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Bereits die auf den ersten Blick einfache Frage, wann ein Arbeitnehmer im rechtlichen Sinn Arbeit leistet, kann zu kontroversen Antworten führen. Weitere aktuelle Brennpunkte betreffen den Arbeitsweg, Geschäftsreisen, Weiterbildung, Pikettdienst, Pausen, die umstrittene Frage der Arbeitszeiterfassung und die heute allgegenwärtige ständige Erreich­barkeit des Arbeitnehmers, z.B. via Smartphone.

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1. Begriff der Arbeitszeit
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Der Arbeitnehmer erfüllt seine Arbeitspflicht nicht durch Lieferung eines Arbeitsergebnisses, sondern durch Arbeitsleistung nach Zeit, also durch die Ableistung von Arbeitszeit. Der Begriff der Arbeitszeit wird weder vom Obligationenrecht (OR) noch vom Arbeitsgesetz (ArG) definiert. Hingegen findet sich in Art. 13 Abs. 1 der Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz (ArGV 1) eine Begriffsumschreibung. Danach gilt als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitsgesetzes «die Zeit, während der sich der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin zur Verfügung des Arbeitgebers zu halten hat». Die spärliche Lehre zum Begriff der Arbeitszeit hat daraus geschlossen, dass zunächst als Arbeitszeit die­jenige Zeit gilt, während der ein Arbeitnehmer unter der Weisungsgewalt des Arbeitgebers steht, sich also im engen Wortsinn «zur Verfügung des Arbeitgebers hält».1 Die Wendung, dass sich der Arbeitnehmer «zur Verfügung des Arbeitgebers hält», ist jedoch über die direkte Weisungsunterwerfung hinaus in einem umfassenderen Sinn zu verstehen: Jede Zeitspanne, die der Arbeitnehmer mit Willen2 des Arbeitgebers in dessen hauptsächlichem Interesse verbringt, ist Arbeitszeit, denn er hält sich und seine Zeit während dieser Zeitspanne zu dessen wirtschaftlicher Verfügung.3 Danach ist auch Zeit, die der Arbeitnehmer z.B. zu Hause mit Willen und im haupt­sächlichen Interesse des Arbeitgebers, aber ausserhalb von dessen unmittelbarer Weisungsgewalt verbringt, Arbeitszeit. Bereits der zitierte Art. 13 ArGV 1 drückt aus, dass die Arbeitszeit keine örtlich oder durch die eingesetzten Betriebsmittel bestimmte Grösse ist und nicht als im Betrieb oder unter Verwendung von Betriebsmitteln des ­Arbeitgebers verbrachte Zeit zu definieren wäre. Die Leistung von Arbeitszeit setzt auch kein Tätigsein voraus, hält sich der Arbeitnehmer doch auch z.B. mit einem Bereitschaftsdienst oder durch untätige Präsenz im Betrieb (z.B. Nachtwache im Spital) zur Verfügung des Arbeit­gebers.4

Nun ist jedoch nicht jede in teilweisem Interesse des Arbeitgebers verbrachte Zeit Arbeitszeit, vielmehr muss Zeit im hauptsächlichen Inte­resse des Arbeitgebers verbracht werden, damit sie zur Arbeitszeit wird. Die blosse Bereitschaft zum Abruf, bei der die Zeit in privatem Interesse genutzt werden kann, stellt dabei keine hauptsächlich im Interesse des Arbeitgebers verbrachte Zeit und damit mindestens im öffentlich-rechtlichen Sinn keine Arbeitszeit dar.5, 6

Die Qualifikation als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitsgesetzes hat vorerst nur öffentlich-rechtliche Bedeutung, also wenn es z.B. darum geht, die Einhaltung der Höchstarbeitszeitvorschriften zu kontrollieren. Ob dafür Lohn geschuldet ist, entscheiden in erster Linie die privatrechtlichen Verhältnisse, so insbesondere der Arbeitsvertrag, ein allfälliger Gesamtarbeitsvertrag und die Art. 319 ff. und 322 ff. OR.7 Dies ist zu betonen: Dass eine Tätigkeit arbeitsgesetzlich als Arbeitszeit gilt, heisst nicht, dass für diese Tätigkeit auch Lohn bezahlt werden muss. Diese finanzielle Frage richtet sich primär nach der arbeitsvertraglichen Regelung. Ein gutes Beispiel dafür ist der Pikettdienst: Das Arbeitsgesetz enthält dazu verschiedene Bestimmungen, welche unter anderem die Häufigkeit der Piketteinsätze und deren Anrechnung als Arbeitszeit regeln.8 Ob bzw. in welchem Umfang für den Pikettdienst aber Lohn geschuldet ist, überlässt das Arbeitsgesetz der Partei­vereinbarung im ­Arbeits- oder Gesamtarbeits­vertrag.9

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2. Arbeitsweg
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Nicht zur Arbeitszeit gehört der Arbeitsweg.10 Wird der Arbeitnehmer dagegen an einem anderen Arbeitsort als dem vertraglichen eingesetzt, so ist die dadurch entstehende Verlängerung des Arbeitsweges Arbeitszeit.11 Eine vertragliche Vereinbarung, wonach der Arbeitsort immer dort sein soll, wo der Einsatz beim Kunden zu leisten ist, wurde vom Arbeitsgericht Zürich als Umgehung von Art. 13 ArGV 1 taxiert, da sie dazu führe, dass sämtliche Reisezeiten immer als nicht zu entschädigender Arbeitsweg auf den Arbeitnehmer abgewälzt würden.12 Arbeitszeit verrichtete auch derjenige Arbeitnehmer, der seine Arbeitskollegen an einem Treffpunkt mit seinem Privatwagen auflud und zum Einsatzort brachte.13 Ebenso wurde eine Fahrzeit von 100 Minuten von der Sammelstelle in Schlieren bzw. Zürich-Altstetten zu einer Baustelle in Rheinfelden und zurück als Arbeitszeit taxiert, wobei ein gesamtarbeitsvertraglicher Sockelwert von 30 Minuten abzuziehen war.14 Zwei weitere gesetzliche Ausnahmen gelten für den Pikettdienst und für stillende Mütter: Wenn Pikett ausserhalb des Betriebs geleistet wird, gilt im Falle eines effektiven Einsatzes auch die Wegzeit als Arbeitszeit (Art. 15 Abs. 2 ArGV 1). Gemäss Art. 60 Abs. 2 lit. b ArGV 1 gilt beim Stillen im ersten Lebensjahr ausserhalb des Betriebs die Hälfte der Abwesenheitsdauer, in der Regel also auch ein Weganteil, als Arbeitszeit.

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3. Geschäftsreise / Weiterbildung
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Arbeitszeit ist auch die Geschäftsreise,15 wobei Zeiten, die der Arbeitnehmer zu seiner freien Verfügung hat, abzuziehen sind.16 Daher war die im Zug und Flugzeug verbrachte Reisezeit zu Kunden nach einem neueren Urteil des ­Arbeitsgerichts Zürich als Arbeitszeit zu entschädigen.17 Umgekehrt hat das gleiche Gericht entschieden, dass die üblichen ein- bis mehrstündigen Wartezeiten eines Carchauffeurs zwischen zwei Fahrten weder als Arbeits- noch als Präsenzzeit zu entschädigen seien.18 Wiederum Arbeitszeit stellte die Reisezeit eines Monteurs dar, der mit dem Geschäftsauto praktisch in der ganzen Schweiz unterwegs war, um Aufträge zu erfüllen.19 Zumindest privatrechtlich verbindlich und häufig auch sinnvoll sind vertragliche Absprachen im Arbeitsvertrag oder in einem Arbeitszeitreglement, in welchem Umfang Geschäftsreisen als Arbeitszeit angerechnet werden.20

Für das Arbeitsschutzrecht plädiert das SECO ­dafür, dass die Arbeitszeitregelung von Art. 13 Abs. 2 ArGV 1 auf Auslandsreisen keine Anwendung finde. Es empfiehlt aber im Grenzverkehr mit dem nahen Ausland eine sinngemässe Anwendung des Arbeitsgesetzes und eine vertragliche Regelung der Details.21

Weiterbildungen, die vom Arbeitgeber angeordnet werden oder gesetzlich für die auszufüllende Funktion vorgeschrieben sind, zählen ebenfalls als Arbeitszeit;22 privatrechtlich sind allerdings abweichende Vereinbarungen möglich, insbesondere in Bezug auf die Frage der Entlohnung.

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4. Pikettdienst
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Pikettdienst im gesetzlichen Sinn liegt vor, wenn sich der Arbeitnehmer neben der normalen Arbeitszeit für allfällige Arbeitseinsätze zur Behebung von Störungen, Hilfeleistung in Notfällen, Kontrollgänge oder ähnliche Sonderereignisse bereithält.23 Durch diese Anknüpfung an Sonderereignisse unterscheidet sich der Pikettdienst von der Rufbereitschaft bei echter Arbeit auf Abruf.24

Nur wenn der Pikettdienst im Betrieb zu leisten ist, stellt die gesamte Zeit Arbeitszeit dar (Art. 15 Abs. 1 ArGV 1). Wird der Pikettdienst dagegen aus­serhalb des Betriebs geleistet, so gelten nach Art. 15 Abs. 2 ArGV 1 nur tatsächlich stattfin­dende Einsätze (inkl. Wegzeiten) als Arbeitszeit. Diese strikte gesetzliche Unterscheidung von Art. 15 ArGV 1 zwischen Pikettdienst innerhalb und ausserhalb des Betriebs führte vor ­allem im Gesundheitswesen immer wieder zu Diskussionen. So z.B. wenn ein Arzt den Pikettdienst zwar ausserhalb des Spitals leisten konnte, er aber sehr kurzfristig, z.B. innert 15 Minuten nach Abruf, im Spital zur Verfügung stehen musste, sodass die Gestaltungsfreiheit über seine Freizeit in ähnlicher Weise eingeschränkt war, wie wenn er den Pikettdienst im Spital ­hätte leisten müssen.25

Vor diesem Hintergrund hat der Bundesrat mit einem neuen, am 1. Januar 2010 in Kraft ge­tretenen Art. 8a in Verbindung mit Art. 15 ArGV 2 für Krankenanstalten und Kliniken eine Sonderlösung getroffen: Danach muss die Interventionszeit zwischen Aufruf und Eintreffen am Arbeitsort grundsätzlich mindestens 30 Minuten betragen. In diesem Fall bleibt es bei der Regelung von Art. 15 Abs. 2 ArGV 1, wonach der Pikettdienst als solcher nicht als Arbeitszeit gilt und nur die effektiven Einsätze (einschliesslich Arbeitsweg) als ­Arbeitszeit angerechnet werden. Ist hingegen aus zwingenden Gründen eine kürzere Interventionszeit notwendig, hat der Pikett leistende Arbeitnehmer neu gestützt auf Art. 8a Abs. 2 ArGV 2 einen Anspruch auf eine pauschale Zeitgutschrift von 10 % der inaktiven Pikettdienstzeit. Soweit während eines solchen Dienstes effektive Einsätze stattfinden, wird die dafür aufgewendete Arbeitszeit (inklusive Wegzeit) voll angerechnet und zur Zeitgutschrift hinzugerechnet. Unverändert bleibt die Rechts­lage, wenn der Pikettdienst wegen ­einer kurzen Interventionszeit im Betrieb geleistet werden muss: In diesem Fall gilt nach wie vor die gesamte zur Verfügung gestellte Zeit als Arbeitszeit.26 Art. 8a Abs. 4 ArGV 2 beschränkt schliesslich Piketteinsätze mit verkürzter Interventionszeit oder mit Pflicht zur Anwesenheit im Betrieb auf höchstens sieben Tage pro Mitarbeiter innert einer Periode von vier Wochen.

Hervorzuheben ist nochmals, dass die Sonderregelung von Art. 8a ArGV 1 nur für die Arbeitnehmer von Krankenanstalten und Kliniken Anwendung findet27 und die arbeitsrechtliche Regelung des Pikettdienstes zunächst nur öffentlich-rechtliche Relevanz hat. Damit ist auch gesagt, dass von der Anrechnung als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitsgesetzes strikt die Frage der Entlohnung zu trennen ist. Diese untersteht in erster Linie der privatrechtlichen Disposition der Vertragspartner, soweit nicht gesamtarbeitsvertragliche Rege­lungen greifen. Pikettdienst, auch soweit er als ­Arbeitszeit gilt, kann also durch Gesamtarbeitsvertrag oder Parteivereinbarung zu einem reduzierten Ansatz entschädigt oder sogar ganz mit dem Monatslohn abgegolten werden.28 Fehlt es an einer einzel- oder gesamtarbeitsvertraglichen Regelung, so ist der Pikettdienst wie die Rufbereitschaft bei echter Arbeit auf Abruf zu entlohnen, wenn auch zu einem reduzierten Ansatz.29 Dies gilt unabhängig davon, ob der Pikettdienst im Sinne des ArG als Arbeitszeit angerechnet wird oder nicht. Massgebend ist zunächst die Üblichkeit (Art. 322 Abs. 1 OR) und in zweiter Linie, wenn sich keine Üblichkeit feststellen lässt, das billige Ermessen des Richters.30, 31

Speziell gelagert war ein vom Arbeitsgericht ­Zürich kürzlich zu entscheidender Fall, als eine Arbeitnehmerin die Betreuung einer pflegebedürftigen Person in deren Haus übernommen und da selbst auch ein Zimmer hatte. Die Pflegerin machte vor Arbeitsgericht eine exorbitante Arbeitszeit von wöchentlich rund 112 Stunden geltend, wobei aber lediglich 50 Stunden auf die eigentliche berufliche Tätigkeit entfielen, der Rest hingegen «Schlafpikett/Erholungszeit» darstellte. Das Arbeitsgericht befand, dass diese Pikett- bzw. Erholungszeit nicht zusätzlich zu entschädigen und dass der Vertrag angesichts eines ­Monatslohns von Fr. 6380.20 zuzüglich 13. Monatslohn auch nicht unsittlich sei.32

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5. Pausen
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Das Arbeitsgesetz schreibt in Art. 15 Abs. 1 ArG folgenden Pausenanspruch vor: eine Viertelstunde bei einer täglichen Arbeitszeit von mehr als fünfeinhalb Stunden, eine halbe Stunde bei einer täglichen Arbeitszeit von mehr als sieben Stunden und eine Stunde bei einer täglichen Arbeitszeit von mehr als neun Stunden. Art. 18 ArGV 1 präzisiert diese gesetzliche Mindestregelung wie folgt: Die Pausen können für einzelne Arbeitnehmer oder Gruppen von ­Arbeitnehmern gleich­mäs­sig oder zeitlich verschieden angesetzt werden. Die Pausen sind um die Mitte der Arbeitszeit anzusetzen. Entsteht vor oder nach einer Pause eine Teilarbeitszeit von mehr als 5½ Stunden, so ist für diese eine zusätzliche Pause gemäss Art. 15 ArG zu gewähren. Pausen von mehr als einer halben Stunde dürfen aufgeteilt werden. Bei flexiblen Arbeitszeiten, wie etwa bei der gleitenden Arbeitszeit, ist für die Bemessung der Pausen die durchschnittliche tägliche Arbeitszeit mass­gebend.

Pausen sind in der Regel keine Arbeitszeit. Anders ist es nur dann, wenn die Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz nicht verlassen dürfen (Art. 15 Abs. 2 ArG).33 Als Arbeitsplatz gilt dabei jeder Ort im Betrieb oder ausserhalb des Betriebs, an dem sich der Arbeitnehmer zur Ausführung der ihm zugewiesenen Arbeit aufzuhalten hat (Art. 18 Abs. 5 ArGV 1). Die Verpflichtung des Arbeit­nehmers, seine Pausen in einem speziell dafür vorgesehenen Pausenraum zu beziehen, steht dem gewöhnlichen, nicht als Arbeitszeit geltenden Pausenbezug nicht entgegen. Ebenso wenig muss der Arbeitnehmer das Gebäude verlassen können, denn die Pausenzeiten müssen nicht die gleiche Gestaltungs- und Bewegungsfreiheit gewähren wie die eigentliche Freizeit.34 Aus diesem Grund machte eine Kassiererin der Airport Casino Basel AG vergeblich Lohnansprüche mit der Begründung geltend, sie habe die Pausen in speziell dafür bestimmten Aufenthaltsräumen verbringen müssen, weshalb sie als am Arbeitsort verbracht und damit als Arbeitszeit zu entschädigen seien.35 Nicht besser erging es einem Nachtportier in einem Bündner Hotel, der seine Pausen im Hotel beziehen musste. Auch dass er mittels Piepser seine Erreichbarkeit für Notfälle sicherstellen musste, änderte für das Kantons­gericht Graubünden nichts daran, dass es von einem gewöhnlichen, nicht als Arbeitszeit gel­tenden und damit auch nicht bezahlten Pausenbezug ausging.36

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6. Tägliche Höchstarbeitszeit
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Das Arbeitsgesetz orientiert sich für die Fest­legung der Höchstarbeitszeiten an der Wochenoptik. So schreibt Art. 9 ArG vor, dass die wöchentliche Höchstarbeitszeit je nach Branche oder Funktion 45 bzw. 50 Stunden beträgt. Die Festlegung einer täglichen Höchstarbeitszeit findet sich weder im Arbeitsgesetz noch in seinen Verordnungen. Dies trifft so aber nur auf den ersten Blick zu. Geht man der Sache nämlich auf den Grund, stellt man fest, dass sich durch ein wenig Gesetzesakrobatik durchaus eine tägliche Höchstarbeitszeit aus dem Arbeitsgesetz ableiten lässt. Ausgangspunkt dafür ist Art. 10 Abs. 3 ArG, der bestimmt, dass die Tages- und Nachtarbeitszeit des einzelnen Arbeitnehmers inklusive Pausen und Überzeit innerhalb von 14 Stunden liegen muss. Diese 14 Stunden setzen also einen ersten gesetzlichen Rahmen. Von diesem sind nun noch die gesetzlich vorgeschriebenen Pausen abzu­ziehen, um so zur effektiven täglichen Höchstarbeitszeit vorzudringen. Bis hierhin kann von einer unbestrittenen Rechtsauffassung gesprochen werden.37

Heftig diskutiert wird nun aber, wie die von der Obergrenze von 14 Stunden gemäss Art. 10 Abs. 3 ArG abzuziehenden Pausen zu berechnen sind. Das SECO rechnet wie folgt: Bei mehr als 9 Stunden Arbeitszeit ist in einem ersten Schritt eine anrechenbare Pause von einer Stunde zu gewähren (Art. 15 ArG). Dies führt zu einem ­Zwischenresultat von 13 Stunden effektive Arbeitszeit (14 – 1). Für den zweiten Rechenschritt nimmt das SECO auf Art. 18 ArGV 1 Bezug. Nach dessen Absatz 2 sind Pausen um die Mitte der Arbeitszeit anzusetzen. Entsteht vor oder nach einer Pause eine Teilarbeitszeit von mehr als 5½ Stunden, so ist dafür nach Art. 18 Abs. 2 ArGV 1 in Verbindung mit Art. 15 ArG eine zusätzliche Pause von einer Viertelstunde zu gewähren. Bei 13 Stunden Arbeitszeit führt dies im Durchschnitt, bei Ansetzung der «grossen», einstündigen Pause in der Mitte der Arbeitszeit, zu zwei Teileinsätzen von 6,5 Stunden, einer vor und einer nach der «gros­sen» Pause von einer Stunde. Folglich ist für die beiden Teileinsätze zusätzlich zur «gros­sen» Pause von einer Stunde je eine zusätzliche Pause von einer Viertelstunde zu gewähren.38 Im Ergebnis führt dies zu einer Nettoarbeitszeit von 12½ Stunden (14 – 1 – ¼ – ¼), welche das Arbeitsgesetz nach Auffassung des SECO maximal pro Tag zulässt.39

Nun wird aber auch eine andere Berechnungsmethodik propagiert, die es durch gezielte Festlegung der Arbeitszeiten zulässt, dass sich die effektive Arbeitszeit pro Tag von 12½ auf 13 Stunden erhöht. Ausgangspunkt ist erneut Art. 10 Abs. 3 ArG, der die tägliche Tages- und Arbeitszeit auf 14 Stunden begrenzt. In Bezug auf die Pausen fokussiert sich diese Berechnungs­variante auf die Art. 15 Abs. 1 ArG und Art. 18 Abs. 3 ArGV 1. Letztere Bestimmung lässt es zu, dass Pausen von mehr als einer halben Stunde aufgeteilt werden dürfen. Daraus wird abgeleitet, dass z.B. die beiden nachfolgenden Arbeitszeitbeispiele zulässig sein müssten:

Variante 1

  • 3 Stunden Arbeit
  • ¼ Stunde Pause
  • 3½ Stunden Arbeit
  • ½ Stunde Pause
  • 3½ Stunden Arbeit
  • ¼ Stunde Pause
  • 3 Stunden Arbeit

Total: 13 Stunden Arbeit, 1 Stunde Pause

oder

Variante 2

  • 5 Stunden Arbeit
  • ½ Stunde Pause
  • 3 Stunden Arbeit
  • ½ Stunde Pause
  • 5 Stunden Arbeit

Total: 13 Stunden Arbeit, 1 Stunde Pause

Diese zweite Berechnungsvariante kann für sich in Anspruch nehmen, mit dem strikten Wortlaut von Gesetz und Verordnung im Einklang zu stehen.40 Dem hält allerdings das SECO entgegen, dass sich aus Art. 15 ArG ergebe, dass der Gesetzgeber ganz bewusst mit zunehmender täglicher Arbeitszeit längere Pausen einführen wollte. So verdoppelt sich die minimale Pause ab 9 Stunden Arbeitszeit (1 Stunde Pause) im Vergleich zu jener ab 7 Stunden (½ Stunde).41 Dass dieser in Art. 15 ArG erkennbare Wille des Gesetzgebers bei Arbeitszeiten von 11, 12 oder gar 13 Stunden keine Rolle mehr spielen soll, dass also derjenige Arbeitnehmer, der 13 Stunden arbeitet, nicht mehr Pause zugute haben soll als jener, der nur 9 Stunden arbeitet,42 ist tatsächlich nur schwer zu verdauen. Sollte einem Arbeitgeber nachgewiesen werden können, dass er die Arbeitszeit ohne nachvollziehbare betriebliche Rechtfertigung derart atypisch festlegt, wie in den obigen Beispielen beschrieben, so scheint jedenfalls der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs nicht mehr allzu fern. Dabei gilt es auch zu beachten, dass die so abgezwackte Pause dem Arbeitgeber gar keine Lohnersparnis bringt, denn die Pause stellt ja im Regelfall gar keine entschädigungspflichtige Arbeitszeit dar. Man muss aber gar nicht unbedingt zur Rechtsmissbrauchskeule greifen: Bereits Art. 6 Abs. 2 ArG verpflichtet den Arbeitgeber zur möglichst schonenden Gestaltung der Arbeits­abläufe. Schliesslich würde Variante 2 wohl auch mit dem Gebot von Art. 18 Abs. 2 ArGV 1 kollidieren, wonach die Pausen um die Mitte der Arbeitszeit anzusetzen sind. Dennoch: Die zentrale ­Frage ist und bleibt, ob die Ratio, die der Gesetzgeber vor Augen hatte, genügt, um die zweite Berechnungsvariante, welche den Buchstaben von Gesetz und Verordnung, jedenfalls soweit er in Zahlen fassbar ist, auf ihrer Seite hat, als rechtswidrig zu taxieren. Entscheide dazu sind bis dato keine bekannt, womit heute noch immer von einer ungeklärten Rechtslage gesprochen werden muss, ob die maximal zulässige (Netto-)Arbeitszeit nun 12½ oder 13 Stunden pro Tag beträgt.

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7. Pflicht des Arbeitgebers zur Arbeitszeiterfassung und -dokumentation
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7.1 Gesetzliche Grundlagen
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Art. 46 ArG und Art. 73 ArGV 1 verpflichten den Arbeitgeber, zum Zwecke des Gesetzes- bzw. Verordnungsvollzugs massgebliche Verzeichnisse und Unterlagen und die darin ­enthaltenen Angaben den Vollzugs- und Aufsichtsbehörden zur Verfügung zu halten. Darin mitenthalten ist konsequenterweise die Pflicht des Arbeitgebers, solche Daten zu erheben und zu dokumentieren. Er muss dies nicht persönlich tun. Der Arbeitgeber kann die Dokumentation also auch Dritten übertragen, z.B. einer internen oder – unter Wahrung des Datenschutzes – einer ausgelagerten Personaladministration.43

Auch der Arbeitnehmer kann bei der Da­tenerhebung mitwirken. Dies ist vor allem bei ­flexiblen Arbeitszeitsystemen der Fall, bei denen der Arbeitnehmer die Arbeitszeit selbst ­deklariert (z.B. durch Arbeitsrapporte oder Anmelden in einem EDV-System).44 Solche Formen der Arbeitszeitgestaltung, welche die Deklaration der Arbeitszeiten ganz oder teilweise den Arbeitnehmern überlassen und sich an vom Arbeitsgesetz abweichenden Zeitintervallen orientieren (z.B. Gleitzeit, monatliche Sollarbeitszeit, Jahresarbeitszeit), entbinden den Arbeitgeber allerdings nicht von der Pflicht, die Einhaltung der Vorschriften des Arbeitsgesetzes über die täglichen und wöchentlichen Höchstarbeitszeiten zumindest stichprobeweise zu kontrollieren.45 Dabei hat der Arbeitgeber sporadisch auch die Plausibilität der vorliegenden Zeit­erfassungsdokumente (z.B. von Arbeitsrap­porten der Arbeitnehmer) im Hinblick auf die Einhaltung der gesetzlichen Arbeits- und Ruhezeitvorschriften zu prüfen.

Von dieser Kontrollpflicht ist die Dokumenta­tionspflicht im Sinne von Art. 46 ArG und Art. 73 Abs. 1 ArGV 1 zu unterscheiden. Diese hat nach dem an sich klaren Wortlaut von Art. 73 Abs. 1 ArGV 1 vollständig und damit lückenlos zu sein. Bei der Einführung neuer Arbeitszeitsysteme, was meist unter Beizug der elektronischen Datenverarbeitung geschieht, ist deshalb darauf zu achten, dass technische Vorkehrungen getroffen werden, damit die erforderlichen Angaben entsprechend den nach dem Arbeitsgesetz massgeblichen Zeitintervallen der Tages- und Wochenarbeitszeit zur Verfügung gestellt werden können.

Nach Art. 73 Abs. 1 ArGV 1 müssen die zu führenden Verzeichnisse und Unterlagen alle Angaben enthalten, die für den Vollzug des Gesetzes notwendig sind. Im Vordergrund stehen Informationen über die Arbeits- und Ruhezeitgestaltung. Im Einzelnen sind dies Angaben über: die Personalien der Arbeitnehmer, die Art der Beschäftigung sowie Ein- und Austritt der Arbeitnehmer, die geleistete (tägliche und wöchentliche) Arbeitszeit inkl. Ausgleichs- und Überzeitarbeit sowie ihre Lage, die gewährten wöchentlichen Ruhe- oder Ersatzruhetage, soweit diese nicht regel­mässig auf einen Sonntag fallen, die Lage und Dauer der Pausen von einer halben Stunde und mehr, die betrieblichen Abweichungen von der Tag-, Nacht- und Sonntagsdefinition nach den Art. 10, 16 und 18 ArG, Regelungen über den Zeitzuschlag nach Art. 17b Abs. 2 und 3 ArG, die nach dem ArG geschuldeten Lohn- und / oder Zeitzuschläge, die Ergebnisse der medizinischen Abklärungen hinsichtlich der Eignung oder Nichteignung bei Nachtarbeit oder Mutterschaft und das Vorliegen von Ausschlussgründen oder die Ergebnisse der Risikobeurteilung bei Mutterschaft und gestützt darauf getroffene betriebliche Massnahmen.

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7.2 Revisionsbemühungen
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Die eben dargestellte Aufzählung in Art. 73 Abs. 1 ArGV 1 legt einen Minimalstandard der zu dokumentierenden Angaben fest. Sie ist nicht abschliessend, was sich bereits aus dem Terminus «namentlich» in Art. 73 Abs. 1 ArGV 1 ergibt. Mit dieser ausgesprochen rigiden Regelung entfernte sich der Verordnungsgeber allerdings von der Rechtswirklichkeit in den Unternehmen. So etwa in der Banken- oder Versicherungsbranche, wo «Vertrauensarbeitszeit» sehr verbreitet ist und nicht selten ganz oder teilweise auf Zeiterfassung bzw. -dokumentation verzichtet wird. Auf der ­anderen Seite ist aber ebenso klar, dass ein Mindestmass an Kontrolle unverzichtbar ist, meint man es mit dem öffentlich-rechtlichen Arbeit­nehmerschutz ernst.

Vor dem Hintergrund dieses Dilemmas war es sehr zu begrüssen, dass unter der Federführung des SECO vor einigen Jahren ein Pilotprojekt im Bankensektor lanciert wurde, um hier neue Wege zu finden, welche beiden Interessen – Praxisnähe und administrative Vereinfachung einerseits, ausreichende Kontrolle andererseits – gerecht werden. Als Ergebnis des Schlussberichts über das erwähnte «Pilotprojekt Vertrauensarbeitszeit bei Banken» vom 21. Dezember 201146 schlug das SECO die Ergänzung der Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz (ArGV 1) mit einem neuen Art. 73a vor. Der Vorschlag sah vor, dass Arbeitnehmer, die einen grossen Gestaltungsfreiraum beim Inhalt und bei der Organisation ihrer Arbeit genies­sen und über Verhandlungsmacht gegenüber ­ihrem Arbeitgeber verfügen, auf die gesetzliche Arbeitszeitaufzeichnung verzichten können sollten. Als objektive Kriterien wurden die Lohnhöhe (ab Fr. 175'000.– Jahreseinkommen) und der Handelsregistereintrag vorgesehen. Der Verzicht auf die Arbeitszeiterfassung hätte mit den Arbeitnehmern, die in diese Kategorie fallen, individuell und schriftlich vereinbart werden müssen. Er wäre jeweils per Ende Jahr widerrufbar gewesen.47

Nachdem die Meinungen der Sozialpartner zu dieser Vorlage kontrovers blieben, wurde das Modell im Juli 2013 verworfen, und es werden nun neue Möglichkeiten geprüft. Mit dem Abschluss dieser Arbeiten ist nicht vor 2015 zu rechnen. Bis dahin bleibt die Rechtslage mit ihrem strengen Zeiterfassungs- und Dokumentationsregime grundsätzlich unverändert. Immerhin hat das SECO die kantonalen Arbeitsinspektorate aufgefordert, ab dem 1. Januar 2014 ihre Praxis bei Arbeitszeitkontrollen anzupassen. Die neue Weisung sieht für Mitarbeiter mit sehr autonomer Aufgabenerfüllung und Arbeitszeitverwaltung vor, dass sie nur noch ihre tägliche und wöchentliche Arbeitszeit erfassen müssen. Voraussetzung dafür ist eine schriftliche Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.48 Mit der SECO-Weisung wurde gewissermassen zwischen den beiden Polen «volle Zeiterfassung» (Gros der Angestellten) und «gar keine Zeiterfassung» (z.B. für höhere leitende Angestellte gemäss Art. 3 lit. d ArG) eine dritte Kategorie «erleichterte Zeiterfassung» geschaffen.

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7.3 Sanktionen bei Verletzung der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung
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In den letzten Monaten wurden gleich mehrere Fälle bekannt, bei denen Arbeitsinspektoren auf Anzeige von Gewerkschaften bei prominenten Arbeitgebern Kontrollen durchführten, so bei den Medienunternehmen Ringier und Tamedia sowie der Zürcher Filiale der Investmentbank Goldman Sachs. Der Vorwurf lautete in allen Fällen auf systematische Verletzung der Arbeitszeiterfassungs- und -dokumentationspflicht von Art. 46 ArG bzw. Art. 73 ArGV 1.

Widerhandlungen gegen Art. 46 ArG, insbesondere die unterlassene Datendokumentierung oder die Herausgabeweigerung gegenüber den zuständigen Behörden, sind als solche nicht strafbar. Sie unterliegen aber dem Verwaltungszwang nach Art. 51 und 52 ArG.49 Dieser kann mit Androhung von Ungehorsamsstrafe nach Art. 292 StGB verbunden werden,50 sodass indirekt doch eine strafrechtliche Sanktionierung möglich ist.51 «Ersttäter», welche den Arbeitszeit­erfassungs- bzw. Dokumentationsvorschriften nicht genügen, dürfen aber darauf hoffen, zuerst eine Verwarnung im Sinne von Art. 51 Abs. 1 ArG zu erhalten, bevor der Arbeitsinspektor zu formellen Verwaltungsmassnahmen oder gar zu einer strafrechtlichen Verzeigung schreitet. Einen eigentlichen Rechtsanspruch auf die Gnade einer solchen «gelben Karte» gibt es allerdings nicht.

Bis vor Kurzem umstritten war, welche Rechts­folge die vom Arbeitgeber unterlassene Arbeitszeiterfassung bzw. -dokumentation im Überstunden- oder Überzeitprozess hat. Nach einzelnen Gerichtsurteilen mussten Arbeitgeber damit rechnen, dass die Gerichte in solchen Fällen eine ­Beweislastumkehr annehmen könnten. Dies mit dem Ergebnis, dass im Prozess von den vom Arbeitnehmer behaupteten Mehrstunden ausgegangen würde, sofern dem Arbeitgeber nicht der Gegenbeweis gelingt. Eine solche Beweislastumkehr wäre von erheblicher praktischer Bedeutung gewesen, da sich sehr viele Überstunden- und Überzeitprozesse an der Beweislage entscheiden. Das Bundesgericht hat nun aber in BGE 4C.307/2006 vom 26.3.2007 E. 3.152 die Annahme einer ­solchen Beweislastumkehr für den Regelfall ­abgelehnt, womit es grundsätzlich dabei bleibt, dass der klagende Arbeitnehmer die von ihm behaupteten Arbeitsstunden beweisen muss.53 Eine ­Beweislastumkehr sei nur ausnahmsweise im ­Falle einer eigentlichen Beweisvereitelung anzunehmen, wenn z.B. ein Arbeitgeber die an sich vorhandenen Arbeitszeitunterlagen absichtlich im Hinblick auf einen anstehenden Zivilprozess vernichtet, um so dem Arbeitnehmer den Nachweis der Überstunden- oder Überzeitarbeit zu verunmöglichen.54 So hatte das Arbeitsgericht Zürich den Fall eines Servicemit­arbeiters zu beurteilen, dessen Arbeitgeber im Prozess zuerst bestritt, eine Arbeitszeitkontrolle geführt zu haben, später aber einräumen musste, dass er die Aufzeichnungen weggeworfen hatte, weshalb das Gericht auf die Angaben des Arbeitnehmers abstellte.55

Die Frage, ob der Arbeitnehmer vom Arbeit­geber, gestützt auf das Auskunftsrecht von Art. 8 Datenschutzgesetz (DSG), Einblick in die Arbeitszeitunterlagen gemäss Art. 73 ArGV 1 fordern kann, hat das Obergericht des Kantons Luzern vor Kurzem verneint.56

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8. Die ständige Erreichbarkeit des Arbeitnehmers
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Immer mehr Arbeitgeber statten ihre Angestellten mit elektronischen Geräten wie Blackberry oder iPhone aus, um so die ständige Erreichbarkeit des Arbeitnehmers und teilweise auch die Verfügbarkeit zur Arbeitsleistung sicherzustellen. Arbeitsmedizin und Arbeitsrecht haben sich dieses Phänomens noch kaum angenommen. Im Arbeitsrecht ergeben sich Konfliktpunkte vor allem zum Arbeitsgesetz, insbesondere zur zulässigen Höchstarbeitszeit und zur Nacht- und Sonntagsarbeit, sowie zum Ferienbezug und zur Entlohnung.

Zwar sind noch viele Fragen ungeklärt. Dennoch sind in zweierlei Hinsicht Grundaussagen möglich: Erstens ist die tatsächliche Einsatzzeit, die Zeit also, während der ein Arbeitnehmer z.B. einen Anruf entgegennimmt und ein Gespräch führt, ein E-Mail liest und beantwortet oder an einer Videokonferenz teilnimmt, sowohl öffentlich- wie privatrechtlich als Arbeitszeit einzustufen. Und zweitens: Wenn der Arbeitnehmer sehr häufig aufgrund seiner ständigen Erreichbarkeit durch Anrufe, E-Mails usw. gestört wird, sodass die störungsfreien Zwischenräume derart kurz werden, dass sie nicht mehr sinnvoll als Freizeit verwendet werden können, wird die ganze ­Bereitschaftszeit hauptsächlich im Interesse des Arbeitgebers verbracht und ist damit in vollem Umfang als Arbeitszeit einzustufen. Solche Ausnahmekonstellationen vorbehalten, stellt die ­blosse Bereitschaft zum Abruf, bei der die Zeit in privatem Interesse genutzt werden kann, keine hauptsächlich im Interesse des Arbeitgebers verbrachte Zeit und damit mindestens im öffentlich-rechtlichen Sinn keine Arbeitszeit dar.57 In Analogie dazu kann demnach auch die Zeit, in der ein Arbeitnehmer in Bereitschaft auf einen Anruf sein Handy mit sich trägt oder seinen Laptop zur Beantwortung allfälliger E-Mails einschaltet, nicht als Arbeitszeit gelten.

Von der Qualifikation als Arbeitszeit strikt zu unterscheiden ist auch hier die Frage nach der Entlohnung. Diese ist mit wenigen Ausnahmen (zu denken ist z.B. an GAV-Mindestlöhne oder zwingende arbeitsgesetzliche Zuschläge) Sache der Parteivereinbarung. Die Vertragspartner können also etwa vereinbaren, dass die blosse Erreichbarkeit gar nicht oder nur zu einem ­reduzierten Ansatz entlohnt wird oder dass ­Arbeitseinsätze ausserhalb der betrieblichen ­Arbeitszeit durch den Lohn abgegolten sind. Fehlt es an einer solchen Vereinbarung, kann an die Praxis des Bundesgerichts zur Arbeit auf Abruf angeknüpft werden: Danach ist auch die blosse Rufbereitschaft zu entschädigen, wenn auch nicht gleich wie die Haupttätigkeit.58, 59 Arbeitgeber, welche eine ständige Erreichbarkeit von ihren Angestellten erwarten, sind daher gut beraten, wenn sie die Frage in ihren Ver­trägen und Regelwerken regeln.

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Überarbeitete und aktualisierte Fassung eines Beitrags in der Aktuellen Juristischen Praxis, AJP, 2012, S. 197 ff.

  1. Adrian von Kaenel, in: Stämpflis Handkommentar zum Arbeitsgesetz, hrsg. von Thomas Geiser / Adrian von Kaenel / Rémy Wyler, Bern 2005, N 5 zu Art. 9 ArG.
  2. Dem manifestierten Willen des Arbeitgebers wäre dabei gleichzustellen, wenn der Arbeitgeber Kenntnis von der Tätigkeit in seinem Interesse und deren Bestimmung zur Arbeitszeit hat und nicht dagegen einschreitet (Duldung) oder wenn der Einsatz des Arbeit­nehmers betriebsnotwendig ist.
  3. Adrian von Kaenel, Die ständige Errreichbarkeit des Arbeitnehmers, in: ARV 2009 S. 1 – 9, S. 4.
  4. So von Kaenel, a.a.O., N 5 zu Art. 9 ArG; in Bezug auf den Arbeitsbegriff BGE 124 III 249 E. 3b.
  5. Von Kaenel, a.a.O., N 12 zu Art. 9 ArG; vgl. auch ­Roland A. Müller, Arbeitsgesetz, 6. Aufl. Zürich 2001, N 1 zu Abs. 1 von Art. 9 ArG.
  6. Zur bis heute kaum diskutierten Frage, ob der privatrechtliche Arbeitszeitbegriff ein anderer ist, vgl. ausführlich und tendenziell bejahend Rudolph / von Kaenel, a.a.O., S. 198. Eine auf das Privatrecht bezogene Begriffsumschreibung definiert die Arbeitszeit als diejenige Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer inner- oder ausserhalb des Betriebs für die Bedürfnisse des Arbeitgebers zur Verfügung zu stehen hat und auch tatsächlich steht und damit über seine Zeit nicht frei verfügen kann (vgl. Streiff / von Kaenel / Rudolph, Praxiskommentar,7. Aufl. 2012, N 9 zu Art. 321 OR).
  7. Von Kaenel, a.a.O., N 7 zu Art. 9 ArG.
  8. Art. 14 f. ArGV 1.
  9. Weiterführend zum Pikettdienst vgl. Punkt 4.
  10. Vgl. für das öffentliche Recht Art. 13 Abs. 1 ArGV 1, ferner Geiser / Müller, Arbeitsrecht in der Schweiz, Rz 312; Streiff / von Kaenel / Rudolph, a.a.O., N 9 zu Art. 321 OR; zum Begriff BGer, in: JAR 2001, S. 154.
  11. Für das öffentliche Recht Art. 13 Abs. 2 ArGV 1.
  12. Entscheide 2007 Nr. 25 = JAR 2008, S. 535.
  13. Arbeitsgericht Zürich, in: ZR 1981, Nr. 72.
  14. Arbeitsgericht Zürich, in: Entscheide 2010, Nr. 9; Grenzfall, ob nicht auch ein vertraglicher Arbeitsort in Rheinfelden hätte vorliegen können.
  15. BSK-Wolfgang Portmann, 6. Aufl. 2011, N 7 zu Art. 319 OR.
  16. Streiff / von Kaenel / Rudolph, a.a.O., N 9 zu Art. 321 OR; zustimmend Arbeitsgericht Zürich, in: Entscheide 2007, Nr. 25 = JAR 2008, S. 535.
  17. Arbeitsgericht Zürich, a.a.O.
  18. ZR 2000, Nr. 69.
  19. Arbeitsgericht Olten-Gösgen, in: SAE 1987, S. 9.
  20. Z.B. pauschal 8 Stunden pro Reise- bzw. Aufenthaltstag, Fallbeispiel für eine strittige Auslegung einer solchen Vereinbarung in BGE 4A_308/2008 vom 25.9.2008, E. 4 = JAR 2009, S. 321 = SAE 2009, S. 80.
  21. SECO-Wegleitung zum Arbeitsgesetz und den Verordnungen 1 und 2, S. 113-2.
  22. Vgl. auch Art. 13 Abs 4 ArGV 1.
  23. Art. 14 Abs. 1 ArGV 1, zu den gesetzlichen Schranken Abs. 2 – 4.
  24. Von Kaenel, a.a.O., N 12 zu Art. 9 ArG.
  25. Fallbeispiel: BGE 4A_94/2010 vom 4.5.2010 = ARV 2010, S. 189, Vorinstanz OGer BE, in: JAR 2010, S. 445, vgl. zum Ganzen von Kaenel, a.a.O., N 11 zu Art. 9 ArG.
  26. Art. 8a Abs. 3 ArGV 2, Art. 15 Abs. 1 ArGV 1.
  27. Art. 15 Abs. 1 ArGV 2, vgl. nun aber BGE 4A_523/2010 vom 22.11.2010, E. 5.1 = ARV 2011, S. 140, wonach die Rufbereitschaft generell vergütungspflichtig sein soll, wenn der Pikettdienst zur Folge habe, dass der Arbeitnehmer im Genuss seiner Freizeit beeinträchtigt sei, insbesondere wenn er kurzfristig für einen Einsatz zur Verfügung stehen müsse, was in casu aber wegen der geringen Belastung des Arbeitnehmers verneint wurde.
  28. Von Kaenel, a.a.O., N 13 zu Art. 9 ArG; BGE 4A_528/2008 vom 27.2.2009, E. 2.1 = JAR 2010, S. 209 = SAE 2009, S. 58; BGE 4A_523/2010 vom 22.11.2010, E. 5; BGE 4A_94/2010 vom 4.5.2010, E. 5.2; Müller, a.a.O., N 1 zu Art. 9 Abs. 1 ArG, spricht sich dafür aus, dass bei ­Anstellung im Wochen- oder Monatslohn dieser im Zweifel auch den ausserdienstlichen Pikettdienst abgelten soll.
  29. Vgl. BGE 124 III 249, E. 3.
  30. Vgl. Streiff / von Kaenel / Rudolph, a.a.O., N 3 zu Art. 322 OR.
  31. Weiterführend zum Pikettdienst Christoph Senti, Arbeitsrechtliche Fragen zum Pikettdienst, in: ZBJV 2006, S. 645 ff.
  32. Entscheide 2010, Nr. 22.
  33. Wobei die Lohnfrage wiederum nicht vom Arbeits­gesetz, sondern durch Parteivereinbarung im Arbeitsvertrag bzw. in einem Gesamtarbeitsvertrag zu beantworten wäre.
  34. BGE 4A_528/2008 vom 27.2.2009, E. 4 = JAR 2010, S. 209; dieser Entscheid äussert sich in E. 4 auch zur Möglichkeit, Pausen nachzuholen; AppG BS Urteil BE.2009.959, E. 3.4 vom 8.2.2010; Müller, a.a.O., Art. 15 Abs. 2 ArG, vgl. auch CA GE, in: JAR 2003, S. 380; a.M. OGer LU, Urteil 11 09 149 vom 28.4.2010.
  35. BGE 4A_343/2010 vom 6.10.2010 = ARV 2011, S. 37, besprochen von Rudolph, in: arv-online Nr. 666.
  36. Urteil ZK2 11 30 vom 18.9.2012; weiterführend zu diesem Urteil von Kaenel / Rudolph, elektronischer Updateservice zum Praxiskommentar, N 9 zu Art. 321 OR (www.schulthess.com/arbeitsvertrag).
  37. Vgl. etwa von Kaenel, a.a.O., N 23 zu Art. 9 ArG.
  38. Zum gleichen Ergebnis gelangt man, wenn die beiden Teileinsätze z.B. 5 und 8 Stunden betragen. In diesem Fall ist zwar für den Einsatz von 5 Stunden keine zusätzliche Pause nötig, hingegen ist bei jenem von 8 Stunden nach Art. 15 Abs. 1 lit. b ArG eine Pause von einer halben Stunde zu gewähren, sodass sich zusammen mit der «grossen» Pause wiederum eine gesamte Pausenzeit von 1½ Stunden ergibt.
  39. Vgl. dazu SECO-Merkblatt «Arbeit und Gesundheit – ­Arbeits- und Ruhezeiten (das Wichtigste in Kürze)», 710.224.d.
  40. Insbesondere mit Art. 15 Abs. 1 lit. c ArG: «eine Stunde bei einer täglichen Arbeitszeit von mehr als neun Stunden».
  41. Vgl. Art 15 Abs. 1 lit. b und c ArG.
  42. Genau genommen «mehr als neun Stunden», vgl. Art. 15 Abs. 1 lit. c ArG.
  43. BGE 101 II 283 ff., 288 f., zum Ganzen auch Roger Rudolph, in: Stämpflis Handkommentar zum Arbeitsgesetz, hrsg. von Thomas Geiser / Adrian von Kaenel / Rémy Wyler, Bern 2005, N 4 ff. zu Art. 46 ArG.
  44. Müller, a.a.O., Art. 46 ArG N 2.
  45. Wegleitung, 173-2; Müller, a.a.O., Art. 46 ArG 2; ­Rudolph, a.a.O., N 9 zu Art. 46 ArG.
  46. Abrufbar auf der Website des SECO: www.seco.admin.ch/dokumentation/publikation.
  47. Quelle: Medienmitteilung des SECO vom 11. September 2012.
  48. Vgl. Medienmitteilung des SECO vom 19. Dezember 2013, abrufbar unter www.seco.admin.ch/aktuell/00277/01164/01980/index.html?lang=de&msg-id=51509.
  49. Art. 59 und Art. 60 ArG e contrario. Vgl. auch Müller, a.a.O., Art. 46 ArG N 1, Rudolph, a.a.O., N 14 zu Art. 46 ArG.
  50. Art. 51 Abs. 2 ArG.
  51. Vgl. auch BIGA, ARV 1970, S. 40.
  52. Kommentiert durch Rudolph, in: ARV 2007, S. 238.
  53. In diesem Sinne auch Obergericht TG, in: RB OGer 2006 Nr. 7, E. 2; Obergericht LU, unveröffentlichter Entscheid 11 09 149 vom 28.4.2010 E. 7.
  54. Zur Rechtslage, wenn ein Gesamtarbeitsvertrag Vorschriften zur Arbeitszeitdokumentation enthält oder gar selbst Beweisregeln aufstellt, vgl. Streiff / von Kaenel / Rudolph, a.a.O., N 10 zu Art. 321 OR, und Rudolph / von Kaenel, a.a.O., S. 206 f.
  55. Entscheide 2009, Nr. 9; Frage offengelassen, ob Beweislastumkehr im eigentlichen Sinn oder nur Beweismassreduktion Platz greifen sollte.
  56. Urteil 11 09 169 vom 12.1.2010, besprochen von Roger Rudolph, in: ARV online 2011, Nr. 162 (Anspruch mangels rechtsgenügendem Auskunftsinteresse verneint, diskutabel).
  57. Von Kaenel, a.a.O., N 12 zu Art. 9 ArG.
  58. BGE 124 III 249.
  59. Weiterführend zum Ganzen von Kaenel, in: ARV 2009, S. 1 ff.
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