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Beim Freispruch eines Beschuldigten müssen die Strafbehörden grundsätzlich auch für den Schaden aufkommen, den die betroffene Person aus dem Verlust der Arbeitsstelle als Folge des geführten Strafverfahrens erlitten hat. Voraussetzung ist allerdings, dass die Entlassung tatsächlich von den Strafbehörden zu verantworten ist. Das trifft nicht zu im Fall eines Lehrers aus dem Kanton Zug, der von der Schulgemeinde auf blossen Verdacht hin nach Einleitung eines Verfahrens wegen sexuellen Missbrauchs einer Schülerin entlassen wurde.

Die Mutter einer Schülerin hatte den Lehrer aus dem Kanton Zug 2009 gegenüber der Polizei beschuldigt, ihre Tochter mehrfach sexuell missbraucht und in einem Fall vergewaltigt zu haben. Nachdem ein Strafverfahren wegen sexuellen Missbrauchs und Vergewaltigung eingeleitet und der Beschuldigte vorübergehend in Untersuchungshaft versetzt worden war, stellte die Schulgemeinde den Lehrer im August 2009 zunächst für vier Monate frei und kündigte anschliessend das Arbeitsverhältnis. 2013 wurde der Beschuldigte vom Strafgericht des Kantons Zug vollumfänglich freigesprochen. Seine Entschädigungsforderungen im Zusammenhang mit dem Verlust der Arbeitsstelle wies das Strafgericht ab, was vom Obergericht des Kantons Zug bestätigt wurde. Das Bundesgericht weist die Beschwerde des Betroffenen ab. Zwar sind die Strafbehörden grundsätzlich verpflichtet, im Falle eines vollständigen oder teilweisen Freispruchs den gesamten Schaden zu ersetzen, den eine Person infolge des Strafverfahrens erlitten hat. Dies umfasst auch die wirtschaftlichen Einbussen aus dem Verlust der Arbeitsstelle. Voraussetzung ist allerdings, dass die Strafbehörden in rechtlicher Hinsicht für die Entlassung verantwortlich zu machen sind (sogenannter «adäquater Kausalzusammenhang»). Keine Verantwortung trifft die Strafbehörden dann, wenn die Entlassung durch das Fehlverhalten einer anderen Behörde verursacht wurde, mit dem nicht zu rechnen war. Im vorliegenden Fall kam das Zuger Verwaltungsgericht zum Schluss, dass die Entlassung des Betroffenen durch die Schulgemeinde sachlich nicht gerechtfertigt gewesen sei und eine unzulässige Verdachtskündigung vorgelegen habe. Dieses rechtswidrige Verhalten der Schulbehörde haben nicht die Strafbehörden zu vertreten und sie mussten mit einem solchen auch nicht rechnen. Vielmehr hätte von der Schulbehörde trotz der schwierigen Situation ein umsichtiges und behutsames Vorgehen erwartet werden dürfen. Nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung war die Strafuntersuchung gegen den Betroffenen deshalb für sich alleine nicht geeignet, seine Entlassung zu bewirken. Im Rahmen des vorliegenden Verfahrens hatte das Bundesgericht nur die mögliche Haftung der Strafbehörden zu beurteilen.

Art. 420, Art. 429 und Art. 437 StPO; Art. 42 OR

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(BGer., 18.04.16 {6B_1061/2014}, Medienmitteilungen des Schweizerischen Bundesgerichts, 6.05.16 www.bger.ch)

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