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Der Versicherte D., ein italienischer Grenzgänger, verlangte bei seiner endgültigen Ausreise aus der Schweiz die Barauszahlung der Austrittsleistung. Es wurde ihm aber gemäss den Durchführungsbestimmungen zum Abkommen über den freien Personenverkehr zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (EU) nur der überobligatorische Teil ausbezahlt; der ­obligatorische Teil wurde nicht ausbezahlt. D. machte geltend, dass er selbständigerwerbend geworden sei und deshalb – gleich wie die Selbständigerwerbenden in der Schweiz – die Auszahlung des obligatorischen Teils seiner Vorsorge fordere.

Sowohl die Kasse als auch das kantonale Gericht wiesen dieses Begehren ab, da der Beweis der Nichtunterstellung unter die obligatorische Versicherung in Italien nicht erbracht worden sei. D. führte Beschwerde beim Bundesgericht und verlangte die Auszahlung der Austrittsleistung an einen Selbständigerwerbenden auf der Grundlage von Art. 5 Abs. 1 lit. b FZG. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, stützt sich dabei aber auf Art. 5 Abs. 1 lit. a FZG und damit auf eine andere Begründung als das BSV und die Lehre.

Als Erstes erinnert das Bundesgericht daran, dass das Auszahlungsverbot dem Schutz des Versicherten vor sich selber dient und gleich­zeitig auch dem Staat nützt, um eventuelle ­zukünftige Unterstützungsleistungen zu ver­meiden. Es weist auch darauf hin, dass das ­Gemeinschaftsrecht die Rückerstattung von Beiträgen verbietet und die Barauszahlung ­einer Rückerstattung gleichgesetzt werden kann.

Nach heutigem Stand ist, wenn eine Person die Schweiz endgültig verlässt, um sich in einem EU- oder EFTA-Land selbständig zu machen, eine Barauszahlung der Freizügigkeitsleistung nur möglich, wenn die Person in diesem Land nicht obligatorisch versichert ist, wobei sie selber den Nachweis der Nichtunterstellung zu erbringen hat. Diese Voraussetzung ist strenger als für einen Selbständigerwerbenden in der Schweiz, weshalb sich der Beschwerdeführer auf eine Verletzung des Gleichbehandlungs­gebotes beruft.

Das Bundesgericht analysiert Art. 5 Abs. 1 FZG und kommt zum Schluss, dass entgegen der Auffassung der Parteien und der Verwaltung Buchstabe b nicht Versicherte betrifft, die eine selbständige Erwerbstätigkeit im Ausland aufnehmen, sondern nur in der Schweiz. Macht sich ein Versicherter im Ausland selbständig, ist einzig Buchstabe a von Art. 5 Abs. 1 auf ihn anwendbar. Diese Auslegung entspricht der ­ratio legis, wie sie sich aus der Anpassung von Art. 5 FZG ans Gemeinschaftsrecht ergibt.

Auf dieser Grundlage befindet das Bundes­gericht, dass sich D. nicht auf eine Ungleichbehandlung zwischen Personen, die sich im Ausland selbständig machen, und solchen, die sich in der Schweiz selbständig machen, berufen kann. Abgesehen davon ist Art. 25f FZG, der im Rahmen der Anpassung des schweizerischen Rechts an das Gemeinschaftsrecht eingeführt worden ist, unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Person anwendbar.

Was die Voraussetzungen von Art. 25f FZG (Einschränkungen von Barauszahlungen) angeht, bezieht sich die obligatorische Versicherung auf Systeme, die der Verordnung Nr. 1408/71 unterstellt sind, und muss im Sinne der Gesetzgebung des fraglichen Staates ausgelegt werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Gesetzgebung mit dem schweizerischen Recht kompatibel ist. Da die Bar­auszahlung eine Ausnahme darstellt, ist es naheliegend, dass der Beweis der Nichtunterstellung vom Gesuchsteller selbst erbracht werden muss. Aufgrund der Übereinkommen zwischen dem Sicherheitsfonds und den Verbindungsstellen der europäischen Staaten gibt es entsprechende Formulare, und ­diese können bei Gesuchen als Belege mit eingereicht werden.

Art. 5 Abs. 1 lit. a und b und Art. 25f FZG

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(BGer., 18.04.11 {9C_318/2010}, Mitteilungen über die berufliche Vorsorge Nr. 123, 19.07.2011)

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