Das Mitte 2014 in Kraft gesetzte gemeinsame Sorgerecht birgt nach wie vor viel Diskussionsstoff, wie die öffentliche Beratung von zwei Fällen am Bundesgericht gezeigt hat. Obwohl beide Fälle aussergewöhnlich sind, werfen sie Fragen auf, die sich auch in Zukunft stellen werden.
Bei der Einführung des neuen Sorgerechts wurde festgehalten, dass zukünftig das gemeinsame Sorgerecht bei geschiedenen oder getrennt lebenden Eltern die Regel sein soll. Nur in Ausnahmen sollte davon abgewichen werden. Eine solche Ausnahme liegt vor, wenn das Verhältnis der Eltern durch einen unüberwindbaren Dauerkonflikt zerrüttet ist. Dies hat das Bundesgericht in einem Grundsatzurteil im August 2015 entschieden. Wie sich bei einem der am 25. Februar 2016 beratenen Fällen gezeigt hat, kann dies darauf hinauslaufen, dass unkooperatives und destruktives Verhalten eines Elternteils damit «belohnt» wird, dass dieser das alleinige Sorgerecht zugeteilt bekommt. So hatte in diesem Fall eine Mutter dem nicht mit ihr verheirateten Vater den Zugang zur Tochter konsequent verwehrt. Auch hatte sie sich über Anordnungen von Behörden hinweggesetzt. Der Vater hat das sechsjährige Kind deshalb seit fünf Jahren nicht mehr gesehen. Weil es sich um einen abgewiesenen Asylbewerber handelt, lebt der Mann von der Nothilfe in einer Notschlafstelle. Mit einem Stimmenverhältnis von vier gegen eine Stimme entschieden die Bundesrichter, dass die Mutter, entgegen dem Antrag des Vaters, das alleinige Sorgerecht behalten soll. Begründet hat die Mehrheit der Richter den Entscheid damit, dass das Kindeswohl das Mass aller Dinge sei. Es gehe nicht um die Sanktionierung des Verhaltens der Mutter. Eine Alleinzuteilung hat der Vater nicht beantragt und kommt aufgrund seiner Lebensumstände auch nicht infrage. Das gemeinsame Sorgerecht kommt gemäss den Bundesrichtern in diesem Fall auch deshalb nicht infrage, weil es sich um eine blosse rechtliche Hülle handeln würde. Der Vater habe schliesslich keine Beziehung zur Tochter. Deshalb könne er auch kaum in wichtigen Fragen mitentscheiden. Im zweiten Fall ist die Konstellation ebenso aussergewöhnlich: In der Regel kämpfen getrennte oder geschiedene Väter darum, dass sie mehr Betreuungszeit mit ihren Kindern zugesprochen erhalten. In diesem Fall hatte ein Vater beantragt, dass er seine Töchter aufgrund seiner beruflich bedingten Abwesenheiten jedes dritte und nicht zweite Wochenende zu sich nehmen müsse. Seine ehemalige Partnerin, in einem 80%-Pensum berufstätig, verlangte jedoch den Zweiwochenrhythmus. Die Kinder leben wochentags bei ihr. Die Frau begründete ihre Forderung damit, dass sie wegen ihrer unregelmässigen Arbeitszeiten mit Wochenend- und Nachtschichten mehr Geld dafür aufwenden müsse als der Vater, um die Fremdbetreuung der Kinder zu bezahlen. Nur einer der Bundesrichter sprach sich dafür aus, dass dem Wunsch der Frau entsprochen und das vorgängige Urteil des Obergerichts des Kantons Aarau bestätigt werde. «Die elterliche Sorge ist kein Wunschkonzert», argumentierte der Richter. Er stellte die Frage, wozu die gemeinsame elterliche Sorge auch verpflichte. Wenn man es ernst meine mit der gemeinsamen elterlichen Sorge, dann müsse es auch möglich sein, einem Elternteil mehr Betreuungspflichten aufzubürden. Die Mehrheit der Richter entschied jedoch, dass der Fall an die Vorinstanz zurückgewiesen werden solle, um den Sachverhalt näher abzuklären. Auch hier führten sie das Kindeswohl ins Feld, dem an erster Stelle Sorge zu tragen sei. Die Interessen der Eltern kämen erst an zweiter Stelle. Die Mehrheit der Bundesrichter war der Ansicht, dass sich basierend auf den vorhandenen Informationen nicht entscheiden liesse, welche Betreuungsregelung für die Kinder die beste sei.
Art. 298 Abs. 1, Art. 298b Abs. 2 und Art. 298d Abs. 1 ZGB
(BGer., 25.02.16 {5A_400/2015 und 5A_3237/2015}, Jusletter 29.02.16)