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Der vorliegende Sachverhalt betraf einen Schweizer Immobilienkonzern, der ausschliesslich Schwei­zer Tochtergesellschaften hält. Die Finanzierungstätigkeit der Gruppe wurde durch eine Betriebsstätte der Schweizer Finanzierungsgesellschaft auf den Cayman Islands ausgeführt. Gemäss eigener Darstellung unterhielt die Schweizer Finanzierungsgesellschaft zur Erfüllung ihrer Aufgabe nur eine Betriebsstätte auf den Cayman Islands; dort gingen vier Teilzeit-Mitarbeitende (mit je 20 Stellenprozenten) in gemieteten Büros ihrer Arbeit nach. Am Hauptsitz in der Schweiz verfügte die Finanzierungsgesellschaft über keine eigenen Angestellten.

Die Tätigkeit der Finanzierungsgesellschaft bestand darin, dass sie die einzelnen Schweizer Gruppengesellschaften mittels Darlehen mit den notwendigen Mitteln versorgte. Die erwirt­schaf­teten Zinserträge blieben aufgrund der anwend­baren ausländischen Steuergesetze meist un­versteuert. Die Repatriierung der Offshore-­Finanzerträge in die Schweiz erfolgte schliesslich in Form einer Dividende, was – aufgrund der in den ausländischen Steuergesetzen nicht vorgesehenen Quellenbesteuerung sowie des jeweils in der Schweiz zur Anwendung gelangenden Beteiligungsabzugs auf Stufe der Dividendenempfängerin – regelmässig zu einer Quasi-Nichtbesteuerung der Finanzerträge führte.*

Vor Bundesgericht war strittig, ob die Finanzierungsgesellschaft auf den Cayman Islands in der vorliegend relevanten Steuerperiode eine Betriebsstätte unterhalten hat. Während die Finanzierungsgesellschaft eine solche behauptete und die Vorinstanz diese Auffassung geschützt hatte, war die beschwerdeführende Eidgenössische Steuer­verwaltung (ESTV) der Ansicht, es fehle an den notwendigen Voraussetzungen für die Annahme einer Betriebsstätte. Die ESTV vertrat die Meinung, für den Nachweis einer Betriebsstätte im Ausland sei gemäss Art. 52 Abs. 3 DBG auf die Grundsätze des Bundesrechts über das Verbot der interkantonalen Doppelbesteuerung abzustellen. Im DBG fehle betreffend juristischen Personen mit unbeschränkter Steuerpflicht eine Definition der Betriebsstätte im Ausland. Gestützt auf die Betriebsstättenkriterien nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur interkantonalen Doppel­besteuerung gelangte die ESTV zum Ergebnis, die Betriebsstättenqualität des Betriebsteils auf den Cayman Islands sei zu verneinen, werde doch dort nicht ein quantitativ und qualitativ notwendiger Teil der Geschäftstätigkeit abgewickelt.

In seinem Entscheid hält das Bundesgericht fest, dass keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich seien, dass der Gesetzgeber den Begriff der Betriebsstätte unterschiedlich habe festlegen wollen, je nachdem, ob sich die Betriebsstätte im In- oder Ausland befinde. Zwar könne die Finanzierungs­tätigkeit in einem international tätigen Konzern grundsätzlich ohne Weiteres auch im Rahmen einer ausländischen Betriebsstätte wahrgenommen werden. Da vorliegend ausschliesslich zu prüfen sei, ob die behauptete Betriebsstätte auf den Cay­man Islands steuer­lich anzuerkennen sei, stehe die Beurteilung der Tätigkeit der Finanzierungs­gesellschaft in der Schweiz nicht zur Diskussion. Indessen sei bei der Auslegung des unbestimmten Begriffs der Betriebsstätte zu beachten, welche Funktion der unilateralen Regelung im Schweizer Steuerrecht zukomme: Soweit es um die Definition einer Betriebsstätte einer ausländischen Unternehmung in der Schweiz gehe, solle geregelt werden, wann und in welchem ­Umfange die Schweiz einen Teil des Betriebsergebnisses zur Besteuerung heranziehen dürfe. Umgekehrt gehe es bei der Definition einer ausländischen Betriebsstätte einer Schweizer Unternehmung darum festzulegen, wann und in welchem Umfange das Betriebsergebnis einer Schweizer Unternehmung hier von der Besteuerung ausgenommen werden müsse. Diese unterschiedlichen Zielsetzungen der uni­lateralen Regelung sei insbe­sondere auch im Zusammenhang mit den dop­pelbesteuerungsrechtlichen Re­gelungen zu beachten, die sich – wenn auch nicht im vorliegenden Fall, jedoch sehr häufig – aufgrund der Zuweisung von Besteue­rungs­befugnissen durch Doppelbesteuerungs­ab­kom­men ergeben würden. Daraus ergebe sich, dass die unilateralen Regelungen, mit denen einseitig eine Doppelbesteuerung vermieden werden solle, tendenziell eher zugunsten des Besteuerungsrechts der Schweiz auszulegen seien. In Bezug auf die Betriebsstättendefinition ergebe sich daraus, dass für Betriebsstätten im Ausland die Anforderungen etwas höher gesteckt werden dürfen als für Betriebsstätten in der Schweiz. Betriebsstätten im Ausland seien daher in zweifelhaften Fällen aufgrund der unbeschränkten Steuerpflicht in der Schweiz tendenziell der Steuerpflicht in der Schweiz zu unterwerfen, und einer allenfalls drohenden Doppelbesteuerung sei in solchen Fällen mittels Heranziehung entsprechender DBA ent­gegenzutreten, soweit solche beständen.

Bezogen auf den konkreten Fall kommt das Bundesgericht zum Schluss, dass die organisatorisch schlanken Strukturen an der Betriebsstätte mit vier Teilzeitmitarbeitenden in deutlichem Kontrast zu den Zahlen in den Jahresabschlüssen der «Cayman-Branch» ständen: So habe die Bilanzsumme Fr. 365 944 497.28 (Ende 2005) bzw. Fr. 520 394 471.36 (Ende 2006) betragen: Unter den Aktiven erschienen Darlehen an die Schwestergesellschaften der Gruppe in der Höhe von rund Fr. 497 000 000.– (Ende 2005) bzw. rund Fr. 647 000 000.– (Ende 2006). ­­­Die Erträge setzten sich ausschliesslich aus Zinseinnahmen zusammen (2005: rund Fr. 16 000 000.–; 2006: rund Fr. 18 000 000.–). Damit stehe wohl fest, dass die Beschwerdegegnerin Darlehen in beträchtlicher Höhe an ihre Schwestergesellschaften in der Schweiz gewährt habe; unklar bleibe letztlich aber, was die auf den Cayman Islands vorhandenen Einrichtungen im Einzelnen konkret zur Wertschöpfung beigetragen hätten. Daran ändere auch nichts, dass die Gesellschaft an ihrem Hauptsitz in der Schweiz kein Personal beschäftige: Einerseits sei vorliegend ausschliesslich zu prüfen, ob die behauptete Betriebsstätte auf den Cayman Islands steuerlich anzuerkennen ist, und die Beurteilung der Tätigkeit der Beschwerdeführerin in der Schweiz stehe nicht zur Diskussion. Andererseits genüge es für die Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht in der Schweiz schon, wenn nur der statuarische Sitz in der Schweiz liege, ohne dass gleichzeitig Verwaltungs- oder andere Geschäftsaktivitäten an diesem Ort stattfinden müssten. Zusammenfassend sei festzustellen, dass es vorliegend den Aktivitäten auf den Cayman Islands an der hinreichenden Substanz fehle und sie damit das Kriterium der Ausübung einer Geschäftstätigkeit einer Schweizer Unternehmung in einer ausländischen Betriebsstätte nicht erfüllten.

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Das Verfahren vor Bundesgericht wirft verschiedene Fragen auf. Zwar wird mit der Feststellung, dass sowohl für inländische als auch für ausländische Betriebsstätten die gleichen Voraussetzungen gelten würden, erstmals Klarheit geschaffen. Das Gericht hält aber im Widerspruch dazu gleichzeitig fest, dass die Anforderungen an die ausländischen Betriebsstätten höher gesteckt werden dürften. Gerade im vorliegenden Fall ist nicht nachvollziehbar, weshalb die Offshore-Finanzierungsgesellschaft auf den Cayman Islands die Betriebsstätteneigenschaft nicht erfüllen soll, wurde doch die gesamte Tätigkeit der Finanzierungsgesellschaft in dieser Betriebsstätte ausgeführt. Die vom Bundesgericht herangezogene Begründung, die Tätigkeit sei zu untergeordnet, vermag nicht zu überzeugen, zumal das Gericht sich nicht dazu äussert, welche Aktivitäten fehlen würden. Die Begründung nährt den Verdacht, das Resultat habe von vornherein festgestanden und die Richter hätten vermeiden wollen, das Vorliegen einer Steuerumgehung anzunehmen. Inskünftig ist insbesondere bei der Implementierung von Offshore-Strukturen verstärkt Vorsicht geboten.

Art. 127 Abs. 3 BV; Art. 52 Abs. 3 DBG

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(BGer., 5.10.12 {2C_708/2011}, Martin Byland, lic. iur. Rechtsanwalt, TBO Treuhand AG, Zürich)

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* Vgl. auch «Bundesgericht erteilt der Offshore-Finanzierung von Schweizer Immobilienkonzernen eine Absage» von Hanspeter Saner, Isabelle Seiler und Dr. Marlene Kobierski der Ernst & Young AG.

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