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Erhebliche und andauernde Konflikte oder Kommunikationsprobleme zwischen den Eltern können die alleinige Zuteilung des Sorgerechts an einen Elternteil rechtfertigen. Das Bundesgericht konkretisiert in einem ersten Urteil zum neuen Sorgerecht den Massstab für eine Alleinzuteilung. Es weist die Beschwerde eines Vaters aus dem Kanton Zürich ab.

Seit dem 1. Juli 2014 ist das neue Sorgerecht in Kraft. Bei unverheirateten Eltern oder bei einer Scheidung bildet nunmehr die gemeinsame elterliche Sorge die Regel. Über die Zuteilung der elterlichen Sorge muss neu entschieden werden, wenn dies «wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse zur Wahrung des Kindeswohls nötig ist» (Art. 298d Abs. 1 ZGB). Das Bundesgericht hält in einem ersten Entscheid zur Aufhebung des gemeinsamen Sorgerechts verschiedene Kriterien fest, die eine Alleinzuteilung rechtfertigen können. Welche Messlatte der Gesetzgeber für eine Alleinzuteilung genau anlegen wollte, lässt sich aufgrund der Botschaft und der parlamentarischen Beratung zur Sorgerechtsnovelle nicht mit abschliessender Sicherheit eruieren. Nicht sachgerecht wäre es, eine Alleinzuteilung nur bei ganz krassen Ausnahmefällen zuzulassen und den gleichen Massstab anzulegen, wie er für den Sorgerechtsentzug gegenüber den Eltern im Rahmen einer Kindesschutzmassnahme gilt (Art. 311 ZGB). Vielmehr kann bereits ein schwerwiegender Dauerkonflikt oder eine anhaltende Kommunikationsunfähigkeit der Eltern eine Alleinzuteilung erfordern, wenn sich der Mangel negativ auf das Kindeswohl auswirkt und von einer Alleinzuteilung eine Verbesserung erwartet werden kann. Erforderlich ist aber in jedem Fall, dass der Konflikt oder die gestörte Kommunikation erheblich und chronisch sind. Kein Anlass für eine Alleinzuteilung besteht bei punktuellen Auseinandersetzungen oder Meinungsverschiedenheiten, wie sie in allen Familien vorkommen und insbesondere mit einer Trennung oder Scheidung einhergehen können. Die Alleinzuteilung muss die eng begrenzte Ausnahme bleiben. Bei einem zwar schwerwiegenden, aber auf ein bestimmtes Thema beschränkten Konflikt – etwa die religiöse Erziehung oder schulische Belange – wäre allenfalls zu prüfen, ob nicht bereits eine richterliche Alleinzuweisung einzelner Teilinhalte des Sorgerechts Abhilfe schaffen könnte. Soweit die Blockade einseitig auf das Konto des einen Elternteils geht, was in der Praxis eher selten der Fall sein dürfte, steht eine Alleinzuteilung an den kooperativen Elternteil im Vordergrund. Das gilt insbesondere, wenn dieser auch eine gute Bindungstoleranz aufweist, während die Kooperations- oder Kommunikationsunfähigkeit des anderen Teils mit der Tendenz einhergeht, das Kind dem anderen Elternteil zu entfremden. Im konkreten Fall weist das Bundesgericht die Beschwerde eines Vaters aus dem Kanton Zürich ab. Die unverheirateten Eltern hatten sich bereits vor der Geburt ihrer Tochter auf das gemeinsame Sorgerecht geeinigt, was von der zuständigen Vormundschaftsbehörde 2009 genehmigt wurde. Kurz darauf trennte sich das Paar. Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) hob 2013 die gemeinsame Sorge wegen fehlender Kooperationsbereitschaft und Kommunikationsschwierigkeiten der Eltern auf und übertrug die alleinige Sorge auf die hauptbetreuende Mutter. Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte den Entscheid. Das Bundesgericht kommt zum Schluss, dass ein Konflikt mit Ausnahmecharakter vorliegt, der sich über die Jahre zunehmend verhärtet hat. Die permanente Uneinigkeit der Eltern in sämtlichen Lebensbelangen der Tochter hat bei ihr zu einem zunehmenden Loyalitätskonflikt und zu Verunsicherung geführt und das Kindeswohl damit konkret beeinträchtigt.

Art. 298d Abs. 1 und Art. 311 ZGB

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(BGer., 27.08.15 {5A_923/2014}, Medienmitteilungen des Schweizerischen Bundesgerichts, 27.08.15, www.bger.ch)

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