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Verwaltungsräte schweizerischer Aktiengesellschaften unterstehen der aktienrechtlichen Verantwortlichkeit. Diese Verantwortlichkeit kann mittels Delegation von Geschäftsführungs­aufgaben auf Dritte oder einzelne Mitglieder des Verwaltungsrates beschränkt werden. Dazu erforderlich ist, dass die Gesellschaftsstatuten dies vorsehen und die auf ein Organisationsreglement gestützte Aufgabenüberbindung die materiell-rechtlichen Schranken der Delegation respektiert.

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1. Einleitung
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Die Mitglieder des Verwaltungsrates einer Ak­tiengesellschaft sind gemäss Art. 754 Abs. 1 OR sowohl der Gesellschaft als auch den einzelnen Aktionären und Gesellschaftsgläubigern gegenüber für den Schaden verantwortlich, den sie durch die absichtliche oder fahrlässige Verletzung ihrer Pflichten verursachen. Diese Haftungsregelung ist von grosser praktischer Bedeutung, da der Verwaltungsrat nach der dispositiven gesetzlichen Regelung gemäss Art. 716 Abs. 2 OR das geschäftsführende ­Organ der Aktiengesellschaft ist.1 Art. 716 Abs. 1 OR sieht namentlich vor, dass der Verwaltungsrat in allen Angelegenheiten Beschluss fassen kann, die nicht nach Gesetz oder Sta­tuten der Generalversammlung zugeteilt sind. An der Geschäftsführung nicht beteiligt sind, dem Prinzip der Drittorganschaft folgend, die Aktionäre.2

Gemäss Art. 716 Abs. 2 OR ist der Verwaltungsrat befugt, die Geschäftsführung zu übertragen. Diese gemäss Art. 754 Abs. 2 OR haftungs­befreiende Übertragung bzw. Delegation der Geschäftsführungsaufgaben erfolgt mittels Organisationsreglement3.

Nachfolgend geht es um die Delegation der Geschäftsführung auf einzelne Mitglieder des Verwaltungsrates oder an Dritte. Bei den Ersteren handelt es sich um sog. Delegierte des Verwaltungsrates4 und bei den Letzteren um Mitglieder der Geschäftsleitung bzw. Direktoren. Dabei wird einerseits auf die Voraussetzungen und andererseits auf die Entlastungswirkung der ­Delegation eingegangen. Vorab wird zudem ­erläutert, welche Geschäftsführungsaufgaben überhaupt delegiert werden können und welche Aufgaben somit zwingend beim Verwaltungsrat verbleiben.

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2. Die delegierbaren Geschäfts­führungsaufgaben
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2.1 Die unübertragbaren und unentziehbaren Aufgaben
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Der Verwaltungsrat hat gemäss Art. 716a Abs. 1 OR die folgenden unübertragbaren und unentziehbaren Geschäftsführungsaufgaben:

  1. die Oberleitung der Gesellschaft und die Erteilung der nötigen Weisungen;
  2. die Festlegung der Organisation;
  3. die Ausgestaltung des Rechnungswesens, der Finanzkontrolle sowie der Finanzplanung, sofern diese für die Führung der Gesellschaft notwendig ist;
  4. die Ernennung und Abberufung der mit der Geschäftsführung und der Vertretung betrauten Personen;
  5. die Oberaufsicht über die mit der Geschäftsführung betrauten Personen, namentlich im Hinblick auf die Befolgung der Gesetze, Statuten, Reglemente und Weisungen;
  6. die Erstellung des Geschäftsberichts sowie die Vorbereitung der Generalversammlung und die Ausführung ihrer Beschlüsse;
  7. die Benachrichtigung des Richters im Falle der Überschuldung.

Ziffer 1. Der Begriff der Oberleitung umfasst als oberste Führungskompetenz die strategische Ausrichtung und Ausgestaltung des Unternehmens und die Errichtung eines entsprechenden normativen Rahmens. Dazu zählt weiter auch die Erteilung von Weisungen an die Geschäftsleitung zur Erreichung der festgelegten strategischen Ziele.5

Ziffer 2. Die Festlegung der Organisation6 umfasst die interne Organisation und Strukturierung des Verwaltungsrates, namentlich die Wahl des Präsidenten und des Sekretärs, die Wahl eines oder mehrerer Delegierter, die Festlegung der Arbeitsabläufe sowie von Beschluss- und Präsenzquoren. Zur Organisation gehört auch die Umschreibung der direkt dem Ver­waltungsrat unterstellten obersten Geschäfts­leitung, die Festlegung von Hierarchien und Berichterstattungssystemen sowie die Definition von Aufgabenbereichen und Pflichten.7

Ziffer 3. Der finanziellen Gesamtführung der Aktiengesellschaft kommt eine zentrale Bedeutung zu, weshalb dem Verwaltungsrat die Verantwortung im Bereich der Finanzen vom Gesetzgeber undelegierbar zugewiesen wurde.8 Dabei hat der Verwaltungsrat auch für ein funktionierendes und die Ordnungsmässigkeit der Rechnungslegung gewährleistendes Rechnungswesen zu sorgen und eine funktionierende Finanzkontrolle einzuführen.9

Ziffer 4. Die Wahl und Abberufung der dem Verwaltungsrat direkt unterstellten Mitglieder der Geschäftsleitung sind ebenfalls unübertragbar. Im Übrigen kann aber die Besetzung von untergeordneten Stellen an die Geschäftsleitung delegiert werden.10 Dem Verwaltungsrat obliegt in diesem Zusammenhang eine ständige Überwachungspflicht über die mit der Geschäfts­führung betrauten Personen.11

Ziffer 5. Die Oberaufsicht im Sinne der Beaufsichtigung gilt einerseits in normativer Hinsicht, indem die Einhaltung von Gesetzen und Statuten und anderen internen Regelwerken sicherzustellen ist. Andererseits sind auch betriebswirtschaftliche Aspekte, namentlich die Zweckmässigkeit der Abläufe und die Zielkonformität der Entscheidungen, zu beaufsichtigen. Dazu hat der Verwaltungsrat auch interne Berichterstattungs- und Kontrollsysteme einzurichten.12

Ziffer 6. Die Sicherstellung der Erstellung des Geschäftsberichts, namentlich Bilanz samt Anhang, Erfolgsrechnung und evtl. Konzernrechnung, sowie die Vorbereitung des Jahresberichts gehören ebenfalls zu den unübertragbaren und unentziehbaren Aufgaben des Verwaltungsrates. Im Gegensatz zur Vorbereitung ist die Leitung der Generalversammlung keine unübertragbare Aufgabe und kann selbst Dritten übertragen werden. Für das Ausführen der Beschlüsse der Generalversammlung trägt der Verwaltungsrat die Verantwortung.13

Ziffer 7. Sowohl die Benachrichtigung des Richters bei Überschuldung als auch die Anzeigepflicht nach Art. 725 Abs. 1 OR (Kapitalverlust und Überschuldung) stellen unübertragbare Aufgaben des Verwaltungsrates dar.14

Nebst den in Art. 716a Abs. 1 OR stipulierten unübertragbaren und unentziehbaren Geschäftsführungsaufgaben finden sich im Aktien­recht weitere unübertragbare Verwaltungsratsaufgaben, welche zudem durch Pflichten ergänzt werden, die in Spezialgesetzen geregelt werden.15 Darunter fallen beispielsweise die Durchführung von Kapitalerhöhungen sowie Kapitalherabsetzungen, die jährliche Anpassung der statutarischen Kapitalzahl bei bedingtem Kapital, die Suspendierung bzw. Abberufung der mit der Geschäftsleitung betrauten Personen sowie auch der Abschluss eines Fusionsvertrages gemäss Fusionsgesetz.16

In diesem Zusammenhang gilt es zu beachten, dass die unübertragbaren Aufgaben vom Verwaltungsrat in seiner Gesamtheit nach dem Prinzip der Gesamtgeschäftsführung zu erfüllen sind. Das einzelne Verwaltungsratsmitglied ist somit einzig indirekter Adressat dieser Bestimmungen.17

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2.2 Die delegierbaren Aufgaben
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Der Gesetzgeber wollte mit Blick auf die dem Verwaltungsrat gesetzlich übertragenen und unentziehbaren Aufgaben dem Verwaltungsrat insbesondere die volle Geschäftsführungs­kompetenz und -verantwortung übertragen.18 Das Delegationsverbot führt dazu, dass die entsprechenden Aufgaben weder nach unten an eine Geschäftsleitung bzw. an Direktoren noch nach oben an die Generalversammlung übertragen werden dürfen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Verwaltungsrat in diesem Aufgabenbereich nicht die Meinung des Aktiona­riats einholen dürfte, wobei eine solche ­formelle oder informelle Mitwirkung nur konsultativen Charakter hat. Die allfällige Stellungnahme der Generalversammlung hat weder eine bindende noch eine haftungsbefreiende Wirkung.19

Art. 716a Abs. 1 OR stellt somit die zentrale ­materiell-rechtliche Schranke der befugten ­Delegation dar.20 Die delegierbaren Geschäftsführungsaufgaben ergeben sich daher grundsätzlich aus einem Umkehrschluss von Art. 716a Abs. 1 OR sowie den weiteren Bestimmungen, welche unübertragbare Aufgaben des Verwaltungsrates beinhalten (siehe Punkt 2.1).

Vom Delegationsverbot gemäss Art. 716a Abs. 1 OR zu unterscheiden ist die Kompetenz des Verwaltungsrates, die Vorbereitung und die Ausführung seiner Beschlüsse oder die Überwachung von Geschäften, Ausschüssen oder einzelnen Mitgliedern gemäss Art. 716a Abs. 2 OR zuzuweisen.21 Diese Zuweisungsbefugnis umfasst nämlich auch die zuvor definierten unübertragbaren Aufgaben. In diesem Fall hat der Verwaltungsrat für eine angemessene Berichterstattung an seine Mitglieder zu sorgen (siehe dazu auch Punkt 5).

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3. Die Geschäftsführungsdelegation
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3.1 Formelle Aspekte der Delegation
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3.1.1 Statutarische Grundlage
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Gemäss Art. 716a Abs. 1 Ziff. 2 OR ist die Festlegung der inneren Organisation der Aktiengesellschaft eine unübertragbare und unentziehbare Aufgabe des Verwaltungsrates. Aufgrund von Art. 716b OR wird diese Kompetenz (und Pflicht) des Verwaltungsrates durchbrochen. Dies insofern, als der Verwaltungsrat nur dann eine Delegation von Geschäftsführungsauf­gaben überhaupt vornehmen kann, wenn die Generalversammlung eine entsprechende statu­tarische Ermächtigung vorgenommen hat.22 Verzichtet die Generalversammlung auf die Einfügung einer entsprechenden Ermächtigungsklausel in den Gesellschaftsstatuten, so obliegt die Geschäftsführung zwingend dem gesamten Verwaltungsrat, und eine Delegation an ­einzelne Mitglieder des Verwaltungsrates oder Dritte ist ausgeschlossen.23

Der Generalversammlung ist es jedoch verwehrt, eine direkte Delegation durch einen Beschluss der Generalversammlung vorzunehmen. Die Generalversammlung hat aber das Recht, dem Verwaltungsrat mittels entsprechender statutarischer Regelung vorzuschreiben, dass er die Geschäftsführung nur an einen Delegierten des Verwaltungsrates oder ausschliesslich an Dritte übertragen darf. Weiter darf die Generalversammlung auch statutarisch vorschreiben, dass gewisse Organkompetenzen auf Stufe Gesamtverwaltungsrat zu verbleiben haben.24 Unzulässig ist aufgrund von Art. 716a Abs. 1 Ziff. 2 OR hingegen ein Genehmigungsvorbehalt bezüglich des zu erlassenden Organi­sationsreglements zugunsten der Generalversammlung.25

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3.1.2 Schriftliches Organisationsreglement
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Die zweite formelle Voraussetzung einer ge­setzeskonformen Delegation von Geschäfts­führungsaufgaben ist – nebst der Schaffung der entsprechenden statutarischen Grundlage – der Erlass eines schriftlichen Organisationsreglements26 durch den Verwaltungsrat.27

Das Organisationsreglement im Sinne von Art. 716b OR ist dabei ein durch den Verwaltungsrat erlassenes Reglement, in welchem dieser sich selbst organisiert und allfällige Kom­petenzdelegationen vornimmt.28 Der Begriff «Reglement» weist zudem darauf hin, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass der Ver­waltungsrat im Organisationsreglement nicht individuell-konkrete Anweisungen vornimmt, sondern dass dieses generell-abstrakte Formulierungen aufweist.29

Gerade im Bereich der kleineren und mittleren Unternehmen – bei welchen die Verhältnisse überschaubar sind – muss nicht zwingend ein Reglement im wörtlichen Sinne entworfen werden. Vielmehr genügt es aus formeller Sicht, wenn die Delegation in einem (schriftlichen) Protokoll des Verwaltungsrates30 festgehalten wird.

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3.2 Materielle Aspekte der Delegation
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Die Delegation von Geschäftsführungsaufgaben ist nur dann rechtsgültig, wenn nebst den formellen Voraussetzungen in materieller Hinsicht einerseits die Schranken von Art. 716a Abs. 1 OR und den weiteren diesbezüglichen Bestimmungen (siehe Punkt 2.1) respektiert werden und andererseits das Organisationsreglement den Mindestinhalt im Sinne von Art. 716b Abs. 2 OR umfasst.31

Sehr allgemein formuliert schreibt Art. 716b Abs. 2 OR vor, dass das Organisationsreglement die Geschäftsführung zu ordnen hat. Dabei sieht die Bestimmung weiter vor, dass das ­Organisationsreglement:

  1. die für die Geschäftsführung erforderlichen Stellen bestimmt;
  2. die Aufgaben dieser Stellen umschreibt. Damit ist jedoch nicht ein detailliertes Pflichtenheft jeder einzelnen Stelle gemeint, sondern vielmehr eine Umschreibung, was von jeder Stelle in der Hauptsache im Rahmen der arbeitsteiligen Geschäftsführung zu leisten ist;
  3. schliesslich insbesondere auch die Berichterstattung regelt. Darunter wird die genauere Regelung der Pflicht der Geschäftsleitung zur spontanen und periodischen Berichterstattung an den Verwaltungsrat verstanden.32

Gemäss Art. 716b Abs. 2 OR hat der Verwaltungsrat zudem auf Anfrage die Aktionäre und Gläubiger der Aktiengesellschaft schriftlich über die Organisation der Geschäftsführung zu orien­tieren, wobei Letztere ein schutzwürdiges In­teresse glaubhaft zu machen haben. Dabei muss der Verwaltungsrat einzig über die Organisation orientieren. Die Vorlage oder Herausgabe des Organisationsreglements ist nicht ­erforderlich.33

Unerlässlich ist, dass sich der Verwaltungsrat beim Erlass des Organisationsreglements an den jeweiligen spezifischen Anforderungen des eigenen Unternehmens orientiert, weshalb beispielsweise der Rhythmus der Berichterstattung je nach Geschäftstätigkeit des Unternehmens auch verschieden festgelegt werden kann.34

Ein sogenannter Genehmigungsvorbehalt zugunsten des Verwaltungsrates kommt in Organisationsreglementen öfters vor. Dabei behält sich der Verwaltungsrat die Beschlussfassung oder ein Genehmigungsrecht für gewisse wichtige Geschäfte vor. Im Falle von Fehlentscheidungen in diesem Bereich bleibt dann aber auch der Verwaltungsrat grundsätzlich verantwortlich bzw. haftbar.35

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3.3 Möglicher weiterer Inhalt eines ­Organisationsreglements
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Im Organisationsreglement werden in der Regel mehr Aspekte geregelt als nur die in Art. 716b Abs. 2 OR erwähnte Stellen- und Aufgaben­beschreibung sowie die Berichterstattung. Zu erwähnen sind dabei unter anderem die folgenden Punkte:

  1. die Konstituierung des Verwaltungsrates;
  2. die Sitzungsordnung inklusive Präsenzquorum;
  3. die Vorbehaltsgeschäfte bzw. der Genehmigungsvorbehalt gegenüber bestimmten Entscheidungen der Geschäftsführung;
  4. die Informationsrechte der Mitglieder des Verwaltungsrates wie auch die interne Informationsordnung des Verwaltungsrates;
  5. die Aufgaben und Kompetenzen des Präsidenten und allfälliger Ausschüsse des Verwaltungsrates;
  6. die Kompetenzen der Geschäftsleitung ­inklusive Regelung des Vorsitzes und der ­Sitzungsordnung;
  7. die Regelung der Stellvertretung;
  8. die Grundsätze über die Entschädigung der Verwaltungsratsmitglieder;
  9. die Regelung möglicher Interessenkonflikte wie Konkurrenzverbote, Ausstandsbestimmungen usw.; und
  10. die Grundzüge der Ausgestaltung des internen Kontrollsystems.

Im Organisationsreglement werden zudem regelmässig auch Regelungen in Bezug auf die Vertretungsbefugnisse festgelegt.36 Das Organisationsreglement dient weiter auch als Grundlage für weitergehende Organisationsentscheide der verschiedenen Stellen innerhalb eines Unternehmens, so beispielsweise für die weitere Ausgestaltung des Rechnungswesens, der Finanzplanung wie auch der Finanzkontrolle.37

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4. Die haftungsbefreiende Wirkung der befugten Delegation
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Die Mitglieder des Verwaltungsrates einer Aktien­gesellschaft sind, wie bereits einleitend ausgeführt, sowohl der Gesellschaft als auch den einzelnen Aktionären und Gesellschaftsgläubigern gegenüber für den Schaden verantwortlich, den sie durch die absichtliche oder fahrlässige Verletzung ihrer Pflichten verur­sachen.38

Mittels einer rechtsgültig vorgenommenen Delegation in formell- wie auch materiell-recht­licher Hinsicht kann im Bereich der übertragenen Geschäftsführung die persönliche Haftung der nicht mehr geschäftsführenden Verwaltungsräte auf die richtige Auswahl, Instruktion bzw. Unterrichtung und Überwachung der Geschäftsführer – ob Verwaltungsräte oder Dritte – reduziert werden.39 Das Gesetz formuliert dies in Art. 754 Abs. 2 OR so, dass wer die Erfüllung einer Aufgabe befugterweise einem anderen Organ überträgt, für den von diesem verursachten Schaden nur dann haftet, wenn er nicht nachweisen kann, dass er bei der Auswahl, Unterrichtung und Überwachung die nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat.40

Für diejenigen Personen, welche Stellen mit delegierten Geschäftsführungsaufgaben besetzen, bedeutet dies umgekehrt, dass ihnen nun die entsprechenden Rechte und Pflichten zustehen. Somit werden die mit der Geschäfts­führung betrauten Personen im Falle der Verletzung dieser Pflichten im Sinne von Art. 754 Abs. 1 OR auch verantwortlich.41

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5. Exkurs: Die Delegation innerhalb des Verwaltungsrates
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Von der Geschäftsführungsdelegation zu unterscheiden ist die Bildung von sogenannten ­Verwaltungsratsausschüssen. Dabei gilt es grundsätzlich zwischen zwei Konzepten zu unter­scheiden:

  1. Nebst dem Gesamtverwaltungsrat besteht ein einziger Ausschuss, in welchem einzelne Mitglieder Einsitz nehmen. Diese Verwaltungsräte, die Ausschussmitglieder, kümmern sich in der Regel intensiver um die Belange der Gesellschaft und nehmen auch eine grös­sere zeitliche Belastung in Kauf. Die übrigen Verwaltungsräte haben dann einzig noch eine allgemeine Überwachungsfunktion. Dieses Konzept war vor allem zu den Zeiten verbreitet, als die Verwaltungsräte noch sehr gross waren.
  2. Der Verwaltungsrat besteht aus mehreren Ausschüssen und dem Gesamtverwaltungsrat. Dabei nimmt in der Regel jedes Mitglied des Verwaltungsrates in mindestens einem Ausschuss Einsitz und arbeitet zudem im Gesamtgremium. Die Einsitznahme in den einzelnen Ausschüssen erfolgt dabei aufgrund der spezifischen Kompetenzen und Interessen der Mitglieder.

Einer der zentralen Ausschüsse ist dabei der sog. Prüfungsausschuss bzw. das Audit Committee. Diesem obliegt nebst der Zusammen­arbeit mit der Revisionsstelle oft auch die ­Überwachung der internen Revision. Weiter kann es auch einen Salärausschuss geben, das Compensation Committee, welches die Salär- bzw. Entschädigungspolitik festlegt. Der Berufungs- oder Nominierungsausschuss bzw. das Appointment Committee ist sodann für die Personalpolitik zuständig. Üblicherweise gibt es ­zudem, je nach Bedarf, weitere ständige Ausschüsse, aber auch sog. Ad-hoc-Ausschüsse.

Von Gesellschaft zu Gesellschaft unterschiedlich sind die genauen Aufgaben und Kompetenzen der Ausschüsse. Diesen kann gemäss Art. 716a Abs. 2 OR die Aufgabe zukommen, Beschlüsse des Verwaltungsrates vorzubereiten oder auszuführen und allenfalls Überwachungsfunktionen wahrzunehmen. Den Ausschüssen können jedoch auch Entscheidungskompetenzen eingeräumt werden, Letzteres aber nur im Bereich der delegierbaren Aufgaben (siehe Punkt 2.2). In diesem Fall bedarf es zudem ­einer formell korrekten Delegation der ent­sprechenden Kompetenzen im Rahmen eines Organisationsreglements.42

Die Aufgabenteilung innerhalb des Verwaltungsrates durch Bildung von Verwaltungsratsausschüssen hat grundsätzlich keine haftungsbefreiende Wirkung für den Verwaltungsrat im Sinne von Art. 754 Abs. 2 OR.

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6. Zusammenfassung und Fazit
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Die Mitglieder des Verwaltungsrates einer Ak­tiengesellschaft sind sowohl der Gesellschaft als auch den einzelnen Aktionären und Gesellschaftsgläubigern gegenüber für den Schaden verantwortlich, den sie durch die absichtliche oder fahrlässige Verletzung ihrer Pflichten verursachen. Von dieser Haftung können sich die Verwaltungsräte insofern befreien, als sie die Erfüllung einer Aufgabe einem anderen Organ rechtmässig übertragen und dabei bei der ­Auswahl, Unterrichtung und Überwachung die nach den Umständen gebotene Sorgfalt an­wenden.

Die Delegation der Geschäftsführungsaufgaben erfolgt mittels Organisationsreglement, wobei mittels Organisationsreglement auch die Organisation der Geschäftsführung den betriebswirtschaftlichen Bedürfnissen der jeweiligen Gesellschaft angepasst werden kann.

Damit die Delegation von Geschäftsführungsauf­gaben auch rechtmässig bzw. «befugt» im ­Sinne des Gesetzes ist, bedarf es nebst einer entsprechenden Grundlage in den Gesellschaftsstatuten auch der Einhaltung der im ­Gesetz vorgesehenen materiell-rechtlichen Schranken der Delegation, wobei das Organisationsreglement auch gewisse Mindestinhalte aufweisen muss. Allgemein formuliert schreibt das Aktienrecht vor, dass das Organisations­reglement – mindestens eine protokollierte ­Willensäusserung des Verwaltungsrates – die Geschäftsführung zu ordnen hat, die hierfür erforderlichen Stellen bestimmt, deren Aufgaben umschreibt und die Berichterstattung an den Verwaltungsrat regelt.

Ist die Delegation der Geschäftsführungsauf­gaben rechtmässig erfolgt, werden die mit der Geschäftsführung neu betrauten Personen im Falle der Verletzung dieser Pflichten anstelle der die entsprechenden Aufgaben delegierenden Verwaltungsräte verantwortlich.

Es kann somit abschliessend festgehalten werden, dass die Ausarbeitung und der Erlass eines Organisationsreglements eine zentrale Aufgabe des Verwaltungsrates ist. Fehlt ein solches – was in der Praxis allzu oft der Fall ist – oder ist dieses lückenhaft, widersprüchlich oder beinhaltet das Organisationsreglement nicht durchdachte Bestimmungen, kann dies in tatsächlicher wie auch rechtlicher Hinsicht weitreichende Folgen zeitigen, so insbesondere Konsequenzen haftungsrechtlicher Natur.43

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  1. Peter Forstmoser / Arthur Meier-Hayoz, Schweizerisches Gesellschaftsrecht, 10. A., Bern 2007, § 16, N 393.
  2. Peter Böckli, Schweizer Aktienrecht, 4. A., Zürich 2009, § 13, N 289.
  3. Umfassend behandelt wird das Thema Organisationsreglement bei Peter Forstmoser, Organisation und Organisationsreglement der Aktiengesellschaft, Zürich 2011.
  4. Mehr zum Delegierten des Verwaltungsrates bei Roland Müller / Lorenz Lipp / Adrian Plüss, Der Verwaltungsrat – Ein Handbuch für die Praxis, 3. A., Zürich 2007, S. 70 ff.
  5. CHK-A. Plüss / D. Kunz / A. Künzli, OR 716a N 3.
  6. Die Zweckmässigkeit der Organisation gilt es auch aufgrund von Art. 102 StGB – Strafbarkeit des Unternehmens aufgrund mangelnder Organisation – laufend zu überprüfen.
  7. CHK-A. Plüss / D. Kunz / A. Künzli, OR 716a N 4.
  8. R. Watter / K. Roth Pellanda, BSK (2008) Art. 716a N 15.
  9. CHK-A. Plüss / D. Kunz / A. Künzli, OR 716a N 5.
  10. Siehe dazu und insbesondere zu Fragen des Vertretungs- und Zeichnungsrechts auch R. Watter / K. Roth Pellanda, BSK (2008) Art. 716a N 20.
  11. CHK-A. Plüss / D. Kunz / A. Künzli, OR 716a N 6.
  12. CHK-A. Plüss / D. Kunz / A. Künzli, OR 716a N 7.
  13. CHK-A. Plüss / D. Kunz / A. Künzli, OR 716a N 8.
  14. CHK-A. Plüss / D. Kunz / A. Künzli, OR 716a N 9; R. Watter / K. Roth Pellanda, BSK (2008) Art. 716a N 33.
  15. Siehe in diesem Zusammenhang insbesondere auch Forstmoser (FN 3) § 8, N 5 ff.
  16. Böckli (FN 2) § 13, N 287.
  17. Forstmoser (FN 3) § 8, N 7.
  18. CHK-A. Plüss / D. Kunz / A. Künzli, OR 716 N 1.
  19. Forstmoser (FN 3) § 8, N 4.
  20. CHK-A. Plüss / D. Kunz / A. Künzli, OR 716a N 3.
  21. Forstmoser (FN 3) § 8, N 8.
  22. Eine mögliche statutarische Grundlage für die Delegation der Geschäftsführungsaufgaben mittels eines Organisationsreglements könnte wie folgt lauten: «Der Verwaltungsrat ist ermächtigt, die Geschäftsleitung und die Geschäftsführung nach Massgabe eines Organisationsreglements ganz oder zum Teil an einzelne Mitglieder oder Dritte zu übertragen.»
  23. R. Watter / K. Roth Pellanda, BSK (2008) Art. 716b N 4.
  24. R. Watter / K. Roth Pellanda, BSK (2008) Art. 716b N 4.
  25. Böckli (FN 2) § 13, N 332.
  26. Für ein Beispiel eines Organisationsreglements sei auf Müller / Lipp / Plüss (FN 4) S. 707 ff. verwiesen. Dabei gilt es zu beachten, dass ein Organisationsreglement stets auf die Bedürfnisse der jeweiligen Gesellschaft angepasst werden muss.
  27. R. Watter / K. Roth Pellanda, BSK (2008) Art. 716b N 5.
  28. Peter Forstmoser / Arthur Meier-Hayoz / Peter Nobel, Schweizerisches Aktienrecht, Bern 1996, § 11, N 6.
  29. R. Watter / K. Roth Pellanda, BSK (2008) Art. 716b N 5.
  30. So beispielsweise im Konstituierungsbeschluss des Verwaltungsrates.
  31. R. Watter / K. Roth Pellanda, BSK (2008) Art. 716b N 6.
  32. Böckli (FN 2) § 13, N 324 ff.
  33. Böckli (FN 2) § 13, N 333.
  34. R. Watter / K. Roth Pellanda, BSK (2008) Art. 716b N 7.
  35. R. Watter / K. Roth Pellanda, BSK (2008) Art. 716b N 7.
  36. Müller / Lipp / Plüss (FN 4) S. 64.
  37. Müller / Lipp / Plüss (FN 4) S. 65.
  38. Art. 754 Abs. 1 OR.
  39. R. Watter / K. Roth Pellanda, BSK (2008) Art. 716b N 16.
  40. Böckli (FN 2) § 18, N 120 ff.
  41. R. Watter / K. Roth Pellanda, BSK (2008) Art. 716b N 18.
  42. Forstmoser / Meier-Hayoz (FN 1) § 16, N 406 ff. Für weitergehende Ausführungen zum Thema Ausschüsse sei auf Böckli (FN 2) § 13, N 405 ff. verwiesen.
  43. Böckli (FN 2) § 13, N 332b.
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