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Ferien führen in der betrieblichen Praxis häufig zu Diskussionen und nicht selten auch zum Streit. Im vorliegenden Beitrag werden einige für die Praxis besonders bedeutsame Brennpunkte des Ferienrechts unter Berücksichtigung der jüngeren Rechtsprechung beleuchtet.

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1. Einleitung und rechtliche Grundlagen
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Das Obligationenrecht von 1911 schwieg sich über die Ferien des Arbeitnehmers aus, gewährte also weder einen Ferienanspruch noch einen Anspruch auf Lohnzahlung während Ferien. Diese Zeiten sind glücklicherweise längst überwunden. Mit dem Arbeitsgesetz wurde in einem ersten Schritt per 1. Februar 1966 ein Art. 341bis ins OR eingefügt. Damit wurde von Bundes wegen für Jugendliche unter 20 Jahren ein Ferienrecht von drei, für alle anderen Arbeitnehmer ein solches von zwei Wochen geschaffen. Eine generelle Erhöhung auf vier Wochen Ferien pro Jahr, wie sie heute noch gilt, erfolgte per 1. Juli 1984. Weitere Ausbaupläne auf Gesetzes- bzw. Verfassungsstufe sind dagegen gescheitert, letztmals am 11. März 2012 durch ein überraschend wuchtiges Volks-Nein mit rund 66 % der Stimmen gegen die Initiative «6 Wochen Ferien für alle».

Die Grundlagen des heutigen Ferienrechts finden sich in den vier Artikeln 329a – 329d des Obligationenrechts.1 Sie lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Jährlicher Mindestanspruch von vier Wochen, bis zum vollendeten 20. Altersjahr mindestens fünf Wochen.2
  • Pro-rata-Anspruch bei Eintritt bzw. Austritt im laufenden Jahr.3
  • Die Ferien sind in der Regel im Verlauf des betreffenden Dienstjahres zu gewähren; mindestens zwei Wochen müssen zusammenhängen.4
  • Der Arbeitgeber bestimmt den Zeitpunkt des Ferienbezugs. Er hat dabei auf die Wünsche des Arbeitnehmers so weit Rücksicht zu nehmen, als dies mit den Interessen des Betriebs vereinbar ist.5
  • Unter bestimmten Umständen ist bei Arbeitsverhinderung des Arbeitnehmers eine Ferien­kürzung zulässig.6
  • Während der Ferien hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Lohn.7
  • Die Ferien dürfen während der Dauer des Arbeitsverhältnisses nicht durch Geldleistungen oder andere Vergünstigungen abgegolten werden.8
  • Leistet der Arbeitnehmer während der Ferien entgeltliche Arbeit für einen Dritten und werden dadurch die berechtigten Interessen des Arbeitgebers verletzt, so kann dieser den Ferien­lohn verweigern oder bereits bezahlten Lohn zurückverlangen.9

So sehr Ferien eine schöne und gute Sache sind, so häufig führen sie in der betrieblichen Praxis zu Diskussionen und nicht selten auch zum Streit. Ein Blick in die einschlägigen Entscheidsammlungen der Gerichte zeigt ebenfalls, dass es dem Thema an Aktualität nicht mangelt. Grund genug also, im Folgenden einige für die Praxis besonders bedeutsame Brennpunkte des Ferienrechts unter Berücksichtigung der jüngeren Rechtsprechung zu beleuchten.

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2. Ausgewählte Ferienfragen
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2.1 Höhe des Ferienlohns
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Die Lohnzahlung für die Ferienzeit muss den Arbeitnehmer so stellen, wie wenn er gearbeitet hätte.10 Daraus wird geschlossen, dass sich der Ferienlohn nach dem aktuellen, d.h. nach dem zum Bezugszeitpunkt geltenden Lohnniveau bzw. – wenn am Ende der Anstellung ein Ferien­guthaben verbleibt – nach dem zuletzt bezahlten Lohn bemisst und nicht etwa nach dem im Entstehungsjahr massgeblichen, meist tieferen Lohn.11 Auch wenn der Arbeitnehmer also «alte» Ferien bezieht, hat er den aktuellen, in der Regel höheren Ferienlohn zugut. Diese Auffassung ist diskutabel, sie entspricht aber der herrschenden Meinung.

Der Grundsatz lautet also, dass der Arbeitnehmer während Ferien wirtschaftlich so zu stellen ist, wie wenn er gearbeitet hätte.12 Deswegen sind während der Ferien auch variable Lohnanteile auszurichten (z.B. hypothetisch erzielbare Provisionen oder eine Umsatzbeteiligung), wobei in diesem Fall zur Berechnung häufig auf Durchschnittswerte abgestellt wird.13 Immerhin kann es bei einem regelmässigen Kundenstamm vorkommen, dass der ferienbedingte Ausfall kompensiert wird, indem die Geschäftsabschlüsse fast vollständig vor oder nach den Ferien stattfinden oder durch einen Stellvertreter getätigt und dem Arbeitnehmer gutgeschrieben werden, der Arbeitnehmer also keiner Provisionen verlustig geht. In diesem Fall ist keine hypothetische Provision in den Ferienlohn einzurechnen.

Soweit Leistungen Dritter wie z.B. Trinkgelder Lohnbestandteil sind, sind diese bei der Berechnung der Höhe des Ferienlohnes ebenfalls mitzuberücksichtigen. Nicht darunter fallen aber die sogenannten Overtips, also die heute üblichen Trinkgelder, die z.B. bei einem Restaurantbesuch vom Gast freiwillig gegeben werden.14 Feste Zulagen wie Teuerungs- oder Schicht-, Nacht-, Wochenend- oder Feiertagszulagen sind in den Ferienlohn einzurechnen, sofern sie regelmässig und während einer gewissen Dauer ausgerichtet wurden.15 Das Bundesgericht hat allerdings kürzlich klargestellt, dass diese Grundsätze nicht zwingend auch für öffentlich-rechtliche Anstellungsverhältnisse zur Anwendung gelangen müssten.16 Ebenso sind die einen Lohnbestandteil darstellenden, die effektiven Auslagen übersteigenden Repräsentationsspesen und Autopauschalen im Ferienlohn zu berücksichtigen. Nicht zu bezahlen sind hingegen echte Spesen, welche während der Ferien nicht anfallen.17 Nicht einzurechnen ist der 13. Monatslohn (oder eine Gratifikation), dafür wird dieser auch nicht um die Feriendauer gekürzt.18 Zusätzlich zu bezahlen ist ein Anteil 13. Monatslohn oder ein Bonus mit Lohncharakter hingegen dann, wenn der aufgelaufene Feriensaldo am Ende der Anstellung ausbezahlt wird.19

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2.2 Abgeltungsverbot
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Der Ferienlohn ist während der Ferien zu bezahlen, d.h. der ordentliche Lohn läuft während des Ferienbezugs einfach weiter. Das Obliga­tionenrecht verbietet in Art. 329d Abs. 2 ausdrücklich, dass Ferien während der Dauer des Arbeitsverhältnisses durch Geldleistungen oder andere Vergünstigungen abgegolten werden.20 Darum ist es grundsätzlich nicht statthaft, den Lohn für die Ferienzeit in die regulären Lohnzahlungen einzurechnen bzw. diesen zuzuschlagen. Geht der Arbeitgeber dennoch so vor, riskiert er eine Doppelzahlung, d.h. dass er die Ferien beim Bezug bzw. bei Vertrags­ende nochmals bezahlen muss.21 In der Praxis hat sich aber der Wunsch nach Lohnzahlung «Ferienlohn inbegriffen» ergeben, z.B. durch einen Zuschlag von 8,33 % auf dem Stundenlohn. Die Gerichte haben sich schon mehrere Male damit befasst, ob das zulässig sei. Das Bundesgericht und ihm folgend kantonale Gerichte haben die Zulässigkeit bei sehr unregelmässiger Arbeitsleistung oder bei sehr kurzem Arbeitseinsatz bejaht.22 Formelle Voraussetzung dafür ist, dass der auf die Ferien entfallende Lohnanteil sowohl im Vertrag23 wie schriftlich in jeder einzelnen Lohnabrechnung ausgewiesen wird.24 Dieses Spezifikationserfordernis gilt auch für überdurchschnittlich hohe Löhne.25 Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass auch ein anderweitiger Nachweis der Kenntnis vom Zuschlag möglich sein muss, z.B. durch frühere Lohnabrechnungen mit exakt gleichen Zahlen.26 Trotz dieser Erleichterung sind aber viele Arbeitgeber vor Gericht an den strengen Voraussetzungen für die laufende Ferienlohnabgeltung gescheitert.27 Der ebenso verbreitete wie praktische Ferienlohnzuschlag auf dem Stundenlohn bleibt damit ein nicht ganz risikoloses Unterfangen.

Die gerichtlichen Formulierungen sind teilweise unpräzise und erwecken den Eindruck, der Lohnzuschlag ersetze die Ferien statt nur den Ferienlohn, was nicht der Fall ist.28 Dies ist zu betonen: Eine zulässige Ferienabgeltung im hier beschriebenen Sinn bedeutet nur, dass der Ferienlohn ausnahmsweise laufend mit der Lohnzahlung vergütet werden darf, also z.B. durch Lohnzuschlag. Der Arbeitnehmer hat aber nach wie vor Anspruch darauf, seine Ferien auch tatsächlich beziehen zu können, d.h. von der Arbeitsleistung befreit zu werden.29

Sind die erwähnten Voraussetzungen für eine gültige Abgeltung erfüllt, kommt sie nach dem Bundesgericht grundsätzlich auch bei einer Vollzeitbeschäftigung infrage.30

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2.3 Krankheit während Ferien
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Nicht nur in die Ferienzeit fallende Feiertage, auch Krankheit und Unfall können die Feriendauer entsprechend verlängern, d.h. die entsprechenden Tage gelten nicht als Ferienbezug.31 Massgebend ist, ob der Zustand des Arbeitnehmers der Erholung entgegensteht oder nicht.32 Bei Bettlägerigkeit und bei regelmässigem Arztbesuch schliesst die Krankheit den Ferienbezug in der Regel aus.33 Eine kleinere Verletzung, die weder zum Daheimbleiben zwingt noch sonst Ferientätigkeiten wesentlich behindert, oder ein kürzeres Unwohlsein stehen hingegen der Erholung nicht entgegen, ebenso wenig eine rein arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit.34 Als Ferienbezug wurde vom Arbeitsgericht Zürich auch eine fünfwöchige Trans-Kanada-Tour mit der Ehefrau gewertet.35 Der bis zur Abreise krankgeschriebene Arbeitnehmer hatte vergeblich versucht, die Reise als eine verordnete Erholungskur darzustellen, welche den Ferienbezug ausschlösse. Ebenso wenig drang er mit dem Argument durch, dass die ersten drei Ferienwochen «katastrophal» gewesen seien, er vor allem geschlafen habe, in sich gekehrt gewesen sei und nur gerade zwei Mal mit dem Mountainbike habe fahren können. Dem hielt das Arbeitsgericht entgegen, dass der Erholungswert der Ferien gerade auch im Schlafen und Spazieren bestehen könne. Ferien­unfähigkeit liege nicht schon deswegen vor, weil keine Aktivferien mit Biken usw. unternommen werden könnten.

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2.4 Ferienkürzung
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Ein schwieriges Thema, das in der betrieblichen Praxis immer wieder zu Kopfzerbrechen führt, ist die Frage der Ferienkürzung bzw. die Berechnung derselben. Unter bestimmten Umständen ist der Arbeitgeber bei längerer Ab­wesenheit des Arbeitnehmers tatsächlich berechtigt, dessen Ferienanspruch zu kürzen. Art. 329b OR, der sehr unglücklich und missverständlich formuliert ist, unterscheidet drei Fälle: Ist die Arbeitsverhinderung vom Arbeitnehmer verschuldet, darf ab dem ersten vollen Abwesenheitsmonat pro vollen Monat um einen Zwölftel des Jahresferienanspruchs gekürzt werden (Absatz 1).36 Viel wichtiger ist der Fall von Absatz 2, der Fälle schuldloser Arbeitsverhinderung wie z.B. Krankheit, Unfall oder Militärdienst zum Gegenstand hat. Hier kann eine Kürzung erst nach dem vollen zweiten Monat Absenz stattfinden. Dazu ein Beispiel: Ist ein Arbeitnehmer mit einem Jahresferienanspruch von 20 Tagen zweieinhalb Monate37 unfallbedingt arbeitsunfähig, so darf um insgesamt ein Zwölftel bzw. 1 ⅔ Tage gekürzt werden, d.h. der Jahresferienanspruch reduziert sich auf 18 ⅓ Tage. Dies deswegen, weil für den ersten Monat (Schonfrist) und den angebrochenen dritten Monat keine Kürzung stattfinden kann (es darf nur um volle Monate gekürzt werden), sodass im Ergebnis nur für einen vollen Monat um ein Zwölftel gekürzt werden darf. Nach Absatz 3 schliesslich darf bei schwangerschaftsbedingten Absenzen erst nach dem vollen dritten Monat gekürzt werden; im Falle von Mutterschaftsurlaub nach Art. 329f OR ist sogar jede Kürzung ausgeschlossen.38

Kompliziert werden kann die Kürzungsfrage bei Sondertatbeständen wie überlappenden Erkrankungen, Teilarbeitsunfähigkeit, wechselndem Dienstjahr und Ähnlichem. Für Berechnungsbeispiele dazu kann auf die Fachliteratur verwiesen werden.39

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2.5 Ferienbezug während Freistellung
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Vor allem Kader, Geheimnisträger oder Mitarbeitende mit Kundenkontakt werden häufig für die Dauer der Kündigungsfrist von der Arbeitsleistung freigestellt. Bei Banken ist die Freistellung fast schon zur Regel geworden. Klar und unbestritten ist, dass auch während der Freistellungszeit der Feriensaldo anwächst.40 Gegenstand zahlreicher Rechtsstreitigkeiten ist ­dagegen, ob und in welchem Umfang Ferien während der Freistellung als bezogen gelten. Schon seit Längerem ist in der Gerichtspraxis anerkannt, dass in den Fällen, in denen der Arbeitgeber den Ferienbezug ausdrücklich anordnet und die Freistellung das restliche Ferien­guthaben sehr stark übersteigt, der restliche Ferienanspruch untergehen kann. Das Bundesgericht hat diese Rechtsprechung ausgeweitet, indem in solchen Fällen der Ferienbezug auch ohne spezielle Anordnung des Arbeitgebers stattfinden soll.

Hauptstreitpunkt bleibt damit das Verhältnis von Freistellungsdauer zu Ferienanspruch: Je länger die Freistellung dauert, umso mehr Ferien können in der Regel als bezogen betrachtet werden. Eine allgemeine Regel, z.B. eine bestimmte Verhältniszahl, wird vom Bundesgericht aber zu Recht abgelehnt.41 Das Arbeitsgericht Zürich geht als Faustregel davon aus, ein Drittel der Freistellungstage könne als Ferienbezug angerechnet werden, mit Abweichungen im Einzelfall je nach den konkreten Umständen (z.B. Datum des Abschlusses des neuen Arbeitsvertrages, effektiver Ferienbezug, Intensität der Stellensuche usw.).42 Das heisst konkret, dass nach der Faustregel bei einer dreimonatigen Freistellung durchschnittlich 21,75 Tage (entsprechend der durchschnittlichen Anzahl Arbeitstage pro Monat) als Ferienbezug angerechnet würden.

Diese Faustregel kann in der Praxis durchaus hilfreich sein. Immer gilt es aber die konkreten Umstände des Einzelfalles im Auge zu behalten. Dem Arbeitnehmer muss jedenfalls der Beweis offenstehen, dass er die ganze Freistellungsdauer für die Stellensuche brauchte und daher keine Möglichkeit hatte, den Wohnort zu verlassen und in die Ferien zu fahren, um sich zu erholen. Umgekehrt ist aber auch klar, dass jener Arbeitnehmer, der während der Freistellung tatsächlich Ferien bezieht, sich die ganze Dauer als Ferienbezug anrechnen lassen muss und nicht nur die kürzere Dauer gemäss Faustregelberechnung.

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2.6 Ständige Erreichbarkeit während Ferien
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Besondere Fragen wirft das Phänomen der ständigen Erreichbarkeit des Arbeitnehmers auf. Damit ist gemeint, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer mit elektronischen Geräten, z.B. einem Smartphone (Blackberry, iPhone usw.), ausstattet, um sich so dessen ständige Erreichbarkeit und Verfügbarkeit auch während der arbeitsfreien Zeit und Ferien zu sichern.

In Bezug auf die Ferienproblematik ist vom Erholungszweck der Ferien auszugehen. Die vom Arbeitgeber erwartete ständige Erreich- und Verfügbarkeit des Arbeitnehmers führt bei diesem in aller Regel zu einer erhöhten Grundspannung. Diese steht der vom Gesetzgeber angestrebten «Tiefenerholung», die auch in der Vorschrift zusammenhängender Ferienwochen (Art. 329c Abs. 1) zum Ausdruck kommt, entgegen. Die ständige Erreich- und Verfügbarkeit lässt sich deshalb grundsätzlich nicht mit dem Ferienbezug vereinbaren. Auszeiten, während derer vom Arbeitgeber eine ständige Erreich- oder Verfügbarkeit erwartet wird, können deshalb nicht als Ferienbezug angerechnet werden. Dies muss dem Grundsatz nach auch für Kader gelten, denn im Unterschied zu den gesetzlichen Höchstarbeitszeiten, denen das Arbeitsgesetz bei den höheren leitenden Angestellten die Anwendbarkeit versagt (Art. 3 Bst. d ArG), kennt das Ferienrecht des OR keine solche Ausnahmeregelung für Kader.

Zu bejahen ist der Ferienbezug hingegen, wenn sich der Arbeitnehmer aus freien Stücken, ohne dass dies von ihm erwartet wird, mittels solcher Geräte auf dem Laufenden hält. Eine weitere Ausnahme ist dann anzunehmen, wenn die Erreichbarkeit lediglich für betriebliche Notfälle erwartet und auch nur für solche Fälle beansprucht wird, der Arbeitnehmer aber ansonsten, d.h. für den betrieblichen Normalbetrieb, während der Ferien nicht für eigentliche Arbeitseinsätze, Informationsabgaben oder Auskunftserteilungen eingesetzt wird.43 Hier wird man bei Kadern einen etwas grosszügigeren Massstab anlegen können, d.h., dass die Sicherstellung ihrer Erreichbarkeit zu Notfallzwecken eher erwartet werden darf, ohne dass deswegen der Ferienbezug infrage gestellt ist. Auch der Kader­angestellte muss es aber nicht hinnehmen, dass er während seiner Ferien permanent in den betrieblichen Alltag eingebunden ist, so z.B. wenn er täglich die eingetroffenen E-Mails abarbeiten muss.44

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2.7 Rückforderung zu viel bezahlter Ferien?
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Es kommt immer wieder vor, dass ein Arbeitnehmer bei Vertragsende mehr Ferien bezogen hat, als ihm eigentlich zustanden. In diesem Fall stellt sich die bis heute noch wenig geklärte Frage, ob bzw. in welchen Fällen der Arbeitgeber Anspruch auf Rückzahlung des zu viel bezahlten Ferienlohns hat.

Es sind zwei Fälle zu unterscheiden: Hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in die Ferien geschickt, z.B. wegen Betriebsferien, so kann er bei Austritt vor dem Jahresende den Lohn nicht zurückverlangen, es sei denn, die Parteien hätten dies ausdrücklich so vereinbart.45 Hat der Arbeitnehmer dagegen ein Gesuch um individuelle Ferien gestellt und ist diesem stattge­geben worden, reicht die Arbeitszeit bis zum Austritt aber nicht aus, um den Vorbezug auszugleichen, so muss er einen entsprechenden Abzug vom letzten Lohn grundsätzlich hinnehmen, sofern ihm nicht der Arbeitgeber kündigt.46 In dieser zweiten Konstellation ist im gewährten Ferienbezug eine stillschweigende Vereinbarung zu erblicken: Der Arbeitgeber verpflichtet sich, den Arbeitnehmer bis zum Abtragen der «Ferienschuld» zu beschäftigen, der Arbeitnehmer verpflichtet sich, mindestens so lange in dessen Diensten zu bleiben. Kündigt der Arbeitgeber vorzeitig, steht ihm keine Rückvergütung zu, kündigt der Arbeitnehmer, ist sie geschuldet.47 Vorbehalten bleibt in allen Fällen eine besondere vertragliche Abmachung, welche die Frage der Ferienlohnrückforderung regelt.

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  1. Das OR gilt direkt für die privatrechtlichen Anstellungsverhältnisse. Im öffentlichen Dienstrecht (früher «Beamtenrecht») regeln die jeweiligen Personalrechte das Ferienrecht in der Regel selbständig. Sie lehnen sich dabei aber meistens und sehr weitgehend an die Bestimmungen des OR an.
  2. Art. 329a Abs. 1 OR.
  3. Art. 329a Abs. 2 OR.
  4. Art. 329c Abs. 1 OR. Noch ungeklärt ist, ob bzw. wie die Missachtung dieser Zwei-Wochen-Regel sanktioniert wird und wie die Regel bei einem unvollständigen Berechnungsjahr zu handhaben ist, z.B. wenn der Arbeitnehmer im Eintrittsjahr einen Feriensaldo von nur wenigen Tagen anhäuft. Weiterführend dazu Streiff / von Kaenel / Rudolph, Arbeitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 319 – 362 OR, 7. Aufl. 2012, N 3 zu Art. 329c OR.
  5. Art. 329c Abs. 2 OR.
  6. Art. 329b OR; dazu hinten Ziff. 2.4.
  7. Art. 329d Abs. 1 OR.
  8. Art. 329d Abs. 2 OR; dazu hinten Ziff. 2.2.
  9. Art. 329d Abs. 3 OR.
  10. BGE 129 III 493 E. 3.1 und 664 E. 7.3 = Pra 2004 Nr. 67.
  11. Z.B. Egli, Strittige Fragen zum Thema «Ferien», in: ArbR 2006, S. 164; Farner, in: Entscheide Arbeitsgericht ZH 2004, S. 61; Obergericht SO in JAR 1997, S. 150 E. 3.b; Gewerbliches Schiedsgericht BS in JAR 1983, S. 150; wohl auch BGE 4A_66/2009 vom 8.4.2009 E. 2.1. Anders ist die Situation bei Überstunden, wo auf das Lohnniveau zum Entstehungszeitpunkt abzustellen ist; vgl. Streiff / von Kaenel / Rudolph, a.a.O., N 12 zu Art. 321c OR.
  12. BGE 134 III 399 E. 3.2.4.2.
  13. Weiterführend zur Berechnungsweise BGE 129 III 664 E. 7.3, bestätigt in BGE 4C.173/2004 vom 7.9.2004.
  14. Streiff / von Kaenel / Rudolph, a.a.O., N 3 zu Art. 329d OR; a.M. Egli, a.a.O., S. 142, der eine Berücksichtigung im Ferienlohn bejaht, sofern Overtips regelmässig und über längere Zeit bezogen wurden.
  15. BGE 132 III 172 = JAR 2006, S. 379 = Pra 2006 Nr. 147.
  16. BGE 138 I 232, ausführlich dargestellt in von Kaenel /Rudolph, elektronischer Update-Service zum Praxiskommentar, http://www.schulthess.com/arbeitsrecht, N 3 zu Art. 329d OR.
  17. BK-Rehbinder / Stöckli, N 2 zu Art. 329d OR; Egli, a.a.O., S. 141.
  18. ZK-Staehelin, N 3 zu Art. 329d OR; Egli, a.a.O, S. 141.
  19. Bundesgericht in SARB 2000 Nr. 160; Arbeitsgericht ZH in ZR 1997 Nr. 76; vgl. auch BGE 4C.217/2003 E. 4.3 = JAR 2005, S. 136.
  20. Wohl aber nach Vertragsende, was ohnehin die einzige sinnvolle Möglichkeit ist, bei Vertragsende noch bestehende Feriensaldi zu entschädigen.
  21. Vgl. BGE 4C.147/2005 vom 26.9.2005 E. 2.
  22. Vgl. etwa BGE 118 II 136 E. 3b; 116 II 515 E. 4a = JAR 1991, S. 189; Arbeitsgericht ZH in JAR 1988, S. 105 E. IV.
  23. Schriftlich, wenn ein schriftlicher Vertrag vorliegt oder Schriftform gesetzlich vorgeschrieben ist wie z.B. beim Handelsreisenden nach Art. 347a OR, ansonsten mündlich; vgl. BGE 137 V 96 E. 6.3.1; 129 III 664 E. 7.2; 4A_300/2007 vom 6.5.2008 E. 3.2.3.
  24. Grundlegend BGE 116 II 515; ebenso 4C.219/2006 vom 24.1.2007 E. 2.1.
  25. BK-Rehbinder / Stöckli, N 15 zu Art. 329d OR.
  26. ZK-Staehelin, N 13 zu Art. 329d OR, mit Verweis auf BGE 116 II 518; ähnlich BK-Rehbinder / Stöckli, N 15 zu Art. 329d OR, in Bezug auf das Spezifikationserfordernis.
  27. Für eine detaillierte Übersicht über die Rechtsprechung vgl. Streiff / von Kaenel / Rudolph, a.a.O., N 9 zu Art. 322d OR.
  28. Wyler, Droit du travail, 2. Aufl. Bern 2008, S. 356; Streiff / von Kaenel / Rudolph, a.a.O., N 9 zu Art. 329d OR.
  29. Ähnlich wie hier Portmann / Stöckli, Schweizerisches Arbeitsrecht, 2. Aufl. Zürich / St.Gallen 2009, Rz 519; BK-Rehbinder / Stöckli, N 15 zu Art. 329d OR; ZK-Stae­helin, N 13 zu Art. 329d OR.
  30. BGE 4C.90/2003 vom 7.7.2003 = ARV 2003, S. 219.
  31. BGE 4A_117/2007 und 4A_127/2007 vom 13.9.2007 E. 6.3.
  32. BGE 4A_117/2007 und 4A_127/2007 vom 13.9.2007 E. 6.3.
  33. Gl.M. BK-Rehbinder / Stöckli, N 5 zu Art. 329b OR; ähnlich Arbeitsgericht ZH in Entscheide 2007 Nr. 11.
  34. Gewerbliches Schiedsgericht BS in BJM 2003, S. 318.
  35. Entscheide 2009 Nr. 7.
  36. Liegt hingegen überhaupt keine Arbeitsverhinderung vor, z.B. wenn der Arbeitnehmer einfach «blau» macht oder bei unbezahltem Urlaub, wächst gar kein Ferienanspruch an, d.h. die Kürzung findet ab dem ersten Tag der Absenz statt.
  37. Richtig betrachtet sind Arbeits- und nicht Kalendertage massgeblich. Folglich ist bei der Berechnung danach zu fragen, wie viele Arbeitstage der Mitarbeiter gefehlt hat. Sobald die Absenz die Anzahl Arbeitstage pro Monat erreicht (Faustregel: 21,75 Arbeitstage), liegt ein voller Monat im Sinne von Art. 329b OR vor.
  38. Die Anknüpfung in Art. 329b Abs. 3 OR an den Bezug der Mutterschaftsentschädigung wird zutreffenderweise nicht so eng verstanden, sodass die Ferienkürzung für jede Form von Mutterschaftsurlaub im Sinne von Art. 329f OR als ausgeschlossen gilt, also auch dann, wenn kein Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung besteht; vgl. Streiff / von Kaenel / Rudolph, a.a.O., N 4 zu Art. 329b OR.
  39. Eric Cerottini, Le droit aux vacances, Diss. Lausanne 2001, S. 109 ff.; Daniel Mägerle, Probleme bei der Kürzung von Ferienansprüchen, in: Anwaltsrevue 2012, S. 21 – 24; Streiff / von Kaenel / Rudolph, a.a.O., N 7 zu Art. 329b OR.
  40. Vgl. BGE 128 III 271 E. 2.a und 2.b; CdC NE in RJN 2010, S. 282 E. 4.
  41. BGE 128 III 271 E. 4.a.
  42. Entscheide 2008 Nr. 14 und Entscheide 2005 Nr. 13.
  43. Weiterführend von Kaenel, Die ständige Erreichbarkeit des Arbeitnehmers, in: ARV 2009, S. 1 ff.
  44. Weiterführend zum Thema Rudolph / von Kaenel, Aktuelle Fragen zur Arbeitszeit, in: AJP 2012, S. 197 ff.
  45. Streiff / von Kaenel / Rudolph, a.a.O, N 9 zu Art. 329a OR, mit weiteren Hinweisen u.a. auf Vischer und gegenteilige Meinungen.
  46. Streiff / von Kaenel / Rudolph, a.a.O., N 9 zu Art. 329a OR, mit weiteren Hinweisen u.a. auf Aubert.
  47. Streiff / von Kaenel / Rudolph, a.a.O., N 9 zu Art. 329a OR, mit weiteren Hinweisen.
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