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Im vorliegenden Fall ist auch der Vorsorgeausgleich umstritten. Sofern bei keinem Ehegatten ein Vorsorgefall eingetreten ist, hat gemäss Art. 122 Abs. 1 ZGB jeder Ehegatte Anspruch auf die Hälfte der nach dem Freizügigkeitsgesetz für die ganze Ehedauer zu ermittelnden Austrittsleistung des anderen. Ist bei einem oder bei beiden Ehegatten hingegen der Vorsorgefall eingetreten, ist gemäss Art. 124 Abs. 1 ZGB eine angemessene Entschädigung geschuldet.

Das Kantonsgericht stellte fest, dass der Vor­sorgefall bei der Beschwerdeführerin mit der Vollendung ihres 64. Altersjahres und damit während der Ehe eingetreten sei. Zu diesem Zeitpunkt sei nämlich ihre Invalidenrente in eine Altersrente (AHV) umgewandelt worden. Deshalb beurteilte es den Vorsorgeausgleich nach Art. 124 Abs. 1 ZGB. Für den Ausschluss der Anwendung von Art. 122 Abs. 1 ZGB ist nach dem Gesetzeswortlaut ausreichend, dass bei einem der Ehegatten ein Vorsorgefall einge­treten ist. Es kommt jedoch nur darauf an, ob bei demjenigen Ehegatten, der eine berufliche ­Vorsorge hat oder jedenfalls während der Ehe ­hatte, ein Vorsorgefall eingetreten ist. Wie das damalige Eidgenössische Versicherungsgericht im Urteil B 19/03 vom 30. Januar 2004 E. 5.1 festgehalten hat, stellt der Anspruch eines Ehegatten auf eine Alters- oder Invalidenrente (wie vorliegend nach AHVG beziehungsweise IVG) keinen Vorsorgefall dar, wenn er nie gearbeitet oder nie einer Einrichtung der beruflichen Vorsorge angehört hat. Damit ist das Kantonsgericht unzutreffenderweise davon ausgegangen, durch das Erreichen des Pensionsalters und der Ablösung der Invaliden- durch eine Altersrente (vgl. Art. 30 IVG und Art. 33bis AHVG) sei bei der Beschwerdeführerin, die über keine berufliche Vorsorge verfügt, der Vorsorgefall eingetreten. Es hat deshalb in der Folge den Vorsorge­ausgleich zu Unrecht nicht nach Art. 122 ZGB, sondern nach Art. 124 ZGB beurteilt.

Nach Art. 123 Abs. 2 ZGB kann das Gericht die Teilung ganz oder teilweise verweigern, wenn sie aufgrund der güterrechtlichen Auseinandersetzung oder der wirtschaftlichen Verhältnisse nach der Scheidung offensichtlich unbillig wäre. Diese Bestimmung ist restriktiv anzuwenden, um das Prinzip der hälftigen Teilung der Vorsorgeguthaben nicht auszuhöhlen. Bei der Beurteilung der offensichtlichen Unbilligkeit ist das Sachgericht auf sein Ermessen verwiesen. Das Bundesgericht übt deshalb bei der Überprüfung solcher Entscheide eine gewisse Zurückhaltung. Das Kantonsgericht legt nicht dar, ­inwiefern die hälftige Teilung wegen der güterrechtlichen Auseinandersetzung oder mit Blick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse nach der Scheidung offensichtlich unbillig wäre. Was die wirtschaftliche Lage nach der Scheidung betrifft, erhält die Beschwerdeführerin eine AHV-Rente und voraussichtlich Ergänzungsleis­tungen, währenddem der Beschwerdegegner diesbezüglich deutlich besser dasteht. Die hälftige Teilung ist im Ergebnis nicht offensichtlich unbillig.

Eine (teilweise) Verweigerung fällt ebenfalls in Betracht, wo die Entschädigung im konkreten Einzelfall und bei Vorliegen eines Tatbestandes, der dem in Art. 123 Abs. 2 ZGB umschriebenen vergleichbar oder ähnlich ist, gegen das Verbot des offenbaren Rechtsmissbrauchs verstiesse (Art. 2 Abs. 2 ZGB). Die Verweigerung wegen Rechtsmissbrauchs ist jedoch nur mit grosser Zurückhaltung anzuwenden. Für weitere Verweigerungsgründe bleibt kein Raum. Soweit das Kantonsgericht festhält, es könne nicht unbesehen auf die formale Dauer der Ehe abgestellt werden, da der Vorsorgeausgleich Folge der tatsächlich gelebten ehelichen Gemeinschaft sei, setzt es sich in Widerspruch zur gesetzlichen Konzeption und der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, wonach gerade und einzig auf die formelle Ehedauer (gut viereinhalb Jahre) abzustellen ist und die hälftige Teilung grundsätzlich voraussetzungslos erfolgt. Allein gestützt auf die Dauer der tatsächlich gelebten ehelichen Gemeinschaft (gut vier Monate) kann deshalb nicht von Rechtsmissbrauch ausgegangen werden. Wenn das Kantonsgericht eine hälftige Teilung als fundamentalen Verstoss gegen das Gerechtigkeitsgefühl beurteilt, so kennt das materielle Recht diesen Verweigerungsgrund nicht. Jedoch kann (unter anderem) eine grobe Verletzung des Gerechtigkeitsgedankens zu der Annahme des offenbaren Rechtsmissbrauchs führen. Inwiefern dies vorliegend der Fall sein soll, geht aus dem angefochtenen Urteil nicht hervor. Der kantonsgerichtliche Hinweis, die Beschwerdeführerin verfüge aktenkundig über hinreichende Mittel, um ihren gewohnten bisherigen Lebensstandard ohne Einschränkungen fortzuführen, ist nicht ausreichend und auch nicht massgebend. Liegt damit kein Verweigerungsgrund vor, hat die Beschwerde­führerin Anspruch auf hälftige Teilung des vom Beschwerdegegner während der Ehedauer erworbenen Vorsorgeguthabens in der Höhe von Fr. 134 003.85, somit auf Fr. 67 001.95. Die ­Sache ist zur Durchführung der Teilung des Vorsorgeguthabens an das Kantonsgericht ­zurückzuweisen.

Art. 2 Abs. 2, Art. 122 Abs. 1, Art. 123 Abs. 2 und Art. 124 Abs. 1 ZGB

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(BGer., 27.08.10 {5A_304/2010}, Mitteilungen über die berufliche Vorsorge Nr. 121, 6.01.11)

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