Wer in einem freien Beruf tätig ist, wird sich in Zukunft vermehrt mit Buchführung, Rechnungslegung und dem Begriff «ordnungsgemäss» befassen müssen.
Der Schweizerische Verband freier Berufe (VSFB) umschreibt das Berufsbild mit:
«Die freien Berufe sind erkennbar an den zugleich hoch qualifizierten, persönlichen und nicht standardisierbaren geistigen Leistungen und Dienstleistungen, die auf der Grundlage von beruflichem Wissen erbracht werden, welches durch umfassende Aus- und Weiterbildung sowie stete Fortbildung erlangt und bewahrt wird.
Wesensmerkmal der freien Berufe ist das Vertrauensverhältnis zum Auftraggeber, zu Klienten, Kunden oder Patienten, welches eine berufliche Vertraulichkeit oder eine gesetzliche Schweigepflicht begründet.
Die freien Berufe zeichnen sich dadurch aus, dass die freiberufliche Tätigkeit in fachlicher Unabhängigkeit erfolgt und in der Regel mit der Übernahme eines unternehmerischen Risikos einhergeht.»1
Wer in einem freien Beruf tätig ist, muss sich nicht ins Handelsregister eintragen. Gemäss Bundesgericht2 handelt es sich dabei um Berufe, bei denen nicht die Rentabilität, sondern die persönlichen Beziehungen zu Patienten oder Klienten im Vordergrund stehen. Darunter fallen Ingenieure, Architekten, Ärzte, Zahnärzte und Anwälte (Honni soit qui mal y pense ...).
Trotzdem eintragungspflichtig ist ein Zahnarzt, der eine Praxis mit mehreren Mitarbeitern, langen Öffnungszeiten und einem Notfalldienst führt. Dieser Betrieb wird als gewinnorientiert eingestuft und im Handelsregister eingetragen.3 Desgleichen ein grösseres Architekturbüro mit bis zu 4 Mio. Franken Umsatz.4
Landwirte gehören auch der Kategorie der nicht einzutragenden Betriebe an,5 wobei auch hier – je nach Fall – ein Eintrag trotzdem Pflicht sein kann. So zum Beispiel ein Betrieb, der Gemüse anbaut. Begründung: Da dieser Betrieb Lieferscheine erstelle, benötige er eine kaufmännische Infrastruktur für die Fakturierung.6
Künstler sind im Handelsregister auch nicht zu finden, lediglich in hohem Alter oder nach deren Tod finden sich ihre Namen in Form von Stiftungen eingetragen.7
Gemäss den voraussichtlich bis 31.12.2012 gültigen OR-Artikeln 957 ff. ist handelsrechtlich nur buchführungspflichtig, wer im Handelsregister eingetragen ist, freie Berufe somit nicht.
In der Botschaft8 zum neuen Rechnungslegungsrecht stand Ende 2007 noch in Art. 957 nOR:
1 Einzelunternehmen, Personengesellschaften und juristische Personen, die sich ins Handelsregister eintragen lassen müssen (Unternehmen), unterliegen der Pflicht zur Buchführung und Rechnungslegung gemäss den nachfolgenden Bestimmungen.
2 Einzelunternehmen, Vereine und Stiftungen, die nicht verpflichtet sind, sich ins Handelsregister eintragen zu lassen, müssen lediglich Buch führen über die Einnahmen und Ausgaben sowie über die Vermögenslage. Die Grundsätze ordnungsmässiger Buchführung gelten sinngemäss.
Es wurde somit einerseits die bisherige Formulierung, wonach der Handelsregistereintrag Voraussetzung für eine vollumfängliche Buchführungspflicht sei, übernommen und mit dem Begriff Rechnungslegung ergänzend präzisiert, andererseits wurde festgehalten, dass die nicht zum Eintrag Verpflichteten ihre Unterlagen in etwa so zusammenstellen müssen, wie sie sie bereits bisher aufgrund der Vorschriften für das Ausfüllen der Einkommens- oder Mehrwertsteuerformulare benötigten.
Unter dem Motto «KMU-freundlich» hat das Parlament den Art. 957 nOR mit einer 500 000- Franken-Grenze versehen und umformuliert. Neu lautet dieser nun definitiv:9
1 Der Pflicht zur Buchführung und Rechnungslegung gemäss den nachfolgenden Bestimmungen unterliegen:
- Einzelunternehmen und Personengesellschaften, die einen Umsatzerlös von mindestens 500 000 Franken im letzten Geschäftsjahr erzielt haben;
- juristische Personen.
2 Lediglich über die Einnahmen und Ausgaben sowie über die Vermögenslage müssen Buch führen:
- Einzelunternehmen und Personengesellschaften mit weniger als 500 000 Franken Umsatzerlös im letzten Geschäftsjahr;
- diejenigen Vereine und Stiftungen, die nicht verpflichtet sind, sich ins Handelsregister eintragen zu lassen;
- Stiftungen, die ... von der Pflicht zur Bezeichnung einer Revisionsstelle befreit sind.
3 Für die Unternehmen nach Absatz 2 gelten die Grundsätze ordnungsmässiger Buchführung sinngemäss.
Ein Hinweis auf einen Handelsregistereintrag oder auf eine Ausnahme für freie Berufe fehlt, ebenso eine Unterscheidung zwischen nach kaufmännischer Art geführten und nicht nach kaufmännischer Art geführten Unternehmen. Ein Betriebsunfall oder eine bewusst gewollte Änderung der bisherigen Praxis? Liest man die Protokolle der parlamentarischen Beratung, findet sich dann und wann eine Erwähnung zum Thema Handelsregistereintrag,10 über den Begriff freie Berufe wurde nie diskutiert.
Wer in einem freien Beruf über 500 000 Franken Umsatz erzielt, ist deshalb in Zukunft nicht nur den Buchführungsnormen von Art. 957 nOR unterworfen, sondern auch den übrigen Normen, hier sind insbesondere die Rechnungslegung mit detaillierter Darstellungspflicht in der Bilanz- und Erfolgsrechnung sowie auch die Bewertungsrichtlinien zu beachten.
Wer unter 500 000 Franken Umsatz generiert, hat im Vergleich zu heute keine grossen Änderungen zu befürchten. Die bisher aufgrund von steuerrechtlichen Pflichten erstellten Aufzeichnungen müssen nun jedoch explizit den gesetzlichen Ansprüchen an die Ordnungsmässigkeit entsprechen. Ordnungsgemäss buchführen ist neu im Gesetz definiert und beinhaltet:11
- die vollständige, wahrheitsgetreue und systematische Erfassung der Geschäftsvorfälle und Sachverhalte;
- der Belegnachweis für die einzelnen Buchungsvorgänge;
- die Klarheit;
- die Zweckmässigkeit mit Blick auf die Art und Grösse des Unternehmens;
- die Nachprüfbarkeit.
Berühmtheit jedoch erst recht. Man könnte auch eine Beton-Skulptur des in New York lebenden Urs Fischer als Beispiel nehmen. Mit seinem 16 Tonnen schweren Teddy-Bär12 würde auch er in der Schweiz die 500 000-Franken-Grenze überschreiten (der Teddy in New York wurde für 6,8 Mio. Dollar versteigert).
Ein solcher Künstler hätte nun nicht nur eine Buchführungspflicht im Sinne einer Einnahmen- und Ausgabenrechnung, er müsste nun auch die Rechnungslegungspflichten erfüllen.13 Ergänzend zu den vorgenannt einzuhaltenden Vorschriften im Zusammenhang mit der ordnungsgemässen Führung der Buchhaltung sind der Umsatzhöhe wegen zusätzlich folgende Anforderungen an eine ordnungsgemässe Rechnungslegung14 zu erfüllen:
- Sie muss klar und verständlich sein.
- Sie muss vollständig sein.
- Sie muss verlässlich sein.
- Sie muss das Wesentliche enthalten.
- Sie muss vorsichtig sein.
- Es sind bei der Darstellung und der Bewertung stets die gleichen Massstäbe zu verwenden.
- Aktiven und Passiven sowie Aufwand und Ertrag dürfen nicht miteinander verrechnet werden.
Zu den zusätzlichen Pflichten würde die Einhaltung der Darstellungsvorschriften der Bilanz15 gehören sowie das Erstellen einer Erfolgsrechnung: Zur Wahl steht nur die Absatz- oder die Produktionserfolgsrechnung mit den gesetzlich geforderten Details.16
Es würde eine 6-Monats-Frist für die Erstellung des Geschäftsberichts17 gelten und es müssten zeitliche und sachliche Abgrenzungen18 vorgenommen werden. Das Gesetz verlangt ein Inventar19, zu dem das Rohmaterial, das Lager der unverkauften Objekte sowie die in Arbeit befindlichen Werke gehören, und natürlich würde all dies basierend auf der sauber nachgeführten Buchhaltung zu Anschaffungs- bzw. Herstellkosten20 bewertet werden. Stille Reserven sind weiterhin möglich, nur wird der Spielraum mit dem detaillierten Inventar, welches als Buchungsbeleg dienen soll, wohl etwas eingeengt. Eine Zeile mit der Bezeichnung «Vorräte und nicht fakturierte Dienstleistungen» ist gemäss neuem Recht in der Bilanz Pflicht.21 Die Zahl null dürfte auf jener Zeile nicht in die Bilanz geschrieben werden, da ja mit hoher Wahrscheinlichkeit Material vorhanden ist. Wenn jedoch die Künstlerin Manon sagt, «Kunst darf alles und muss nichts»,22 wird man mit Blick auf das Vorsichtsprinzip am besten alles mit einem Franken bewerten. Aus Künstler-sicht somit nicht so dramatisch.
Wie steht es jedoch beim Landwirt, der bei mehr als 500 000 Franken Umsatz zu einer vollständigen Rechnungslegung verpflichtet ist? In langen Winternächten wird der Abschluss sicher innert der 6-Monats-Frist erstellt werden. Knifflige Bewertungsfragen könnten für den Bauern zum Bilanzstichtag jedoch anstehen:
- Wie gross ist die Menge und wie hoch sind die Herstellkosten der Pflanzen, die im Glashaus wachsen?
- Wie ermittelt man die Herstellkosten der Kälber, die selbst gezüchtet wurden? Spielt es beim Bilanzieren eine Rolle, ob das Kalb in Kürze zum Metzger muss oder die nächsten Jahre als Milchkuh dient?
- Wie bewertet man das selbst gemähte Heu, welches im Winter im Stall verwendet wird?
- Steht irgendwo auf dem Hof noch ein angebrochenes Fass Diesel, welches ins Inventar gehört und wie viel Ster Holz stapeln sich hinter der Scheune und im Wald?
- Wie bewertet und verbucht man den Eigenverbrauch?
Natürlich wird auch der Landwirt stille Reserven bilden und seine Vorräte mit einem Franken bilanzieren können. Da jedoch der bereits heute gültige Art. 1 Abs. 3 der GeBüV23 eine fortlaufende Führung der Warenbestände verlangt, wird der Spielraum in Sachen steuerlicher Anerkennung der gebildeten stillen Reserven eingeschränkt sein.
Der Bauernverband ist in Sachen Zahlenwesen sehr fortschrittlich. Fachlich werden diese Herausforderungen sicher problemlos gemeistert werden, aber die so geschaffene Transparenz wird nicht überall zu Freudentänzen führen. Hat hier die Bauernlobby im Parlament geschlafen oder sind diese Überlegungen zu kreativ? Ein spezielles Bauerngesetz mit einer für den Bauernstand formulierten Buchführung und Rechnungslegung könnte allenfalls helfen. Bei Banken sind die Regeln der FINMA einem Buchführungsstandard gleichgestellt worden.24 Die Ärzte sind im Parlament auch gut vertreten und könnten auf eine Vereinfachung hin lobbyieren. Aber wie gut sind Ingenieure und Architekten vertreten? Da Gesetzesmühlen langsam mahlen, wird wohl da und dort KMU-freundlich lächelnd in den sauren Apfel gebissen werden.
- www.freieberufe.ch, abgerufen am 14.8.2012.
- BGE 130 III 707 E. 4.2.
- BGE 4A_526/2008.
- BGE 130 III 707.
- BGE 97 I 417.
- BGE 135 III 304.
- Z.B. Fontana-Gränacher-Stiftung, Fondation Meret Oppenheim, Fondation Espace Jean Tinguely – Niki de Saint Phalle, Hans Erni-Stiftung.
- BBl 1999 5149 ff.
- BBl 2012 63, S. 64.
- Z.B. AB 2009 S 1190 Claude Janiack, AB 2009 S 1191 Hermann Bürgi / AB 2009 S 1192 Eveline Widmer-Schlumpf / AB 2010 N 1375 Anita Thanei / Abl 2010 N 1375 f. Luzi Stamm.
- Gemäss Art. 957a Abs. 2 nOR.
- Http://theaccessorator.com, abgerufen am 10.8.12.
- Art. 958 ff. nOR.
- Art. 958c Abs. 1 nOR.
- Art. 959a OR.
- Art. 959b nOR.
- Art. nOR 958 Abs. 3 nOR.
- Art. 958b Abs. 1 nOR.
- Art. 958c Abs. 2 nOR: «Der Bestand der einzelnen Positionen in der Bilanz und im Anhang ist durch ein Inventar oder auf andere Art nachzuweisen.»
- Art. 960a nOR.
- Art. 959a Abs. 1 nOR.
- Http://www.christianroellin.com, abgerufen am 10.8.2012.
- Die Geschäftsbücherverordnung wird mit kleinen Anpassungen als Verordnung zu Art. 958f Abs. 4 nOR übernommen.
- Art. 962 Abs. 5 nOR bzw. darauf basierend Art. 2 Entwurf zur Verordnung über die anerkannten Standards zur Rechnungslegung (VASR).