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Unter verfassungsmässigen Rechten im Sinne von Art. 336 Abs. 1 lit. b OR sind namentlich die Vereinigungsfreiheit, die Glaubens- und Gewissensfreiheit, die Wirtschaftsfreiheit sowie die persönliche Freiheit inklusive der freien Freizeitgestaltung zu verstehen. Eine Kündigung ist nicht missbräuchlich, wenn sie wegen Ausübung eines solchen Rechts erfolgt, sofern dadurch eine Pflicht aus dem Arbeitsvertrag verletzt wird, namentlich die Arbeitspflicht, die Treuepflicht oder eine andere vertraglich festgelegte Pflicht. Die Parteien können die Treuepflicht strenger als nach Art. 321a OR umschreiben. Die Beschränkung verfassungsmässiger Rechte muss sich indessen in den Grenzen der Vertragsfreiheit, insbesondere von Art. 27 Abs. 2 ZGB bewegen. Es fragt sich, ob jede noch so geringfügige Vertragsverletzung ausreicht, um die Missbräuchlichkeit der Kündigung zu beseitigen. Das Gesetz enthält diesbezüglich keine Differenzierung. Nach der Lehre ist zu fragen, ob die Vertragsverletzung – etwa eine zeitlich geringfügige Absenz – im Normalfall geduldet worden wäre und der Arbeitgeber nur deshalb mit einer Kündigung reagiert hat, weil die fragliche Vertragsverletzung an die Ausübung eines verfassungsmässigen Rechts gebunden war.

Art. 336 Abs. 1 lit. b und Art. 321a OR; Art. 27 Abs. 2 ZGB

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(BGer., 15.11.11 {4A_408/2011}, ARV 2012, S. 42)

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