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Die Abstimmung über die Unternehmenssteuerreform II wird nicht wiederholt. Das Bundesgericht hat zwei Beschwerden gegen den Urnengang von 2008 abgewiesen. Der Bundesrat muss sich für seine Falschinformation zur Vorlage allerdings Kritik gefallen lassen.

Die Beschwerden eingereicht hatten die zwei SP-Nationalräte Margret Kiener Nellen (BE) und Daniel Jositsch (ZH). Eine dritte Eingabe stammt von einer Privatperson. Sie forderten die Aufhebung und Neuansetzung der Abstimmung vom Februar 2008, bei der die Unternehmenssteuerreform II knapp angenommen worden war. Die Beschwerdeführer hatten geltend gemacht, dass das Volk vom Bundesrat in seinen Erläuterungen irregeführt worden sei: Statt der prognostizierten Steuerausfälle von 84 Millionen Franken beim Bund und 850 Millionen bei den Kantonen würden dem Fiskus in den nächsten 10 Jahren bis zu 7 Milliarden Franken entgehen. Laut Jositsch und Kiener Nellen sollen sich die Ausfälle gemäss neuester Schätzung gar auf total 15 Milliarden Franken belaufen. Der höhere Steuerausfall resultiert zum Teil daraus, dass mehr Firmen als erwartet von der Möglichkeit Gebrauch machen, sogenanntes Agio-Kapital steuerfrei an die Aktionäre auszuzahlen. Die I. Öffentlichrechtliche Abteilung des Bundesgerichts hat die Beschwerden der SP-Nationalräte an der Sitzung vom 20. Dezember 2011 nun abgewiesen. Auf die dritte Beschwerde ist das Gericht gar nicht eingetreten. Das Bundesgericht hat im Verlauf seiner zweieinhalbstündigen Debatte harsche Kritik am Bundesrat geübt. Dass eine Prognose über die Auswirkungen einer Vorlage nicht immer zutreffe, liege in der Natur der Sache und sei hinzunehmen. Allerdings habe der Bundesrat überhaupt nicht darüber informiert, dass Voraussagen über die Folgen der Unternehmenssteuerreform teilweise gar nicht möglich seien. Vielmehr habe er vorgespiegelt, dass mehr oder weniger alles klar sei. Für den Entscheid des Stimmbürgers sei die Prognose über die finanziellen Auswirkungen einer Steuervorlage aber eine überaus wichtige Basis. Die damalige Informationslage habe dem Volk damit keine korrekte Meinungsbildung ermöglicht. Eine Aufhebung und Neuansetzung kommt nach Ansicht des Gerichts aber trotz dieser Fehlleistung des Bundesrats nicht infrage. Zum einen seien in der öffentlichen Debatte vor der Abstimmung auch die Gegner der Vorlage zu Wort gekommen und hätten die Angaben der Landesregierung in Zweifel gezogen. Zum anderen verbiete sich eine Annullierung der Abstimmung auch aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Von den Möglichkeiten der Reform hätten Betroffene bereits in grossem Umfang Gebrauch gemacht. Das Rad könne nicht zurückgedreht werden. Das Bundesgericht hat sich am 20. Dezember 2011 auch zum Kompetenzstreit mit dem Bundesrat bei der Beurteilung der aktuellen Beschwerden geäussert. Die Landesregierung hatte dem höchsten Gericht die Zuständigkeit abgesprochen und für sich selbst beansprucht. Das Bundesgericht ist zum Schluss gekommen, dass es aufgrund der rechtlichen Lage nach der Justizreform und der neuen Bundesverfassung dazu befugt ist, auch Unregelmässigkeiten bei eidgenössischen Abstimmungen unter die Lupe zu nehmen.

Art. 189 Abs. 1 lit. f, Art. 29a und Art. 34 Abs. 1 BV; Art. 77 ff. BPR; Art. 88 BGG

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(Öffentliche Beratung in den Verfahren 1C_182/2011 und 1C_176/2011 vom 20. Dezember 2011, Jusletter 9.01.11)

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