Im Jahr 2006 hat das Bundesgericht festgestellt, dass Retrozessionszahlungen an den Kunden des Vermögensverwalters herauszugeben sind, insbesondere dann, wenn der Kunde über den Anfall solcher Zahlungen nicht informiert wurde. Kürzlich hat sich das Bundesgericht mit der Frage, ob und wie ein Kunde auf die Abführung solcher Gelder rechtsgültig verzichten kann, (erneut) beschäftigt und einige der seit 2006 offenen Fragen entschieden.
Sogenannte Retrozessionszahlungen werden üblicherweise im Rahmen des nachfolgend umschriebenen Konstrukts1 ausgerichtet:
Ein Kunde deponiert sein Vermögen bei einer depotführenden Bank. Er will dieses Vermögen aber nicht selbst verwalten, sondern mandatiert einen von der Bank unabhängigen Vermögensverwalter. Damit dieser über das zu verwaltende Vermögen verfügen kann, wird ihm eine Verwaltungsvollmacht eingeräumt. Diese legitimiert ihn gegenüber der Bank und ermächtigt den Vermögensverwalter, der Bank im Rahmen der Vermögensverwaltung Kauf- und Verkaufsaufträge zu erteilen. Für diese Tätigkeit bezahlt der Kunde dem Vermögensverwalter eine Verwaltungsgebühr, die sich in der Regel nach der Höhe des zu verwaltenden Vermögens bemisst.
Für jede Verwaltungshandlung, die der Vermögensverwalter vornimmt, erhebt die Bank eine Gebühr, d.h. für einen getätigten Kaufauftrag muss eine Transaktionsgebühr (Courtage) bezahlt werden. Diese Gebühr hat der Kunde der Bank zu bezahlen. Auf diese Weise generiert die Bank Erträge. Von diesen Erträgen lässt die Bank dem Vermögensverwalter dann wieder einen Teil zufliessen. Dieser Teil wird als «Retrozession» bezeichnet, die dem Vermögensverwalter direkt von der Bank ausgerichtet wird. Die Ausrichtung solcher Retrozessionen kann nun für den Vermögensverwalter falsche Anreize setzen: Um möglichst hohe Retrozessionen von der Bank zu erhalten, kann der Vermögensverwalter sich u.U. dazu hinreissen lassen, mehr Transaktionen, als für die Verwaltung des Vermögens notwendig wären, zu tätigen. Dadurch erhöhen sich die Retrozessionszahlungen – aber auch die für den Kunden anfallenden Transaktionsgebühren. Letzteres ist nicht im Interesse des Kunden. Die Ausrichtung von Retrozessionszahlungen kann deshalb zu einem Interessenkonflikt führen.2 Der unabhängige Vermögensverwalter kann dazu geneigt sein, seine eigenen Gewinninteressen über die Interessen des Kunden zu stellen. Dies aber widerspricht der Treuepflicht gegenüber dem Kunden, welcher der unabhängige Vermögensverwalter unterliegt.
Der Gesetzgeber hat zwecks Vermeidung solcher Interessenkonflikte ein Regulativ vorgesehen: Nach Art. 400 Abs. 1 OR muss der Beauftragte dem Auftraggeber alles abliefern, was der Beauftragte im Zusammenhang mit der Ausführung des Auftrages erhält. Unter diese Ablieferungspflicht fallen auch Zahlungen von Dritten, die der Beauftragte von diesen erhalten hat, wenn zwischen der Zuwendung und dem Auftrag ein innerer Zusammenhang besteht. Ein solcher innerer Zusammenhang ist stets dann anzunehmen, wenn die Zuwendung des Dritten zu einem Interessenkonflikt zwischen den Interessen des Auftraggebers und den eigenen Interessen des Beauftragten führen kann. In Würdigung dieses Grundsatzes hat das Bundesgericht deshalb im Jahre 2006 festgestellt, dass auch sogenannte Retrozessionen unter diese Ablieferungspflicht fallen.3 Folglich darf der Vermögensverwalter die Retrozessionen nicht selbst vereinnahmen, sondern muss diese an den Kunden abführen.
Der Vermögensverwalter und der Kunde können aber auch eine andere Vereinbarung treffen, nämlich die Vereinbarung, dass der Kunde auf die Ablieferung dieser Gelder verzichtet. Ein solcher Verzicht ist aber nur gültig, wenn er gewissen Anforderungen genügt: Das Bundesgericht hat im Jahre 2006 festgestellt, dass ein Verzicht nur dann gültig ist, wenn der Kunde – bevor er verzichtet – über den Anfall von Retrozessionen aufgeklärt wird und er die Anzahl getätigter Geschäfte und die Vereinbarungen über die Höhe derartiger Entschädigungen an den Vermögensverwalter kennt, d.h. konkret muss der Kunde a) die Anzahl getätigter Transaktionen kennen und b) den zur Anwendung gelangten Retrozessionssatz kennen. Weiter muss er wohl auch noch die Courtage kennen, denn der Retrozessionssatz steht häufig in Relation zur Courtage.
Nachdem dieser Entscheid ergangen war, wurde insbesondere die Frage, ob auf die Ablieferung dieser Retrozessionen von vornherein verzichtet werden kann, in der Praxis kontrovers diskutiert.4
Zwischen dem Vermögensverwalter und dem Kunden wird der Vermögensverwaltungsvertrag am Anfang der Geschäftsbeziehung abgeschlossen. Dann ist auch die Gelegenheit da, um sich mit dem Kunden über das Schicksal der Retrozessionen zu unterhalten und die entsprechenden Vereinbarungen zu treffen (z.B. tiefere Vermögensverwaltungsgebühr, während der Vermögensverwalter als zusätzliches Honorar die Retrozessionen vereinnahmen darf). Es stellte sich dann aber das Problem, dass der Kunde dann noch gar nicht rechtsgültig auf die Herausgabe der Retrozessionen verzichten kann. Dann kennt er nämlich die in BGE 132 III 460 genannten Parameter noch nicht. Der Vermögensverwalter kann dem Kunden zu Beginn der Geschäftsbeziehung allenfalls den dann gültigen Retrozessionssatz offenlegen, doch mit der Anzahl getätigter Geschäfte wird es schwierig: Der Vermögensverwalter hat noch gar keine Transaktionen getätigt, denn diese sollen erst vorgenommen werden, nachdem der Vermögensverwaltungsvertrag abgeschlossen ist und ein Mandat erteilt wurde. Folglich kann er dem Kunden die Anzahl getätigter Geschäfte nicht angeben. Diese ist nicht bekannt und lediglich schätzbar.
Es schien somit, dass ein solcher «Vorausverzicht» gar nicht möglich war. Dieses Resultat erwies sich aber als wenig befriedigend und nicht den Bedürfnissen der Praxis entsprechend. In der Lehre wurde deshalb u.a. postuliert, dass es genügen müsse, wenn dem Kunden zu Beginn des Mandats angegeben wird, auf welchen Umfang sich die Retrozessionszahlungen in etwa belaufen werden (Bandbreite) und er darüber informiert wird, dass die Bank solche Zahlungen im Zusammenhang mit dem Tätigen von Transaktionen ausrichten wird.
Im Urteil vom 29. August 20115 hatte sich das Bundesgericht erneut mit dem Thema der Retrozessionen zu befassen. Der Fall betraf eine «klassische» Ausgangslage: Eine Pensionskasse liess ihr Vermögen von einem unabhängigen Vermögensverwalter verwalten. Dieser wiederum erhielt von einer Bank Retrozessionen und vereinnahmte diese. Die Vermögensverwaltung basierte auf einer «Asset-Management-Vereinbarung», die u.a. vorsah, dass «allfällige Retrozessionen vollumfänglich dem Vermögensverwalter zustehen». Trotz dieser Regelung verlangte die Pensionskasse die Herausgabe der Retrozessionen. Das Bundesgericht schützte den Herausgabeanspruch, da die erwähnte Regelung keinen gültigen Verzicht auf die Herausgabe der Retrozessionen darstelle.
Das Bundesgericht stellte fest, dass ein Vorausverzicht grundsätzlich möglich ist – und klärte damit das sich in der Praxis stellende Problem. Diesbezüglich stellte das Bundesgericht Folgendes fest:
«Ein voraussetzungsloser pauschaler Verzicht auf die Herausgabe von Retrozessionen ist im Hinblick auf die damit verbundene Gefahr von Interessenkonflikten, die durch die Ablieferungspflicht nach Art. 400 Abs. 1 OR gerade verhindert werden sollen, problematisch. Eine Vereinbarung der Parteien, wonach allfällige Retrozessionen beim Vermögensverwalter verbleiben, setzt daher voraus, dass der Auftraggeber über die zu erwartenden Retrozessionen hinreichend informiert ist. Die sich aus der eigentlichen Fremdnützigkeit des Auftrags ergebenden Schranken sind gewahrt, sofern der Auftraggeber den Umfang sowie die Berechnungsgrundlagen der Retrozessionen kennt, die es ihm erlauben, die Kostenstruktur des Vermögensverwaltungsmandats zu erfassen sowie die damit verbundenen Interessenkonflikte des Vermögensverwalters zu erkennen, und er im Wissen darum dem konkreten Entschädigungsmodell zustimmt. Geht man davon aus, dass im Vermögensverwaltungsgeschäft ohne Rückvergütungen anstelle der indirekten Kosten höhere direkte Kosten in Form von Honoraren anfallen würden und der Ertrag somit letztlich gleich bleibt, verzichtet der (informierte) Auftraggeber mit der Preisgabe seines Herausgabeanspruchs letztlich nicht auf Geld, sondern insbesondere auf das gesetzlich vorgegebene System zur Vermeidung von Interessenkonflikten.»
Das Bundesgericht hat somit hervorgehoben, dass für einen Verzicht nicht nur die Komponente «Verzicht auf Geld», sondern v.a. die Komponente «Verzicht auf das System zur Vermeidung von Interessenkonflikten» eine tragende Rolle spielt. Ein vorbehaltsloser, pauschaler Verzicht auf dieses System sei nicht möglich. Ein Verzicht ist nur möglich, wenn der Kunde von gewissen Faktoren Kenntnis hat.
Damit ein Vorausverzicht auf die Ablieferung gültig ist, muss der Auftraggeber – so das Bundesgericht – die Parameter kennen, die zur Berechnung des Gesamtbetrags der Retrozessionen notwendig sind und einen Vergleich mit dem vereinbarten Vermögensverwaltungshonorar erlauben. Eine genaue Bezifferung ist bei einem vorgängigen Verzicht nicht möglich, da sich der Gesamtbetrag des verwalteten Vermögens laufend verändert und die genaue Anzahl bzw. der Umfang der durchzuführenden Transaktionen im Zeitpunkt des Verzichts unbekannt ist. Damit der Kunde den Umfang der zu erwartenden Retrozessionen erfassen und dem vereinbarten Honorar gegenüberstellen kann, muss er zumindest die Eckwerte der bestehenden Retrozessionsvereinbarungen mit Dritten sowie die Grössenordnung der zu erwartenden Rückvergütungen kennen. Letzterem Erfordernis wird beim Vorausverzicht Genüge getan, wenn die Höhe der erwarteten Rückvergütungen in einer Prozentbandbreite des verwalteten Vermögens angegeben wird. Das Zusammenspiel dieser beiden Elemente ermöglicht es dem Auftraggeber, im Hinblick auf einen Verzicht sowohl die Gesamtkosten der Vermögensverwaltung zu erfassen als auch die beim Vermögensverwalter aufgrund der konkreten Anreizstrukturen vorhandenen Interessenkonflikte zu erkennen.
In Bezug auf die Frage, wie der Kunde über diese Eckwerte und die Bandbreite aufzuklären ist, hat das Bundesgericht festgestellt, dass der unerfahrene Kunde über sämtliche der erwähnten Punkte aufzuklären und auf die entsprechenden Zusammenhänge im Einzelnen aufmerksam zu machen ist, aus denen sich angesichts des Empfangs von Leistungen Dritter Interessenkonflikte ergeben können. Beim erfahrenen und in finanziellen Angelegenheiten sachkundigen Vermögensträger reicht dagegen ein Hinweis auf die technischen Eckwerte der bestehenden Retrozessionsvereinbarungen mit Dritten sowie auf das zu erwartende Transaktionsvolumen bzw. die Angabe der erwarteten Rückvergütungen als Prozentbandbreite des verwalteten Vermögens aus. Die Aufklärung muss dabei weder im einen noch im anderen Fall in einer besonderen Form erfolgen. Wenn der Kunde darüber bereits durch einen Dritten informiert wurde oder aus einer bestehenden Geschäftsbeziehung davon Kenntnis hat, muss keine weitere Aufklärung mehr erfolgen. Der Vermögensverwalter muss dann aber im Konfliktfall nachweisen, dass der Kunde über diese Informationen verfügte. Ein bloss allgemeiner Hinweis, wonach der Vermögensverwalter möglicherweise Rückvergütungen erhält, genügt nicht. Mit anderen Worten muss der Kunde offenbar informiert werden, dass solche Zahlungen tatsächlich und nicht nur «möglicherweise» anfallen.
Die Frage des Vorausverzichts ist somit geklärt. Ein solcher ist gültig, wenn dem Kunden die Eckwerte der Retrozessionsvereinbarung bekannt gegeben werden. Vermögensverwalter, die weniger erfahrene Kunden betreuen, haben diese Kunden aber «auf die Zusammenhänge im Einzelnen» hinzuweisen, d.h. die Kunden sind bspw. mittels Abgabe eines Merkblatts zu informieren, welche Verwaltungshandlungen Zahlungen Dritter auslösen können und wie sich solche Zahlungen auf die Höhe der Retrozessionen (die allenfalls vom Vermögensverwalter vereinnahmt werden) auswirken. Durch die Offenlegung dieser Mechanismen wird der Kunde in die Lage versetzt, Anreizstrukturen und damit verbundene Interessenkonflikte zu erkennen. Sobald ihm diese Mechanismen (und die Höhe der zu erwartenden Retrozessionen im Rahmen einer Bandbreite) bekannt sind, kann er auf die Ablieferung gültig verzichten.
Bei erfahrenen Kunden genügt ein Hinweis auf die technischen Eckwerte der Retrozessionsvereinbarung, da bei solchen Kunden vorausgesetzt werden darf, dass sie die entsprechenden Zusammenhänge kennen und gestützt auf die technischen Eckwerte eruieren können, welche Anreizstrukturen bestehen und wie sich diese auswirken können. Dem erfahrenen Anleger muss sodann noch das zu erwartende Transaktionsvolumen oder die geschätzte jährliche Höhe der Retrozessionszahlungen im Verhältnis zum verwalteten Vermögen bekannt gegeben werden.
Darauf, dass der Kunde bereits durch einen Dritten aufgeklärt wurde, sollte sich der Vermögensverwalter nicht verlassen, auch wenn das Bundesgericht festgestellt hat, dass ein durch einen Dritten «aufgeklärter Kunde» nicht nochmals durch den Vermögensverwalter aufgeklärt werden muss. Im Konfliktfall hat der Vermögensverwalter dies dann nämlich zu beweisen, was – wenn die Aufklärung nicht schriftlich dokumentiert ist – in der Regel mit einem nicht unerheblichen Beweisrisiko verbunden sein wird.
- Vgl. dazu Monika Roth, Das Dreiecksverhältnis Kunde – Bank – Vermögensverwalter, 2007, S. 13; Peter C. Hsu, Retrozessionen, Provisionen und Finder’s Fee, 2006, S. 11.
- Vgl. dazu Monika Roth, Retrozessionen und Interessenkonflikte – wenn der Berater in Tat und Wahrheit ein Verkäufer ist, in: ZBJV 146/2010, S. 521 ff.; Christian Bührer / Raphaël Camp, Retrozessionszahlungen, Interessenkonflikte bei externen Vermögensverwaltern, in: Der Schweizer Treuhänder, 8/06, S. 527.
- BGE 132 III 460.
- Vgl. Bellina Borer-Benz, Die Herausgabepflicht des Beauftragten gemäss Art. 400 Abs. 1 OR, 2006, S. 161; Matthias Nänni / Hans Caspar von der Crone, Rückvergütungen im Recht der unabhängigen Vermögensverwaltung, in: SZW 2006, S. 383; Susan Emmenegger, Anlagekosten: Retrozessionen im Lichte der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, in: Emmenegger [Hrsg.], Anlagerecht, 2007, S. 84; Fabian Schmid, Retrozessionen an externe Vermögensverwalter, 2009, S. 188 ff.; Thomas Reimann / Rolf Kuhn, Nach dem Retrozessionsentscheid: Konsequenzen für Vermögensverwalter, in: Der Schweizer Treuhänder 9/2006, S. 690; Monika Roth, Das Dreiecksverhältnis Kunde – Bank – Vermögensverwalter, 2007, Rz. 181; Sandro Abegglen, Der Verzicht auf Ablieferung von Retrozessionen – Einordnung und Anforderungen, recht 25/2007, S. 199, 203; Christoph Gutzwiller, Rechtsfragen der Vermögensverwaltung, 2008, S. 203; Peter C. Hsu, a.a.O., S. 35 f.
- Urteil vom 29. August 2011, 4A_266/2010 / BGE 137 III 393.