten» die Rede ist. Es kann sich z.B. um Betrug, Veruntreuung, Urkundenfälschung oder Bestechung handeln und – um beim Thema zu bleiben – um Steuer­betrug oder um andere Straftaten aus dem Bereich der indirekten Steuern, die durch das Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR) und das Bundesgesetz über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG)2 weitgehend vom geltenden Recht erfasst sind.

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2. Verhältnis zur internationalen Gemeinschaft
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Das Thema der internationalen Amtshilfe im Steuerbereich hat mit den bekannten Ereignissen vom 13. März 2009 eine starke Beschleunigung erfahren. An jenem Tag, der von vielen als der schwarze Freitag des schweizerischen Finanzplatzes bezeichnet wurde, beschloss der Bundesrat eine historische Öffnung im Bereich des Bankgeheimnisses, nachdem die internationale Gemeinschaft und namentlich die ­Vereinigten Staaten, Deutschland, Frankreich, Italien und selbst die OECD einen unentwegten Druck auf die Schweiz ausgeübt hatten; dabei erklärte der Bundesrat, sich im Bereich des ­Informationsaustauschs an die OECD-Standards anpassen zu wollen und sich also nicht mehr auf das Konzept des Steuerbetrugs zu beschränken, der im innerstaatlichen Recht schon seit Jahren anders behandelt wurde als die (einfache) Steuerhinterziehung. Als Folge daraus hat man sich eifrig an die Neuverhandlung zahlreicher zwischen der Schweiz und anderen Staaten bestehender Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) gemacht, und zwar in Bezug auf die Kriterien, die in Art. 26 des OECD-Muster­abkommens formuliert sind. Bis heute sehen von den über 90 unterzeichneten und paraphierten DBA 35 eine ausgeweitete Form der Amtshilfe vor, die nicht mehr auf der klassischen und dogmatischen Unterscheidung zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung basiert, wie sie im schweizerischen Recht vorgesehen ist.

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3. Die FATF will noch mehr – cui prodest?
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Es sei hier daran erinnert, dass die FATF3 die Steuerdelikte als Vortaten der Geldwäscherei anerkannt haben möchte. Die bestehenden Vermögenswerte werden daher der Meldepflicht an die Strafverfolgungsbehörde unterworfen werden müssen. Die Ausarbeitung dieser ­neuen Standards ist nun in der Endphase angelangt. Die Ausweitung des Anwendungsbereichs der Standards (die ursprünglich zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität geschaffen wurden) auf die Steuerdelikte bringt die allgemeinen Vorgaben der FATF völlig durcheinander. Bis heute hat diese Spezialabteilung der OECD, soweit ich weiss, noch keinen entsprechenden Auftrag erhalten, und dies wurde auch vom Bundesrat betont. Man läuft mithin Gefahr, dass Anbieter von Finanzdienstleistungen in ­Erwägung ziehen müssen, in einem hochkomplexen Finanzsektor Aufgaben internationalpolizeilicher Art wahrzunehmen. Mit Anwendung dieser Vorschläge werden dem Finanzsektor somit weitere Verpflichtungen aufgebürdet und damit einhergehend zusätzliche Verwaltungskosten. Es ist zu befürchten, dass die neuen Regeln hauptsächlich dazu dienen werden, Steuern für Staaten einzutreiben, die nicht in der Lage sind, sich ein angemessenes und ­gegenüber ihren Steuerzahlern faires Rechts- und Steuersystem einzurichten. Ein indirektes Ziel der neuen Massnahmen könnte sein, ­Anleger dazu zu bringen, ihr Kapital nur in ihrem Hauptwohnsitzland anzulegen, um dadurch Investitionen in anderen Finanzplätzen wie der Schweiz zu vermeiden. All dies stellt zweifellos einen weiteren Angriff auf die Wettbewerbsfähigkeit der starken Finanzplätze dar und insbesondere auf zahlenmässig kleine ­Länder wie die Schweiz. Es ist somit offensichtlich, dass die eigentliche Absicht darin besteht, solche steuerlich attraktiven Länder ein weiteres Mal zu treffen, indem bisher unbekannte ­Normen eingeführt werden, die in erster Linie bezwecken, diese zu schwächen.

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4. Zukunftsszenarien und Folgen für den schweizerischen Finanzplatz
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Ganz offensichtlich stellt die Kriminalisierung der Delikte steuerlicher Art durch ihre Ausdehnung auf die einfache Hinterziehung und durch die Aufgabe der dogmatischen Unterscheidung zwischen «Betrug» und «Hinterziehung» eine epochale Veränderung für die Schweiz dar – und nicht nur für die Schweiz. Ebenso offensichtlich ist die Tatsache, dass dieser neue ­Ansatz nichts oder wenig gemeinsam hat mit den edlen Zielen, denen sich die Geldwäscherei­bekämpfung ursprünglich verschrieben hatte (klassische Delikte des Strafrechts, Bekämpfung des Terrorismus und der Terrorismus­finanzierung, Bekämpfung der kriminellen ­Organisationen usw.), und vor allem darauf ausgerichtet ist, in dieser Epoche politischer, institutioneller und konjunktureller Problemsitua­tionen eine allgemeine Vereinheitlichung der Märkte – vor allem der Finanzmärkte – zu erreichen.

Die zahlreichen gesetzlichen Vorschriften, die gegenwärtig zwischen unserem Land und der internationalen Gemeinschaft (unter der Führung der EU) bestehen, sowie die zahlreichen DBA (die nur ihrem Namen nach solche sind) bieten bereits eine Reihe von Instrumenten, die mehr als ausreichend und wirksam sind, um eine geeignete Amtshilfe im Steuerbereich zu gewährleisten und folglich die schweren Formen der Steuerhinterziehung und den Steuerbetrug zu bekämpfen. Das Problem ist aber ein anderes und es widerspiegelt, was bereits heute in der Zivilgesellschaft geschieht. Mit diesem Schritt soll der Schwerpunkt der Problematik auf die Ebene des Strafrechts verlagert werden, um die Untersuchungsmöglichkeiten erheblich zu verstärken und die betroffenen Personen – und in deren Gefolge auch die Finanzintermediäre und Treuhänder – stärker in die Verantwortung ziehen zu können.

Diese Konzepte in unsere Rechtsordnung aufzunehmen, bedeutet nicht nur, die Grundfesten des GwG zu erschüttern, was mit einer ganzen Reihe von äusserst schweren Folgen für die ­Finanzinstitute einhergehen würde, sondern gleichzeitig auch, den definitiven Schritt in Richtung einer allgemeinen Verdrehung des schweizerischen Steuersystems zu gehen. Es ist nämlich kaum vorstellbar, dass sich unser Steuersystem nicht ändern und sich weiter verschärfen wird bis zu einer gänzlichen Angleichung an die angrenzenden Länder.

Jene Treuhänder, Steuerberater und Berater, die schon heute die Gesetze befolgen und mit grosser Professionalität handeln, werden weitere, sehr gefährliche Sorgfaltsregeln anwenden müssen und werden faktisch zum «bewaffneten» Arm des Staates werden, eines Staates, der alles kontrolliert und sanktioniert, d.h. das genaue Gegenteil dieses Vertrauens- und ­Anstandsverhältnisses, das in unserem Land seit jeher die bestimmende Kraft gewesen ist. Wer sich Verfehlungen zuschulden kommen lassen wird, wird schwerste Konsequenzen ­tragen und gleichzeitig befürchten müssen, aus verschiedenen Gründen in Strafverfahren involviert und als Mittäter oder Gehilfe belangt zu werden.

Wie immer werden all diejenigen davonkommen, die nichts zu verlieren haben und im ­Unterholz eines Sektors agieren, in dem es von angeblichen Spezialisten und Beratern wimmelt.

Die schweizerische Politik scheint nicht mehr fähig zu sein, die Bedeutung des Finanzsektors, d.h. der Welt der Banken, Finanzen und Treuhanddienste, zu verstehen, die erste Anzeichen eines Geschwindigkeitsverlusts und Wolken am Horizont erkennen lässt, und dies gerade in diesen Zeiten mit möglichen Stellenverlusten in der Grössenordnung von 10 000 / 15 000 nur im Bankensektor.

Es ist nicht die Absicht des Verfassers, den Steuerbetrug und die Steuerhinterziehung zu rechtfertigen. Allerdings erachte ich es als absolut undenkbar, den Gewinn einer kriminellen Organisation auf die gleiche Ebene setzen zu wollen wie die Ersparnisse eines schweizerischen oder ausländischen Steuerzahlers infolge einer fehlenden Besteuerung eines Teils seines Einkommens. Mit Sicherheit ist der Protest gegen diese sterile Standardisierung, die für die angelsächsische Welt typisch ist, nicht gleichbedeutend mit einer Parteiergreifung für die Steuerhinterziehung, und deshalb müssen wir keine Hemmungen haben, diesen Versuch der Regelverhärtung entschieden zu bekämpfen – denn die Folgen wären für die ganze schweizerische Wirtschaft verheerend.

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  1. In Lehre und Rechtsprechung werden grundsätzlich zwei Arten von steuerstrafrechtlichen Delikten unterschieden: Zum einen die einfachen «Übertretungen» wie die Verletzung von Verfahrenspflichten, die Steuer­hinterziehung und die versuchte Steuerhinterziehung sowie Übertretungen in Form von «Teilnahme» oder «Mitwirkung» (Anstiftung und Gehilfenschaft) gemäss den Art. 174–185 DBG – und zum anderen die schwereren Steuerdelikte wie der Steuerbetrug und die Veruntreuung von Quellensteuern (Art. 186 ff. DBG), deren Bestrafung in Anwendung des «klassischen» Strafrechts gemäss dem Schweizerischen Strafgesetzbuch (StGB) erfolgt; SR 642.11 und SR 311.0.
  2. SR 351.1 und SR 313.0.
  3. Die Financial Action Task Force on Money Laundering (FATF), französisch: «Groupe d’action financière sur le blanchiment de capitaux», ist ein zwischenstaatliches Gremium mit dem Zweck der Bekämpfung der Geldwäscherei und allgemeiner mit dem Zweck der Bekämpfung von Praktiken jeglicher Art, die darauf abzielen, die illegale Herkunft krimineller Erlöse zu verbergen. Sie wurde 1989 anlässlich des G7-Gipfels in Paris gegründet. Dem FATF gehören heute die meisten OECD-Länder an. Die Schweiz ist Gründungsmitglied und beteiligte sich aktiv an der Ausarbeitung der 40 Empfehlungen der FATF, eines international anerkannten Standards für die Massnahmen, die ein Staat treffen muss, um die Geldwäscherei wirksam zu bekämpfen.
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