In den nächsten Jahren soll in der Schweiz ein neues Erbrecht in Kraft treten. Kleinere Pflichtteile sollen die Nachfolgeregelungen in Unternehmen erleichtern. Einige Punkte des Vorentwurfs sind umstritten, man muss mit Änderungen rechnen. Bei Erbverträgen sollte man trotzdem klar festlegen, ob sie dem neuen Recht angepasst werden können oder nicht.
Ein Kernstück des Vorentwurfs ist die Verkleinerung der Pflichtteile. Dabei werden eingetragene Partnerschaften, wie bei dem ganzen Vorentwurf, den Ehepartnern gleichgestellt. Als neue Pflichtteile gelten nach Vorentwurf Art. 471 ZGB
- für Nachkommen die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs. Wenn sie mit einem Ehepartner zu teilen haben, beträgt der Anspruch wie früher drei Achtel der Erbschaft. Das ergibt sich dadurch, dass der Pflichtteil des Ehepartners kleiner ist als früher.
- für den überlebenden Ehegatten bzw. eingetragenen Partner beträgt der Pflichtteil ein Viertel des gesetzlichen Erbanspruchs.
- Der Pflichtteil für die Eltern von unverheirateten Personen wird abgeschafft.
Die Verkleinerung der Pflichtteile wurde bei der Vernehmlassung von sehr vielen Seiten akzeptiert. Als Gründe für die Verkleinerung der Pflichtteile werden einerseits die veränderten Familienverhältnisse angeführt. In vielen Stellungnahmen, nicht zuletzt von Wirtschaftsverbänden, z. B. Schweizerischer Gewerbeverband und economiesuisse, sowie bürgerlichen Parteien, wird die Reduzierung der Pflichtteile als günstig für die Unternehmensnachfolge betrachtet. Das Risiko, dass ein Unternehmen durch Kapitalentzug zur Abgeltung von Pflichtteilen geschädigt würde, sei geringer und die Eigentümer könnten besser zugunsten ihres Unternehmens testieren.
Die Reduktion des Pflichtteils für den Ehepartner wird von einigen Stellungnahmen kritisiert. Häufig würde die Errungenschaft, zu der er auch beigetragen hat, einen grossen Teil des Vermögens ausmachen. In Bezug auf langjährige Ehen leuchtet das ein, vor allem wenn man auch Kinder aufgezogen hat. Andererseits wird wenig berücksichtigt, dass die meisten Ehepartner in einer modernen Ehe ihr eigenes Geld verdienen und höchstens noch in Erziehungsphasen auf Unterstützung des Partners angewiesen sind.
Weiter sind in Bezug auf Ehe- und Erbrecht folgende Änderungen geplant:
- Die Vorschlagszuteilung an den überlebenden Ehegatten in einem Ehevertrag oder an die überlebende eingetragene Partnerin oder den überlebenden eingetragenen Partner in einem Vermögensvertrag wird im Erbfall wie ein Erbvertrag behandelt (Art. 494 Abs. 4 ZGB).
- Wenn nicht eine abweichende Anordnung getroffen wurde, gelten Verfügungen von Todes wegen zugunsten des überlebenden Ehegatten bei Scheidung oder bei Einleitung eines Scheidungsverfahrens nicht mehr (Art. 120 Abs. 2 ZGB). Dasselbe gilt auch bei Auflösung des Güterstands von Todes wegen, wenn ein Scheidungsverfahren hängig ist (Art. 217 Abs. 2 ZGB).
- Wenn nicht eine andere Vereinbarung getroffen wurde, gelten Vertragsklauseln über eine andere als hälftige Verteilung der Errungenschaft nicht mehr, wenn ein Scheidungsverfahren hängig ist (Art. 241 Abs. 4 ZGB).
Die Meistbegünstigungsregelung für den überlebenden Ehepartner gegenüber gemeinsamen Kindern von Art. 473 ZGB bleibt bestehen, dafür gelten aber die neuen Pflichtteile. Bei Meistbegünstigung oder Erbverzichtsverträgen mit den Eltern zugunsten des überlebenden Elternteils muss das Vermögen des Vorverstorbenen separat angelegt werden, um den Kindern im Erbschaftsfall einen sofortigen Zugriff auf das betreffende Vermögen zu ermöglichen. Wenn sich das Vermögen des vorverstorbenen Elternteils mit dem des überlebenden Elternteils vermischt, gibt es nur eine Erbmasse, für die das Prinzip der Einstimmigkeit gilt. In der Praxis können dann andere Erben den Kindern während der Erbteilung das Vermögen des vorverstorbenen Elternteils vorenthalten.
Vor allem bei der Argumentation über die Reduktion der Pflichtteile geht man davon aus, dass das Vermögen des Erblassers – wenn nicht den direkten Nachkommen – anderen Angehörige oder Freunden des Erblassers vermacht wird. In gesundem Zustand beabsichtigen das sicher die meisten Menschen. Nur besteht bei Krankheit oder Demenz die Gefahr, dass sie in die Hände von Erbschleichern fallen. Dieses Gewerbe wird heutzutage oft mit mafiösen Strukturen betrieben und sogar von Politikern, Anwälten und Notaren begünstigt. Diese Tatsache wurde im neuen Erbrecht kaum berücksichtigt, was von mehreren Seiten kritisiert wurde.
Immerhin gibt es im Vorentwurf zwei neue Artikel, die man gegen Erbschleicherei anwenden kann.
- Nach dem neuen Art. 541a ZGB darf den Personen, die in Ausübung ihrer beruflichen Funktion in einem Vertrauensverhältnis zum Erblasser stehen, sowie ihren Angehörigen durch eine Verfügung von Todes wegen insgesamt höchstens ein Viertel der Erbschaft zugewendet werden.
- Nach dem neuen Art. 469 Abs. 1 ZGB sind Verfügungen, die der Erblasser unter dem Einfluss von Irrtum, arglistiger Täuschung, Drohung oder Zwang errichtet hat, anfechtbar, nach altem Recht waren sie ungültig. Allerdings ist es da oft sehr schwierig, Beweise festzuhalten.
Im Zusammenhang mit der Herabsetzung bei Pflichtteilsverletzungen sind vor allem einige neue Regelungen über Versicherungen interessant. Nach dem neuen Art. 527 Ziff. 1 und 3 ZGB unterliegen der Herabsetzung:
- die Verfügungen von Todes wegen;
- die unentgeltlichen Zuwendungen auf Anrechnung an den Erbteil, wenn sie nicht der Ausgleichung unterworfen sind;
- die unentgeltlichen Zuwendungen, die der Erblasser frei widerrufen konnte oder die er während der letzten fünf Jahre vor seinem Tod ausgerichtet hat, ausgenommen die üblichen Gelegenheitsgeschenke.
Vermögenswerte sind den Erben zum Verkehrswert anzurechnen, der ihnen im Zeitpunkt der Teilung zukommt (Art. 617 ZGB).
Leistungen, die den Erben und den übrigen Begünstigten aus der beruflichen Vorsorge des Erblassers zukommen sowie die Vorsorgeformen nach Art. 82 BVG, also die Säule 3a, sollen laut Vorentwurf Art. 476 ZBG nicht zur Erbschaft gezählt werden. Dieser Vorschlag wurde in der Vernehmlassung kritisiert: Es handle sich bei der Säule 3a häufig um einen beträchtlichen Anteil des Vermögens und um eine freiwillige Anlage, die man den Pflichtteilserben nicht vorenthalten könne.
Nach dem neuen Art. 476 ZGB werden Lebensversicherungsansprüche von Dritten, die mit dem Tod des Erblassers entstehen und nicht zu den Vorsorgeformen nach BVG oder zur Säule 3a gehören, automatisch zum Vermögen hinzugerechnet.
Ersatzlos gestrichen wird Art. 529 ZGB, danach wurde die Herabsetzung nach dem Rückkaufswert berechnet. Neu soll die beim Tod ausgezahlte Versicherungsleistung bei der Herabsetzung berücksichtigt werden.
Nach der neuen Bestimmung von Art. 484a ZGB kann das zuständige Gericht anordnen, dass einer Person zulasten der Erbschaft ein Unterhaltsvermächtnis ausgerichtet wird, um ihr damit einen angemessenen Lebensunterhalt zu ermöglichen, wenn sie
- mit dem Erblasser seit mindestens drei Jahren eine faktische Lebensgemeinschaft geführt hat und erhebliche Leistungen im Interesse des Erblassers erbracht hat,
- während ihrer Minderjährigkeit mindestens fünf Jahre mit dem Erblasser in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat und vom Erblasser finanzielle Unterstützung erhalten hat, die dieser fortgesetzt hätte, wenn er nicht verstorben wäre.
- Die Ausrichtung des Vermächtnisses muss für die Erben namentlich aufgrund ihrer finanziellen Lage und der Höhe der Erbschaft zumutbar sein.
- Das Vermächtnis wird auf Klage hin festgesetzt. Die Klage ist innerhalb einer Verwirkungsfrist von drei Monaten ab dem Zeitpunkt einzureichen, in dem der Kläger vom Tod des Erblassers Kenntnis erhalten hat.
Dieses Unterhaltsvermächtnis wurde bei der Vernehmlassung von vielen Seiten kritisiert, sodass die Bestimmung bei der definitiven Gesetzesvorlage möglicherweise weggelassen oder stark geändert wird.
Wer einen erbrechtlichen Anspruch geltend machen kann, ist nach dem Tod des Erblassers berechtigt, von Rechtsnachfolgern und Dritten, die Vermögenswerte des Erblassers verwaltet, besessen oder erhalten haben, die Informationen zu erhalten, die er benötigt, um den Umfang seiner Ansprüche festzustellen (Art. 601a ZGB). Dieses Informationsrecht besteht solange wie der Anspruch.
Pflichtteilberechtigten Erben kann das Informationsrecht nicht durch eine letztwillige Verfügung entzogen werden; das Berufsgeheimnis kann Informationsberechtigten nicht entgegengehalten werden. Bei der Vernehmlassung wurden zu diesem Artikel datenschutzrechtliche Bedenken geäussert.
Ist der Erblasser infolge ausserordentlicher Umstände wie nahe Todesgefahr, Verkehrssperre, Epidemien oder Kriegsereignisse verhindert, sich einer der anderen Errichtungsformen zu bedienen, so kann er eine mündliche oder audiovisuelle letztwillige Verfügung errichten (Art. 506 ZGB). Bei der audiovisuellen Verfügung muss der Erblasser selbst auf der Aufzeichnung erscheinen, seinen Namen angeben, den ausserordentlichen Umstand erläutern, nach Möglichkeit das Datum nennen und seinen letzten Willen erklären.
Das ist der einzige Artikel, in dem man neue Techniken berücksichtigt. Auch in der Vernehmlassung kamen diese nur am Rand vor. Nötig wären Bestimmungen darüber, wie man nach dem Tod einer Person ihre Beiträge in sozialen Netzwerken betreuen kann oder die Zugänge zu den E-Mails ermöglicht. Dies müssten die Erblasser auch nach diesem Vorentwurf selber durch Verfügung regeln. Es ist zu hoffen, dass man in die definitive Gesetzesvorlage noch entsprechende Bestimmungen einfügt.
Unternehmer können unangenehme Konsequenzen eines Erbteilungsstreits mit einem Testament oder Erbvertrag regeln, z. B. indem sie Erben auf den Pflichtteil setzen. Wenn sie die Kinder, die nicht im Familienunternehmen arbeiten, nicht schlechterstellen wollen, können sie die Nutzniessung an der verfügbaren Quote anordnen. In Bezug auf die verfügbare Quote kann man auch Bedingungen stellen, z. B. dass die Erben das Kapital im Geschäft belassen und einen Gewinnanteil erhalten. Der Erbvertrag hat in Bezug auf die finanzielle Sicherheit des Unternehmens den Vorteil, dass er nur mit Zustimmung aller Beteiligten geändert werden kann (Art. 513 ZGB).
Wichtig für Unternehmer ist, dass man bei Erbverträgen die Entwicklung eines neuen Rechts berücksichtigt, unabhängig davon, wie dieses definitiv gestaltet wird. Andernfalls könnte einer der Beteiligten auf die Idee kommen, den Vertrag anzufechten, weil die Rechtsgrundlagen sich geändert haben. Selbst wenn er damit keinen Erfolg hätte, würde dies die Erbteilung verzögern, und ein Prozess ist immer mit Ärger und Verlusten verbunden.
- Man legt im Erbvertrag fest, dass man auf Wunsch eines Beteiligten nach dem Inkrafttreten des neuen Erbrechts eine Änderung vornehmen kann.
- Will man die Verhältnisse nach dem alten Erbrecht regeln, sollte ausdrücklich im Vertrag festgehalten sein, dass eine Anpassung an das neue Erbrecht nicht vorgesehen ist.
Vernehmlassungsunterlagen: www.bj.admin.ch