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Willensvollstrecker werden immer wichtiger: In der Schweiz dauert es in der Regel recht lange, bis Erbengemeinschaften aufgelöst und Nachlässe vollständig aufgeteilt sind. ­Besonders die demografische Entwicklung trägt dazu bei, dass die Zahl ungeteilter Nachlässe in den kommenden Jahren weiter steigen wird.1 Gleichzeitig werden die Aufgaben von Willensvollstreckern immer anspruchsvoller. Das macht es sinnvoll und zum Teil notwendig, Dritte beizuziehen. Dieser Beitrag untersucht die haftungsrechtlichen Konsequenzen für Willensvollstrecker, die einen Teil ihrer Aufgaben und ihrer Verantwortung delegieren.

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1. Was leistet ein Willensvollstrecker?
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Der Geschäfts- und Rechtsverkehr wird immer komplexer. Darum ist es vor allem bei anspruchsvollen Nachlasssituationen sinnvoll, dass Erblasser in einer letztwilligen Verfügung einen Willensvollstrecker ernennen. Ein fachkundiger Willensvollstrecker ist selbst dann wertvoll, wenn die Verhältnisse vergleichsweise einfach sind, also wenn ein Erblasser zum Beispiel einen Ehegatten und gemeinsame Nachkommen hinterlässt und zum Nachlass ein Eigenheim gehört, das mit einer Hypothek belastet ist. Viele Erben sind froh, wenn ihnen ein Willensvollstrecker die steuerlichen und rechtlichen Aufgaben abnimmt, die mit dem Erbgang verbunden sind, und sie mehr oder weniger umfassend unterstützt und berät. Das gilt erst recht für Kantone ohne Teilungsämter wie Zürich. Hier sind die Dienste eines Willensvollstreckers besonders wertvoll, angefangen beim Willensvollstreckerzeugnis: Es stellt sicher, dass die Erbengemeinschaft bzw. der Willensvollstrecker jederzeit handlungsfähig ist.

Denn Erbengemeinschaften sind Zwangsgemeinschaften: Bis zum Vollzug der Erbteilung müssen sie jeden Beschluss einstimmig fassen (Art. 602 Abs. 2 ZGB). Das kann zu Komplikationen führen, vor allem wenn die Erben weit entfernt voneinander leben, gesundheitlich beeinträchtigt oder zerstritten sind. Auch dann gilt es, das Vermögen zu verwalten, Mobiliar oder den ganzen Haushalt zu liquidieren, Verträge anzupassen, abzuschliessen oder zu kündigen. Für Transaktionen, die über das Bezahlen der üblichen Kosten bei einem Todesfall hinausgehen, müssen sich die Erben gegenüber der Bank legitimieren. Dazu benötigen sie einen Erbschein, den sie erst beschaffen müssen.

Wer ein Testament findet, muss es sofort der zuständigen Behörde einreichen, die es innert Monatsfrist eröffnet. 30 Tage nach der Zustellung an alle Beteiligten stellt die Behörde auf Verlangen der Erben einen Erbschein aus (Art. 556, 557 und 559 Abs. 1 ZGB). Im Idealfall dauert es also maximal 60 Tage, bis die Erben gemeinsam über die Erbschaft verfügen können. In der Praxis zieht sich die Testaments­eröffnung allerdings häufig über mehrere Wochen oder gar Monate hin, vor allem wenn einzelne Erben nicht auffindbar sind. Ein Willensvollstrecker kann hingegen spätestens 14 Tage nach der Einlieferung des Testaments über die Erbschaft verfügen.

Als Willensvollstrecker kommen juristische oder natürliche Personen wie Familienangehörige, Anwälte oder Steuerberater in Frage. Die Wahl einer natürlichen Person ist mit gewichtigen ­Risiken verbunden: Der Willensvollstrecker kann arbeits- und / oder handlungsunfähig werden, er kann vor dem Erblasser sterben oder er will das Amt gar nicht übernehmen. Das Amt des Willensvollstreckers ist höchst persönlich und damit weder übertragbar noch vererblich.2 Wenn ­geeignete Ersatzverfügungen im Testament fehlen, kann die Ernennung des Willensvollstreckers bedeutungslos werden. Nicht zuletzt deswegen fällt die Wahl immer häufiger auf juristische Personen wie Banken, Treuhandgesellschaften oder Anwaltskanzleien. Verhinderungsgründe sind damit praktisch ausgeschlossen, die juristische Person ist stets präsent und permanent handlungsfähig; meistens über mehrere Generationen hinweg. Die Hausbank oder der Treuhänder sind mit den vermögensrechtlichen Verhältnissen des Erblassers vertraut und kennen oft auch seine familiäre Situa­tion.3

Eine Willensvollstreckung ist mit zahlreichen Haf­tungsrisiken verbunden, und es stellen sich mehre­re Fragen zur Verantwortlichkeit des Willens­voll­stre­ckers. Die primäre Haftung des Willensvoll­streckers gegenüber Erben, Ver­mächt­­nisnehmern und Nachlassgläubigern ist keine vertragliche, sondern eine vertragsähnliche.4 Die Rechtsgrundlage bilden Art. 518 Abs. 2 ZGB i.V.m. Art. 398 Abs. 2 OR analog i.V.m. Art. 97 ff. OR.5 Es ist längst gängige Praxis, dass insbesondere professionelle Willensvollstrecker gewisse Teilbereiche ihrer Mandatsführung durch Hilfspersonen und teilweise auch Unterbeauftragte (Substitute) ausführen lassen. Von den haftungsrechtlichen Konsequenzen, die sich für den Willensvollstrecker daraus ergeben, handelt dieser Beitrag.

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2. Wann sind Ausnahmen von der persönlichen Amtsführung zulässig oder notwendig?
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Der Willensvollstrecker muss sein Amt grundsätzlich persönlich ausführen.6 Er darf Dritte zur Amtsführung beiziehen, wenn ihn der Erblasser oder die Erben dazu ermächtigt haben, wenn ihn die Umstände dazu zwingen oder wenn eine Vertretung üblicherweise als zulässig betrachtet wird (Art. 398 Abs. 3 OR analog). Die auf­tragsrechtliche Regelung gilt – dem Erbrecht ­entsprechend angepasst – analog für die ­Willensvollstreckung.7 Bei der persönlichen ­Er­füllungspflicht gelten für den Willensvollstrecker jedoch strengere Anforderungen als für den Beauftragten.8

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2.1 Übertragung von Teilbereichen der Willensvollstreckung auf Dritte
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Willensvollstrecker dürfen auf jeden Fall punktuell Hilfskräfte und Spezialisten beiziehen9 – unter Umständen sind sie sogar dazu verpflichtet. Ausgenommen von diesem Recht und dieser Pflicht ist der Fall, dass Erblasser ausdrücklich das Gegenteil verfügen.10

Ein Willensvollstrecker, der einen Teil seiner Tätigkeiten unbefugt an Dritte überträgt, verletzt eine Sorgfaltspflicht, nämlich die Pflicht zur persönlichen Amtsführung.11 Für Schäden, die daraus entstehen, ist er gegenüber den Erben und Vermächtnisnehmern unmittelbar ersatzpflichtig. Dabei ist irrelevant, ob die Hilfspersonenhaftung oder die privilegierte Haftung des Auftragsrechts zur Anwendung kommt (Art. 101 OR oder Art. 398 Abs. 2 OR analog).

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2.1.1 Hilfsperson oder Substitut?
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Auch wenn die erbrechtlich angepasste Auslegung von Art. 398 Abs. 3 OR analog im konkreten Einzelfall zeigt, dass der Willensvollstrecker einen Dritten beiziehen durfte, fällt seine eigene zivilrechtliche Verantwortlichkeit nicht einfach weg.12 Damit wir uns das Ausmass seiner Verantwortlichkeit vor Augen führen können, fragen wir uns zunächst, ob der Willensvollstrecker die Hilfe einer Hilfsperson (Sekretariat, Buchhaltung usw.) oder eines Substituten (externer Vermögensverwalter, Steuerexperte, Liegenschaftsverwalter usw.) in Anspruch genommen hat. Zieht der Willensvollstrecker einen selbstständigen Fachexperten bei, so kommt er allenfalls in den Genuss des Haftungsprivilegs nach Art. 399 Abs. 2 OR analog.13 In diesem Fall ist der Willensvollstrecker gegenüber den Erben und Vermächtnisnehmern zivilrechtlich nur beschränkt verantwortlich, nämlich für die Auswahl und die Instruktion, nicht aber für die Überwachung des Fachexperten.14 Im Übrigen tritt der Substitut mit der Annahme seines Auftrags in eine eigenverantwortliche Stellung.

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2.1.2 Voraussetzung für das Haftungs­privileg: Interesse der Erben bzw. Vermächtnisnehmer
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Von der Einstufung als Hilfsperson oder Sub­stitut hängt ab, ob den Willensvollstrecker gegenüber den Geschädigten die volle Verantwortlichkeit trifft (Art. 101 OR) oder ob er in den Genuss des auftragsrechtlichen Haftungspri­vilegs kommt und sich seine Verantwortlichkeit auf die sorgfältige Auswahl und Instruk­tion des Unterbeauftragten beschränkt (Art. 399 Abs. 2 OR analog). Früher war das Vertragsverhältnis ausreichend für die Unterscheidung zwischen Hilfspersonen und Substituten: Drittpersonen mit einem Arbeitsvertrag wurden als Hilfspersonen eingestuft, solche mit einem Auftrag als Substitute. Diese formaljuristische Einstufung ist nach der heute geltenden Praxis nicht mehr ausreichend.15

Die geltende Praxis folgt der Interessentheorie des Bundesgerichts. Danach ist das Haftungsprivileg nur dann gerechtfertigt, wenn der Willensvollstrecker Spezialisten im Interesse der Erben bzw. Vermächtnisnehmer beizieht, um eine sorgfältige Amtsführung zu gewährleisten.16 Dies ist der Fall, wenn ihm für einzelne Aufgaben die erforderliche Fachkenntnis fehlt.17 Dient der Beizug eines Dritten stattdessen hauptsächlich dem Interesse des Willensvollstreckers, profitiert er gemäss geltender Praxis nicht vom auftragsrechtlichen Haftungsprivileg.18 Der beigezogene Dritte ist als Hilfsperson (Erfüllungsgehilfe) des Willensvollstreckers zu betrachten, selbst wenn er mit dem Willensvollstrecker auf Mandatsbasis zusammenarbeitet.19

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2.2 Generalvollmacht eines Willensvollstreckers
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Die Generalvollmacht ist eine umfassende Vollmacht für Geschäfte irgendwelcher Art.20 Eine Vollmacht ist die Rechtsfolge der Bevollmächtigung.21 Die Bevollmächtigung ist eine Willenserklärung, durch die der zu Vertretende (als Vollmachtgeber) dem Vertreter (Vollmachtnehmer) erklärt, dass er als Bevollmächtigter befugt sei, ihn rechtswirksam gegenüber Dritten zu vertreten.22 Der Bevollmächtigte handelt dabei stets in fremdem Namen.23 Die Einräumung einer Generalvollmacht an einen Dritten durch den Willensvollstrecker beinhaltet für sich allein noch keine Pflicht des Dritten, auf irgendeine Art tätig zu werden. Sie begründet lediglich seine subjektive Berechtigung, Vertretungshandlungen mit Wirkung für den Willensvollstrecker vorzunehmen.24 Eine Generalvollmacht ist in der Praxis wenig sinnvoll, wenn sie nicht mit einem rechtlichen Grundverhältnis zwischen dem Vertreter und dem Willensvollstrecker verbunden ist. Bei diesem rechtlichen Grundverhältnis handelt es sich i.d.R. um einen Einzelarbeitsvertrag oder einen Auftrag.25

Eine Generalvollmacht ist lediglich eine Tatsache – eine Möglichkeit, während im Fall der Substitution bestimmte Teilbereiche der Willensvollstreckung verbunden mit einem Auftrag zur Ausführung auf einen Dritten übertragen werden.26 Im Gegensatz zum Generalbevollmächtigten handelt der Substitut in eigenem Namen und nicht etwa im Namen des Willensvollstreckers.27 Auch sind die Kontrollbefugnisse und -verpflichtungen des Willensvollstreckers über den Generalbevollmächtigten umfassender als über den Substituten. So kann er zu jedem Zeitpunkt Einfluss auf das Handeln des Generalbevollmächtigten nehmen, ihm die Vollmacht jederzeit entziehen oder sie einschränken (Spezialvollmacht). Schliesslich gibt der Willensvollstrecker mit einer Generalvollmacht keine Kompetenzen auf, denn er kann weiterhin parallel zum Generalbevollmächtigten handeln.28

Ausgeschlossen von der Vertretungsmacht sind in jedem Fall die nicht übertragbaren Kernaufgaben des Willensvollstreckers.29 Dazu zählen insbesondere die Erstellung des Erbteilungsvertrags, die Durchführung von Erbenversammlungen sowie die Rechenschaftspflicht gegenüber den Erben und Vermächtnisnehmern. Die Generalvollmacht eines Willensvollstreckers ist ausschliesslich im Zusammenhang mit der Pflicht und unter der Voraussetzung einer ordentlichen Nachlassverwaltung zu sehen. Die unbegründete Einräumung einer Generalvollmacht stellt m. a. W. eine Sorgfaltspflichtverletzung dar, für die der Willensvollstrecker im Missbrauchsfall persönlich haftet.30 Aus diesen Überlegungen ist die Ausstellung einer Generalvollmacht durch den Willensvollstrecker m.E. ohne Weiteres zulässig.31

Dies trifft insbesondere dann zu, wenn es sich um eine Bankvollmacht handelt. In der Vermögensverwaltung sind Delegationen geradezu an der Tagesordnung. Ein Willensvollstrecker ist u.U. sogar verpflichtet, die Verwaltung des Nachlassvermögens (ganz oder teilweise) auf einen externen Vermögensverwalter zu übertragen, um nicht ein Übernahmeverschulden zu riskieren. Die Vermögensverwaltung zählt nicht zu der Kategorie der unübertragbaren Kernaufgaben des Willensvollstreckers. Die unverteilte Erbschaft bildet für die Dauer der Willensvollstreckung ein Sondervermögen. Es untersteht der ausschliesslichen Verwaltung des Willensvollstreckers.32 Sowohl der Abschluss von Vermögensverwaltungsverträgen mit externen Vermögensverwaltern als auch – weniger weitgehend – das blosse Erteilen einer Generalvollmacht über bestimmte Kundenpositionen sind Verwaltungsmassnahmen und gegenüber Banken uneingeschränkt wirksam. Meines Erachtens ist die Praxis der Banken im Umgang mit Generalvollmachten (Bankvollmacht) von Willensvollstreckern bis heute zu wenig einheitlich.

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2.3 Beizugspflicht
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Es gibt Fälle, in denen der Willensvollstrecker nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet ist, einen Dritten beizuziehen.33 Dies ist der Fall, wenn er für die sorgfältige Abwicklung auf das Fachwissen eines Spezialisten angewiesen ist.34 Es handelt sich mit anderen Worten um Sachverhalte, bei denen die persönliche Ausführung im Wissen um die mangelhafte persönliche Fachkenntnis ein Übernahmeverschulden begründen würde, für das sich der Willensvollstrecker gegenüber Erben bzw. Vermächtnisnehmern zivilrechtlich zu verantworten hat.35 Denkbar sind auch Fälle, in denen der Willensvollstrecker aus Gründen einer ökonomischen Nachlassabwicklung (Effizienz­gebot) möglicherweise dazu verpflichtet ist, für Routinearbeiten wie zum Beispiel die regelmäs­sige Aktualisierung der Nachlassbuchhaltung oder die Korrespondenz eine Hilfsperson zu beschäftigen.36

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3. Übernahmeverschulden
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Willensvollstrecker setzen sich u.U. dem Risiko einer zivilrechtlichen Verantwortlichkeit aus Übernahmeverschulden aus, wenn sie nicht über qualifiziertes Know-how verfügen. Die Anzahl solcher Konstellationen nimmt eindeutig zu.37

Viele Willensvollstrecker ziehen in der Praxis deshalb vermehrt Fachexperten bei, um ihr Haftungsrisiko zu vermindern. Sie bleiben den Erben, Vermächtnisnehmern und Nachlassgläubigern auf jeden Fall persönlich verantwortlich für die Auswahl und Instruktion der beigezogenen Spezialisten. Eine Alternative zum Beizug eines Fachmanns bietet möglicherweise das Einholen eines Gutachtens als präventives Mittel zur Vermeidung eines Übernahmeverschuldens.38

Den Willensvollstrecker trifft dann ein Übernahmeverschulden, wenn ihm die Fähigkeiten für eine ordentliche Amtsführung fehlen und er dies weiss oder zumindest wissen sollte.39 Das Bundesgericht hat bisher bewusst offengelassen, ob das Übernahmeverschulden ausschliesslich für die Verschuldensfrage relevant ist oder ob darin eine selbständige Sorgfaltspflichtverletzung gesehen werden kann.40

Meines Erachtens ist das Übernahmeverschulden eine eigenständige Sorgfaltspflichtverletzung. Das Bundesgericht liess in seinem Urteil vom 23.12.2004 durchblicken, dass sich der Willensvollstrecker von seiner Schadenersatzpflicht für den Kursverlust eines Wertschriftendepots hätte schützen können, indem er einen Fachmann beigezogen hätte. Stattdessen versuchte er sich mit dem Argument zu rechtfertigen, er habe keine Erfahrung mit Aktienbeständen. Der Schaden betrug immerhin 125 026 Franken plus Zins.41 Wie sich zeigte, kann der Willensvollstrecker seine Verantwortung allerdings nicht restlos auf Fachleute abwälzen. Er bleibt auf jeden Fall verantwortlich für die sorgfältige Auswahl und Instruktion der Fachleute, die er beizieht.42

In den folgenden Bereichen ist das Risiko eines Übernahmeverschuldens besonders gross:43

  • Vermögensverwaltung
  • Steuern
  • Immobilien
  • Kunstnachlässe
  • Buchführung
  • Unternehmensnachfolge
  • Prozessführung (inkl. Schuldbetreibung und Konkurs)
  • Nachlässe mit Auslandbezug
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4. Willensvollstrecker ist nicht gleich Willensvollstrecker
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Kommt es zu einer zivilrechtlichen Verantwortlichkeitsklage gegen einen Willensvollstrecker, so prüft das Gericht unter anderem auch, ob er seine Sorgfaltspflichten verletzt hat oder nicht. Dazu vergleicht es das konkrete Verhalten des Willensvollstreckers mit dem fiktiven Verhalten einer normativen Referenzfigur, dem hypothetischen Willensvollstrecker. Kommt das Gericht zum Schluss, dass dem Willensvollstrecker ein Verhaltensvorwurf gemacht werden kann, so liegt eine Sorgfaltspflichtverletzung vor, für deren schädigende Folgen er haftet. Die Gerichte beurteilen nicht jeden Willensvollstrecker nach demselben Massstab. Fest steht, dass ein Mindestmass an Befähigung auf jeden Fall Grundvoraussetzung für jeden Willensvollstrecker ist. Ein Willensvollstrecker, der keine Ahnung hat, wie ein Nachlass abzuwickeln ist, und es trotzdem tut, kann sich bei einer Schädigung nicht mit seiner eigenen Unfähigkeit rechtfertigen. Er haftet vielmehr aus Übernahmeverschulden.

Die Beurteilung des Masses der geschuldeten Sorgfalt gliedert sich in drei Stufen: Die erste Stufe dient der Ermittlung der Sorgfaltspflichten des Willensvollstreckers. Sie legt einen Minimalstandard der Sorgfalt fest, den jeder Willensvollstrecker gewährleisten muss, und zwar ungeachtet seiner fachlichen und persönlichen Qualifikationen.44 In einer zweiten Stufe kann dieser Minimalstandard verschärft werden, wenn der Willensvollstrecker über qualifizierte persönliche oder fachliche Eigenschaften verfügt.45 Die Berücksichtigung subjektiver Merkmale des Willensvollstreckers kann aber nur zu einer gesteigerten Sorgfaltspflicht führen, da der allgemeingültige Minimalstandard nicht unterschritten werden darf.46 Schliesslich kann der Sorgfaltsmassstab in einer dritten Stufe aufgrund der Umstände des Einzelfalls konkretisiert werden. Damit erfährt der Sorgfaltsmassstab eine gewisse situationsspezifische Korrektur durch die Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls.47 Solche Umstände bilden beispielsweise die besondere Komplexität des Falls oder eine Willensvoll­streckung mit besonders hohem finanziellem Risiko.

Die Praxis hat eine Reihe von Grundsätzen entwickelt, die für die Sorgfaltspflichten von Willensvollstreckern gelten:

  • Selbst ein Laien-Willensvollstrecker muss über das minimale Standardwissen aus dem Gebiet der Willensvollstreckung verfügen und es auch anzuwenden verstehen.48 Unterdurchschnittlichkeit entschuldigt nicht; sie ist als Übernahmeverschulden zu qualifizieren.49
  • Rechtfertigungsversuche wie z.B. ein schlechter Tag, mangelhafte Konzentration, Arbeitsüberlastung usw. sind keine Entschuldigung für eine unsorgfältige Amtsführung.50
  • An den Sorgfaltsmassstab professioneller, d.h. gewerbsmässiger Willensvollstrecker werden strengere Anforderungen gestellt.51 Sie unterliegen vermehrt einer gerichtlichen Effizienzkontrolle.52
  • Besondere Qualifikation erhöht das Vertrauen des Rechts- und Geschäftsverkehrs. Ein ­Willensvollstrecker, der über besondere fachliche Fähigkeiten verfügt, wird an einem ­würdigen, wenn auch durchschnittlichen Willensvollstrecker mit vergleichbaren akade­mischen Graden oder anderen Befähigungs­ausweisen (Fachanwalt Erbrecht usw.) ge­messen.53
  • Wer sich als Spezialist anbietet, kann sich nicht mit der Begründung entlasten, dass der Vertragspartner den Mangel an Spezialkenntnissen hätte erkennen müssen (Haftung für erwecktes Vertrauen im Geschäftsverkehr).54
  • Höhere Anforderungen können an Rechtsanwälte und Notare als Willensvollstrecker gestellt werden. Erblasser dürfen von ihnen erwarten, dass sie ihr Amt mit gesteigerter Sorgfalt und Sachkenntnis führen. Der Anwalt, der das Amt eines Willensvollstreckers routiniert und regelmässig ausübt, wird gegenüber einem Anwalt, der ein solches Amt nur gelegentlich führt, strenger beurteilt.55
  • Bei Banken und anderen Finanzdienstleistern werden höhere Ansprüche an die Qualität der Verwaltung des Nachlassvermögens gestellt.56
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Literaturhinweise
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  • Breitschmid Peter, Behördliche Aufsicht über den Willensvollstrecker, in: Willensvollstreckung, Druey Jean Nicolas / Breitschmid Peter (Hrsg.), Bern / Stuttgart / Wien 2001 (St.Galler Studien zum Privat-, Handels- und Wirtschaftsrecht; Bd. 62), S. 149 ff.
  • Derendinger Peter, Die nicht- und die nichtrichtige Erfüllung des einfachen Auftrages, 2. Aufl., Diss. Freiburg i.Ue. 1990 (AISUF Band 83)
  • Fellmann Walter, Kommentar zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch (Berner Kommentar), Band VI: Das Obligationenrecht, 2. Abteilung: Die einzelnen Vertragsverhältnisse, 4. Teilband: Der einfache Auftrag (Art. 394 – 406 OR), Bern 1992 (zit. Fellmann, BK)
  • Gauch Peter / Schluep Walter R. / Rey Heinz / Schmid Jörg / Emmenegger Susan, Schwei­zerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil ohne ausservertragliches Haftpflichtrecht, Band I, 9. Aufl., Zürich 2008
  • Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil ohne ausservertragliches Haftpflichtrecht, Band II, 9. Aufl., Zürich 2008
  • Grieder Thomas, Vertragswidrigkeit und objektivierte Fahrlässigkeit – Eine Abgrenzungsproblematik in der vertraglichen Haftung, Diss. Zürich 2002
  • Hux Thomas, Die Anwendbarkeit des Auftragsrechts auf die Willensvollstreckung, die Erbschaftsverwaltung, die Erbschaftsliquida­tion und die Erbenvertretung, Diss. Entlebuch 1985
  • Iten Marc’Antonio, Die zivilrechtliche Verantwortlichkeit des Willensvollstreckers – Sorgfaltspflichten und andere Rechtsprobleme, Diss. Luzern 2012
  • Karrer Martin, Kommentar zu den Art. 517 f., 551 – 559 und 593 – 597 ZGB, in: Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht (Basler Kommentar), Schweizerisches Zivilgesetzbuch II (Art. 457 – 977, Art. 1 – 61 SchlT), Honsell Heinrich / Vogt Nedim Peter / Geiser Thomas (Hrsg.), 4. Aufl., Basel / Zürich / Bern 2011 (zit. Karrer, BSK)
  • Steuerrechtliche Pflichten und Verantwortlichkeit des Willensvollstreckers, in: Willensvollstreckung, Druey Jean Nicolas / Breitschmid Peter (Hrsg.), Bern / Stuttgart / Wien 2001 (St.Galler Studien zum Privat-, Handels- und Wirtschaftsrecht; Bd. 62), S. 135 ff. (zit. Karrer, Verantwortlichkeit)
  • Künzle Hans Rainer, Kommentar zum schweizerischen Privatrecht (Berner Kommentar), Band III: Das Erbrecht, 1. Abteilung: Die Erben, 2. Teilband: Die Verfügungen von Todes wegen, 2. Teil: Die Willensvollstrecker (Art. 517 – 518 ZGB), Bern 2011 (zit. Künzle, BK)
  • Kommentar zu den Art. 517 f., in: Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, Marc Amstutz / Peter Breitschmid / Andreas Furrer / Daniel Girsberger / Claire Huguenin / Markus Müller-Chen / Vito Roberto / Alexandra Rumo-Jungo / Anton K. Schnyder (Hrsg.), Zürich 2007 (zit. Künzle, CHK)
  • Picenoni Jennifer, Der Erbenvertreter nach Art. 602 Abs. 3 ZGB, Diss. Zürich 2004
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  1. Vgl. Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung der Schweiz 2010 – 2060 des Bundesamtes für Statistik. Download: http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/news/publikationen.html?publicationID=3989.
  2. Iten, N 33 und N 168.
  3. Derselbe, N 196 f.
  4. Derselbe, N 33 f. und N 216 ff.
  5. Derselbe, N 222.
  6. Karrer, BSK, N 15 zu Art. 518; Künzle, CHK, N 15 zu ZGB 517 – 518.
  7. Hux, S. 90; Iten, N 10.
  8. Hux, a.a.O; Iten, a.a.O.
  9. Breitschmid, N 11; Hux, a.a.O.; Künzle, CHK, N 15 zu ZGB 517 – 518; derselbe, BK, N 63 zu Art. 517 – 518; Picenoni J., S. 142 f.
  10. Iten, N 175.
  11. Hux, S. 90 f.; Picenoni J., S. 142.
  12. BGer 5P.529/1994, kommentiert von Prof. Peter Breitschmid in AJP 5 (1996) S. 82 ff.
  13. Künzle, BK, N 63 zu Art. 517 – 518 m.w.H.
  14. Derselbe, BK, N 64 zu Art. 517 – 518.
  15. BGE 112 II 347, E. 2a; 107 II 237, E. 5b; 103 II 59, E. 1a; vgl. E. 2.3 BGE (4A_407/2007/len.); vgl. Künzle, BK, N 63 f. zu Art. 517 – 518.
  16. Vgl. E. 2.3 BGE (4A_407/2007/len).
  17. Hux, S. 94; Iten, N 185.
  18. Vgl. E. 2.3 BGE (4A_407/2007/len); Hux, S. 92 ff.
  19. Iten, N 186.
  20. Gauch / Schluep / Schmid, N 1357.
  21. Dieselben, N 1353.
  22. Dieselben, N 1343.
  23. Dieselben, N 1327 ff.
  24. Dieselben, N 1351.
  25. Dieselben, N a.a.O.
  26. Iten, N 193.
  27. Gegen die Kompetenz des Willensvollstreckers zur Einräumung einer Generalvollmacht war das Obergericht des Kt. AG, zitiert im: (unveröffentlichten) Urteil der I. Zivilabteilung des BGer vom 7.04.2000 (5P.59/2000/bnm).
  28. Iten, a.a.O.
  29. Derselbe, N 194 m.w.H.
  30. Derselbe, a.a.O.
  31. Derselbe, a.a.O.
  32. Derselbe, N 35 ff., m.w.H.
  33. UBGE 2004 Nr. 1, E. 3; Karrer, BSK, N 15 f. zu Art. 518.
  34. BGE 78 II 123, E. 1b; Breitschmid, N 11; Hux, S. 88; Karrer, BSK, N 15 zu Art. 518; derselbe, Verantwortlichkeit, S. 137 und 143.
  35. Iten, N 195.
  36. Karrer, BSK, N 15 f. zu Art. 518; Iten, a.a.O.
  37. Vgl. Künzle, BK, N 432 zu Art. 517 – 518; Iten, N 485.
  38. Künzle, BK, N 447 zu Art. 517 – 518; Iten, N 539.
  39. Vgl. für den einfachen Auftrag Derendinger, N 282.
  40. Der BGE 124 III 155, E. 3b (Beraterhaftpflicht aus Vermögensverwaltungsauftrag).
  41. Vgl. die E. 3.3 des (unveröffentlichten) Urteils der II. Zivilabteilung des BGer vom 23.12.2004 (5C.119/2004/bnm).
  42. Iten, N 539.
  43. Derselbe, N 487, m.w.H. und Praxisbeispielen.
  44. Vgl. für den einfachen Auftrag: Gauch / Schluep / Emmenegger, N 3003; Grieder, S. 102; für die Willensvollstreckung Iten, N 383.
  45. BGE 115 II 62, E. 3a; ZR 70 (1971) Nr. 73; Grieder, S. 102; Iten, N 384.
  46. Vgl. E. 2d BGE (5A.9/2002/bom); Gauch / Schluep / Emmenegger, N 2989 ff.; Iten, a.a.O.
  47. Derselbe, 385 m.w.H.
  48. Vgl. für den einfachen Auftrag Fellmann, BK, N 486 ff. zu Art. 398 OR;
  49. Iten, N 505.
  50. Grieder, S. 103 ff.; Iten, a.a.O.
  51. BGE 115 II 62, E. 3a; Hux, S. 108; Iten, N 509 m.w.H.
  52. ZR 94 (1995) Nr. 8; Breitschmid, Aufsicht, N 7.
  53. Grieder, S. 97; Iten, N 506 m.w.H.
  54. Vgl. für den einfachen Auftrag BGE 124 III 155, E. 3b.
  55. Vgl. die E. 2b BGE (5C.311.2001, leading case); ZR 94 (1995) Nr. 64; ZR 70 (1971) Nr. 73 (Aufsichtsbeschwerde); Hux, S. 108; Iten, N 509 m.w.H.
  56. Vgl. für den einfachen Auftrag BGE 115 II 62, E. 3; Iten, N 508 m.w.H.
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