Die Befugnisse eines ausländischen Insolvenzverwalters sind auf dem Gebiet der Schweiz beschränkt. Der Fachbeitrag geht auf die aktuellen Rechtsgrundlagen und die Rechtsprechung ein und weist auf mögliche Probleme in der Praxis hin.
Wirtschaftliche Aktivitäten sind heute zunehmend nicht mehr an staatliche Grenzen gebunden. Im internationalen Wirtschaftsumfeld bewegen sich auch Unternehmen, die in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten können. Sanierungsverfahren und Insolvenzverfahren sind dann häufig unvermeidbar.1 Solche im Ausland durchgeführte Verfahren können auch einen Bezug zur Schweiz aufweisen, insbesondere dann, wenn sich die Aktivitäten des insolventen Unternehmens auch auf das Gebiet der Schweiz erstreckten. Während internationale Handelshemmnisse in der Vergangenheit zunehmend beseitigt wurden, blieben nationale Hürden im Insolvenzbereich bestehen. Die Befugnisse eines ausländischen Insolvenzverwalters sind auf dem Gebiet der Schweiz eingeschränkt und enden quasi an der schweizerischen Staatsgrenze. Dies kann in gewissen Konstellationen zu stossenden Ergebnissen führen.
Die Schweiz hat im Bereich des internationalen Insolvenzrechts die Bestimmungen von Art. 166 ff. IPRG erlassen. Aus Art. 166 IPRG folgt, dass ein im Ausland ergangenes Konkursdekret keine Wirkung auf schweizerischem Territorium entfaltet, solange das Konkursdekret nicht in der Schweiz anerkannt ist. Das ausländische Konkursdekret bleibt bis zur Anerkennung in der Schweiz quasi unbeachtlich. Erst mit Anerkennung des ausländischen Konkursdekrets treten auch in der Schweiz die konkursrechtlichen Konsequenzen ein und es wird in der Schweiz ein sogenanntes «Mini»-Konkurs- oder Sekundärverfahren durchgeführt.
Ein ausländischer Insolvenzverwalter, der das Vermögen der Insolvenzmasse zu verwalten und letztlich zu verwerten hat, nimmt jedoch oft Rechtshandlungen vor, bevor das ausländische Konkursdekret in der Schweiz anerkannt wird. Er schliesst beispielsweise Verträge ab und ist um das Inkasso ausstehender Forderungen des Gemeinschuldners bemüht. Diese Handlungen können einen Bezug zur Schweiz aufweisen, z.B. wenn er Maschinen eines insolventen Unternehmens an eine in der Schweiz domizilierte Unternehmung verkauft, Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Verwaltung von schweizerischen Dienstleistungsanbietern einkauft usw. Allerdings kann solches Handeln des ausländischen Insolvenzverwalters zu «eigenartigen» Resultaten führen, was letztlich auf die gesetzgeberische Konzeption und das durch Art. 166 ff. IPRG normierte System zurückzuführen ist.
Die nachfolgenden Ausführungen zeigen – in etwas pointierter Form – mögliche Schwachstellen des in Art. 166 ff. IPRG normierten Systems auf.
Wie erwähnt, entfaltet ein ausländisches Insolvenzdekret keine Wirkung in der Schweiz, solange keine Anerkennung in der Schweiz erfolgt. Schliesst der ausländische Insolvenzverwalter vor Anerkennung Verträge mit Personen, die in der Schweiz domiziliert sind, ab, kann man sich fragen, ob solche Verträge überhaupt eine Bedeutung haben.
Mittels Abschluss von Verträgen können Rechte, mithin Forderungen, und Pflichten begründet werden. Die Begründung von Rechten und Pflichten setzt die Handlungsfähigkeit voraus (vgl. Art. 12 ZGB). Im internationalen Verhältnis richtet sich die Handlungsfähigkeit gemäss Art. 35 IPRG nach dem Recht am Wohnsitz der jeweiligen Partei. Die Rechts- und Handlungsfähigkeit einer Gesellschaft sowie die gesellschaftsrechtlichen Vertretungsbefugnisse der Organe richten sich nach dem auf die Gesellschaft anwendbaren Recht (vgl. Art. 154 i.V.m. Art. 155 lit. a und i IPRG). Die Handlungsfähigkeit eines ausländischen Insolvenzverwalters oder die Vertretungsfähigkeit beispielsweise in Bezug auf eine insolvente ausländische Gesellschaft bestimmen sich somit grundsätzlich nach dem Recht am Wohnsitz des Insolvenzverwalters bzw. am Sitz der Gesellschaft, mithin nach einem ausländischen Recht.
Ist der ausländische Insolvenzverwalter nach dem ausländischen Recht handlungsfähig oder vertretungsbefugt, kann er Verträge abschliessen und Rechte (insbesondere Forderungen) begründen. Auf die vorgängige Anerkennung eines ausländischen Konkursdekrets kann es nicht ankommen.
Eine Forderung ist ein klagbares Recht auf Leistung.2 Dem Gläubiger steht ein Klagerecht zu, das sich gegen den Staat als Träger der Gerichtsbarkeit richtet und somit öffentlich-rechtlicher Natur ist. Dieses Klagerecht bildet – neben dem privaten Recht gegen den Schuldner – den Bestandteil der Forderung.3
Von der Forderung ist die Naturalobligation zu unterscheiden: Die Naturalobligation ist eine «Forderung ohne Klagbarkeit». Naturalobligationen sind beispielsweise Forderungen aus Spiel und Wette. Dem Gläubiger steht in solchen Fällen ein Recht auf Leistung zu, doch verweigert der Staat dem Gläubiger den Rechtsschutz aus volkswirtschaftlichen und sozialpolitischen Überlegungen.4
Schliesst ein ausländischer Insolvenzverwalter einen Vertrag mit einer in der Schweiz wohnhaften oder domizilierten Partei ab, um eine rechtsgültige Forderung (z.B. eine Kaufpreisforderung gegen den Käufer von Vermögenswerten der insolventen Gesellschaft) zu begründen, so setzt dies voraus, dass der ausländische Insolvenzverwalter die Forderung auch einklagen kann. Dem ausländischen Insolvenzverwalter muss die Befugnis zustehen, die fragliche Forderung auch einzuklagen, sonst handelt es sich bei der Forderung letztlich «nur» um eine Naturalobligation.
Das Schweizerische Bundesgericht hat in BGE 129 III 263 entschieden, dass eine ausländische Konkursmasse nur zum Antrag auf Anerkennung des ausländischen Konkursdekrets aktivlegitimiert ist. Betreibungen können von einer ausländischen Konkursmasse nicht angehoben werden. In Pra 2008 Nr. 144 hat sich das Bundesgericht dahingehend geäussert, dass eine ausländische Konkursmasse in der Schweiz keine Klage anheben könne. Die einzige Befugnis des ausländischen Insolvenzverwalters bestehe darin, einen Antrag um Anerkennung des ausländischen Konkursdekrets zu stellen.
Stellt man auf diese Rechtsprechung ab, so bedeutet dies zunächst, dass dem ausländischen Insolvenzverwalter kein sich gegen den Staat als Träger der Gerichtsbarkeit richtendes Klagerecht zusteht. Daraus folgt, dass der ausländische Insolvenzverwalter mit Parteien aus der Schweiz wohl Verträge abschliessen kann, welche dem ausländischen Insolvenzverwalter aber «maximal» eine Naturalobligation einräumen. M.a.W. ist es der jeweiligen Gegenpartei überlassen, ob sie die Naturalobligation des ausländischen Insolvenzverwalters nun erfüllen will oder nicht. In der Schweiz kann der ausländische Insolvenzverwalter die Forderung nicht einklagen.
Das gesetzgeberische Konzept stellt dem ausländischen Insolvenzverwalter mit den Art. 166 ff. IPRG ein Rechtshilfeverfahren zur Verfügung, welches der Insolvenzverwalter nutzen kann, wenn Forderungen gegen Schuldner in der Schweiz durchgesetzt werden sollen. Beruht die fragliche Forderung aber auf einem durch den ausländischen Insolvenzverwalter abgeschlossenen Vertrag, so wird ihm dieses Verfahren kaum nützen: Die Konsequenz der in Art. 166 IPRG normierten Rechtshilfe besteht darin, dass in der Schweiz ein «Mini»-Konkurs durchgeführt wird. In eine solche «Mini»-Konkursmasse können jedoch nur Forderungen des Gemeinschuldners fallen. Forderungen, deren Gläubiger aber nicht der Gemeinschuldner, sondern der ausländische Insolvenzverwalter ist, fallen nicht in die Masse, da es sich hierbei nicht um einen Vermögenswert des Gemeinschuldners handelt.
Die Ursache des umschriebenen Problems scheint in einem Auseinanderfallen der Handlungs- und der Prozessfähigkeit bzw. Aktivlegitimation zu liegen:
Ein ausländischer Insolvenzverwalter kann auf dem Gebiet «seines» Staates – und gestützt auf allfällige supranationale Richtlinien oder Übereinkommen gar darüber hinaus – die ihm durch das Gesetz eingeräumten Befugnisse ausüben. Umfasst diese Befugnis nach dem dortigen Recht auch die Befugnis, Verträge abzuschliessen, so kann er Verträge im Zusammenhang mit der Verwaltung der Insolvenzmasse oder mit der Verwertung von Aktiven abschliessen. An dieser Stelle ist in Erinnerung zu rufen, dass sich sowohl die Handlungsfähigkeit als auch gesellschaftsrechtliche Fragen (Rechts- und Handlungsfähigkeit, Vertretungsbefugnis) gemäss IPRG nach dem Recht am ausländischen Sitz/Wohnsitz richten. Der Insolvenzverwalter kann auch Verträge abschliessen, welche die Rückführung von Forderungen von Schuldnern des Gemeinschuldners oder die Bereinigung von Anfechtungsansprüchen regeln. Die einzigen Gültigkeitsvoraussetzungen solcher Verträge sind prima vista die Handlungsfähigkeit der Parteien, ein Konsens und die rechtliche Zulässigkeit (d.h. der Vertrag darf keinen rechts- oder sittenwidrigen Inhalt aufweisen) und allenfalls die Einhaltung gewisser Formvorschriften.
Die jeweilige andere Vertragspartei kann ihre Verpflichtungen aus solchen Verträgen auch ohne Weiteres erfüllen.
Demgegenüber kann ein ausländischer Insolvenzverwalter auf dem Gebiet der Schweiz Forderungen aus solchen Verträgen nicht einklagen, da ihm die Aktivlegitimation abgeht. Das Problem liegt somit bei der fehlenden Aktivlegitimation, die ihm auf dem Gebiet der Schweiz im Hinblick auf den Zweck der Regelungen von Art. 166 IPRG abgesprochen wird.
Im Bereich des internationalen Insolvenzrechts wird zwischen zwei Prinzipien unterschieden:
Mit dem Begriff der Universalität wird – verkürzt ausgedrückt – die Situation beschrieben, bei der es für ein und denselben Schuldner im Insolvenzfall international nur eine Insolvenzmasse, auch nur einen Insolvenzverwalter und nur ein einziges anwendbares Recht geben soll. Das Verfahren soll am Wohnsitz/Sitz des Gemeinschuldners eröffnet werden, soll grundsätzlich dem an diesem Ort geltenden Recht unterstehen und soll von dem an diesem Ort bestellten Insolvenzverwalter durchgeführt werden.5 Die am Insolvenzort geltende Rechtsordnung wäre demnach für alle materiellen und formellen Rechtsfragen massgebend.
Nach dem Konzept von Pluralität und Territorialität des Konkurses sollten die rechtlichen Wirkungen eines Konkursverfahrens demgegenüber jeweils strikt auf das Hoheitsgebiet des Staates begrenzt bleiben, in welchem der betreffende Konkurs tatsächlich stattfindet.6 Dementsprechend kommt den nationalen Konkursrechten und allenfalls darin definierten Gläubigerprivilegien zentrale Bedeutung zu.
Die nationalen Konkursrechte weisen verschiedene Unterschiede u.a. auch in Bezug auf Konkursprivilegien und Sicherungsrechte auf: Art. 219 des schweizerischen SchKG normiert eine Rangordnung von Gläubigern und privilegiert beispielsweise Forderungen von Arbeitnehmern, Personalvorsorgeeinrichtungen und gewissen Versicherungsträgern oder pfandgesicherte Forderungen. Solche Forderungen werden aus dem Erlös der Verwertung der Konkursmasse vorab befriedigt.
Richtet sich ein Konkursverfahren nicht nach dem SchKG, sondern nach einem ausländischen Recht, so gilt diese Rangordnung nicht, sondern es gilt die Rangordnung – sofern vorhanden – des ausländischen Rechts.
Würde das schweizerische internationale Insolvenzrecht dem Universalitätsprinzip folgen, so könnte dies mit einer Aushebelung der durch den schweizerischen Gesetzgeber vorgesehenen Privilegierung einhergehen. In der Schweiz ansässige Gläubiger eines ausländischen, insolventen Unternehmens könnten ihre Forderung nach Massgabe des dortigen Insolvenzrechts anmelden, doch würden sie nicht in den Genuss allfälliger Privilegien gelangen. Dies kann zu einer Benachteiligung der schweizerischen Gläubiger führen.
Die Regeln des IPRG sehen nun mit dem System, dass ein ausländisches Konkursdekret in der Schweiz anerkannt werden kann und hernach ein Sekundärverfahren durchzuführen ist, eine sich an das Territorialitätsprinzip anlehnende Lösung mit einer gewissen Durchbrechung des genannten Prinzips vor:
- Ein im Ausland ergangenes Insolvenzdekret zieht in der Schweiz grundsätzlich keine Wirkung nach sich. Das Universalitätsprinzip spielt somit nicht.
- Die Entscheidung kann in der Schweiz aber immerhin anerkannt werden. Im Rahmen des Sekundärverfahrens werden gewisse Gläubiger dann nach Massgabe des schweizerischen Rechts privilegiert behandelt (vgl. Art. 172 IPRG).
- Ein Überschuss kann nach Befriedigung der Gläubiger gemäss Art. 172 Abs. 1 dann – wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt sind – nach Art. 173 SchKG an die ausländische Konkursverwaltung abgeführt werden, sofern die Forderungen der Gläubiger mit Sitz in der Schweiz im ausländischen Konkurs angemessen berücksichtigt worden sind.
Sinn und Zweck der Bestimmungen von Art. 166 ff. IPRG ist somit ein Schutz inländischer Gläubiger. Diese werden gegenüber ausländischen Gläubigern in Bezug auf sich in der Schweiz befindende Vermögenswerte privilegiert, was an sich der Grundidee der Gleichstellung von Gläubigern mit in- und ausländischem Wohnsitz widerspricht.7
Der oben beschriebene Schutzmechanismus kann nur spielen, wenn es dem ausländischen Insolvenzverwalter verwehrt bleibt, Vermögenswerte des Gemeinschuldners, die in der Schweiz belegen sind, zur ausländischen Masse zu ziehen und dort nach Massgabe des lokalen Insolvenzrechts und nach einer dort massgebenden Rangordnung unter den Gläubigern zu verteilen.
Spricht man dem ausländischen Konkursverwalter die Befugnis ab, in der Schweiz eine Klage oder eine Betreibung anzuheben, behandelt man den ausländischen Konkursverwalter somit quasi als inexistent, so spielt der umschriebene Schutzmechanismus: Der ausländische Konkursverwalter kann auf dem Gebiet der Schweiz keine Bemühungen an den Tag legen, um Vermögenswerte ins Ausland abfliessen zu lassen bzw. Forderungen gegen Schuldner des Gemeinschuldners in der Schweiz durchzusetzen.
Nicht zuletzt im Lichte des oben umschriebenen Zwecks der Art. 166 ff. IPRG hat sich das Bundesgericht verschiedentlich dahingehend geäussert, dass einem ausländischen Insolvenzverwalter die Aktivlegitimation und die Legitimation zur Anhebung einer Betreibung abgeht.
In BGE 129 III 683 hatte das Bundesgericht u.a. ausgeführt, eine ausländische Konkursmasse sei nur zum Antrag auf Anerkennung des ausländischen Konkursdekretes und Anordnung sichernder Massnahmen aktivlegitimiert (Art. 166 und 168 SchKG). Andere Rechtshandlungen könne sie nicht vornehmen.
In BGE 130 III 620 hat das Bundesgericht festgestellt, dass eine ausländische Konkursverwaltung die im Rahmen von Art. 166 ff. IPRG zu leistende Rechtshilfe in Anspruch zu nehmen hat, wenn es um die Admassierung von Vermögenswerten gehe, weshalb für eine direkte Admassierung von in der Schweiz gelegenen Vermögenswerten (beispielsweise mittels Anhebung einer Klage) kein Raum bleibe.
Schliesslich hat sich das Bundesgericht in Pra 2008 Nr. 144 eingehend mit der Aktivlegitimation einer ausländischen Konkursmasse auseinandergesetzt. Das Bundesgericht hatte dabei zu bestimmen, ob eine (ausländische) konkursite Gesellschaft legitimiert sei, in der Schweiz eine rein materiellrechtliche Klage gegen den angeblichen Schuldner der Konkursitin anzuheben, ohne vorgängig das ausländische Konkursdekret in der Schweiz anerkennen zu lassen. Konkret ging es um eine Klage, die in der Folge eines italienischen Konkursverfahrens eingereicht wurde, um den verwertbaren Gütern der konkursiten Gesellschaft weitere Aktiven zufliessen zu lassen. Das Bundesgericht führte aus, dass die Bejahung der Prozessführungsbefugnis der Konkursverwaltung von der vorgängigen Anerkennung des ausländischen Konkursdekrets in der Schweiz i.S.v. Art. 166 IPRG abhänge, da dessen Gültigkeit die Intervention der ausländischen Konkursverwaltung und die diesem Organ übertragenen Befugnisse bedinge. Ein solcher Antrag müsse nicht nur gestellt werden, wenn die Verwaltung des ausländischen Konkurses beabsichtigte, Forderungen des Konkursiten gegenüber einem in der Schweiz wohnhaften Schuldner in Betreibung zu setzen, sondern auch, wenn sie klagt, um die materiellrechtliche Berechtigung einer bestrittenen Forderung anerkennen zu lassen. Wenn man der Verwaltung der ausländischen Konkursmasse die gleichen Befugnisse gewähren würde, wie sie der Verwaltung einer schweizerischen Konkursmasse zustehen, und insbesondere die Befugnis, gegen den angeblichen schweizerischen Schuldner direkt Klage einzuleiten, hätte die (allfällige) Gutheissung der Forderungsklage zur Folge, dass den gemäss Art. 172 IPRG zum Kollokationsplan des Mini-Konkurses zugelassenen Gläubigern Aktiven entzogen würden, was eindeutig im Widerspruch mit dem Sinn und Zweck des von den Art. 166 ff. IPRG eingeführten Systems stünde.
Auch in der Lehre sind verschiedene Stimmen zu finden, welche einer ausländischen Insolvenzmasse die Aktivlegitimation absprechen und die ausländische Insolvenzmasse lediglich für befugt halten, die Anerkennung des ausländischen Konkursdekrets zu verlangen.8
Spricht man einem ausländischen Insolvenzverwalter die Befugnis ab, in der Schweiz eine Klage oder eine Betreibung per se anzuheben, um damit zu erreichen, dass eine Benachteiligung von im Inland wohnhaften, privilegierten Gläubigern unterbunden wird, so scheint dies über das Ziel hinauszuschiessen und stossende Resultate zu ergeben.
Wenn dem ausländischen Insolvenzverwalter die Befugnis, in der Schweiz eine Klage oder eine Betreibung anzuheben, vollständig abgesprochen wird, führt dies insbesondere dann zu einem stossenden Resultat, wenn die Angelegenheit kaum einen Bezug zur Schweiz hat.
Beispiel: Eine deutsche Gesellschaft mit Sitz in Deutschland schliesst mit einer italienischen Gesellschaft einen Vertrag ab. Dieser Vertrag wird dem schweizerischen materiellen Recht unterstellt. Als Gerichtsstand wird ein Gericht in der Schweiz vereinbart. Gerät die deutsche Gesellschaft in Insolvenz und erfüllt die italienische Gesellschaft (mithin die Schuldnerin der Gemeinschuldnerin) den Vertrag nicht, so ist fraglich, ob der deutsche Insolvenzverwalter die italienische Gesellschaft belangen kann.
Ist die Gerichtsstandsvereinbarung gültig und kann das vereinbarte Gericht seine Zuständigkeit nicht ablehnen,9 so ist fraglich, ob die italienische Gesellschaft überhaupt belangt werden kann: Einer Klage in Deutschland oder Italien könnte die italienische Gesellschaft die Gerichtsstandsklausel entgegenhalten. Eine Klage in der Schweiz kann mangels Aktivlegitimation nicht angehoben werden. Eine Anerkennung des ausländischen Konkursdekrets in der Schweiz entfällt, da gar keine Vermögenswerte des Gemeinschuldners in der Schweiz betroffen sind. Nach Art. 167 Abs. 3 IPRG gelten Forderungen des Gemeinschuldners als dort belegen, wo der Schuldner seinen Wohnsitz hat. In obigem Beispiel wäre dies in Italien. Mithin wäre gar kein Gericht in der Schweiz für die Anerkennung zuständig (vgl. Art. 167 Abs. 1 IPRG).10
Wäre statt eines staatlichen Gerichts ein Schiedsgericht in der Schweiz und ein anderes materielles auf den Vertrag anwendbares Recht vereinbart worden, würde sich die Sachlage möglicherweise anders präsentieren. Festzustellen ist, dass beispielsweise Art. 177 Abs. 2 IPRG festhält, dass es einer staatlichen Organisation oder einem staatlich beherrschten Unternehmen versagt ist, sich in einem Schiedsverfahren auf ihr eigenes Recht zu berufen und die Parteifähigkeit infrage zu stellen. Die Bestimmung deutet eher darauf hin, dass eine mangelnde Aktivlegitimation eines durch den Staat eingesetzten Insolvenzverwalters gerade nicht geltend gemacht werden darf. Soweit das 12. Kapitel des IPRG keine Anwendung findet und in der Sache ein ausländisches Recht zur Anwendung gelangt, dürfte die Parteifähigkeit eines ausländischen Insolvenzverwalters kaum ein Prozessthema sein. M.a.W. könnte der ausländische Insolvenzverwalter in der Schweiz eine Schiedsklage führen.
Eine weitere problematische Konstellation mag folgendes Beispiel illustrieren:
Eine deutsche Gesellschaft gerät in Insolvenz. Es stellt sich heraus, dass Anfechtungsansprüche gegen eine Person mit Wohnsitz in Deutschland bestehen. Der deutsche Insolvenzverwalter strengt eine Klage gegen die fragliche Person in Deutschland an (ein anderer Gerichtsstand besteht nicht) und obsiegt. Nach Eintritt der Rechtskraft verlegt die beklagte Person ihren Wohnsitz in die Schweiz und weigert sich, die Zahlung, zu welcher sie rechtskräftig verurteilt wurde, zu leisten.
Der ausländische Insolvenzverwalter müsste den Beklagten dann in der Schweiz belangen. Offen bleibt aber, wie er dies tun soll. Er kann weder eine Betreibung noch eine Klage gegen den Beklagten in der Schweiz anheben. Immerhin könnte der ausländische Insolvenzverwalter versuchen, die Anerkennung des ausländischen Konkursdekrets in der Schweiz zu beantragen, was zur Eröffnung eines Sekundärverfahrens führen würde. Da der Beklagte in der Schweiz wohnt, könnte darauf abgestellt werden, dass die Forderung in der Schweiz belegen ist (vgl. Art. 167 Abs. 3 IPRG). Es bliebe dann aber unklar, ob die fragliche Forderung in die «Mini»-Konkursmasse fallen würde, wurde doch bereits rechtskräftig festgestellt, dass an den ausländischen Insolvenzverwalter zu leisten ist und eine Schuld gegenüber dem ausländischen Insolvenzverwalter und nicht gegenüber der schweizerischen «Mini»-Konkursmasse besteht.
Eine ähnliche Konstellation könnte auch eintreten, wenn die zu belangende Person vor rechtskräftiger Erledigung der Streitsache einen Vergleich mit dem Insolvenzverwalter schliesst und dann ihren Wohnsitz in die Schweiz verlegt und die geschuldete Leistung verweigert.
Sinn und Zweck eines Insolvenzverfahrens ist es letztlich, das Vermögen des Gemeinschuldners zu versilbern, um aus dem Erlös die Gläubiger zu befriedigen. Wird über ein grösseres, internationales Industrieunternehmen die Insolvenz eröffnet und werden dessen Aktiven auch an Unternehmen mit Sitz in der Schweiz verkauft, so könnte der ausländische Insolvenzverwalter das Unternehmen in der Schweiz gar nicht belangen, wenn das schweizerische Unternehmen die Leistung verweigert. Wiederum würde sich der ausländische Insolvenzverwalter mit der Situation konfrontiert sehen, dass er weder eine Klage noch eine Betreibung in der Schweiz anheben kann. Eine Anerkennung des ausländischen Insolvenzdekrets wäre allenfalls denkbar, wobei sich dann aber wiederum die – berechtigte – Frage stellen würde, ob die Forderung, die dem ausländischen Insolvenzverwalter zusteht, in die schweizerische «Mini»-Konkursmasse fallen würde. Letztlich beschlägt der Vorgang Vermögen des Gemeinschuldners, das im Ausland gelegen war und dann erst im Zuge der Verwertung in die Schweiz gelangte. Fällt die Forderung nicht in die «Mini»-Konkursmasse, so könnte das schweizerische Unternehmen gar nicht belangt werden. Es wäre ferner auch nicht ersichtlich, welchen Sinn die Durchführung eines «Mini»-Konkursverfahrens hätte, wenn der einzige Bezug zur Schweiz darin besteht, dass die Käuferin in der Schweiz domiziliert ist.
Sofern die Rechtsprechung des Bundesgerichts tatsächlich so zu interpretieren ist, dass ein ausländischer Insolvenzverwalter auf dem Gebiet der Schweiz keinerlei Handlungsspielraum hat, so mag dem Zweck des Schutzes inländischer Gläubiger wohl Genüge getan sein, doch ergeben sich nicht gewünschte und nicht zu rechtfertigende «Nebeneffekte»:
Schuldner des Gemeinschuldners können sich ihren Verbindlichkeiten entziehen, indem sie ihren Wohnsitz oder ihren Sitz in die Schweiz verlegen. Der «schlaue» ausländische Schuldner des ausländischen Gemeinschuldners kann mittels Gerichtsstandsvereinbarung die Streitsache der Zuständigkeit eines schweizerischen Gerichts zuweisen und somit die gegen ihn bestehende Forderung in eine Naturalobligation umwandeln. Schweizerische Unternehmen können von ausländischen, insolventen Gesellschaften Produkte, Maschinen usw. zu – im Rahmen einer Zwangsverwertung – meistens billigen Preisen erwerben und sich dann erst noch ihren Verbindlichkeiten entziehen.
Es drängt sich daher eine differenziertere Beurteilung der Aktivlegitimation des ausländischen Konkursverwalters auf. Die Aktivlegitimation des ausländischen Insolvenzverwalters sollte im Einzelfall beurteilt werden. Liegen im konkreten Fall Konstellationen wie oben dargestellt vor oder sind keine konkreten Hinweise auf eine Benachteiligung von in der Schweiz wohnhaften Gläubigern des Gemeinschuldners vorhanden, so ist die Aktivlegitimation zu bejahen.
Längerfristig wäre es jedoch wünschenswert, wenn die Regelungen von Art. 166 ff. IPRG alsbald einer Revision unterzogen werden. Das heutige Modell, welches eine Privilegierung von in der Schweiz wohnhaften Personen oder Institutionen vorsieht, scheint auch aufgrund anderer Entwicklungen (beispielsweise Personenfreizügigkeit) überholt.
Ausserdem scheint das heutige Modell im Hinblick auf den angestrebten Schutzzweck auch wenig tauglich: Dem ausländischen Insolvenzverwalter mag man wohl die Aktivlegitimation absprechen können, doch kann man ihm wohl kaum die Fähigkeit, die fragliche Forderung gegen den Schuldner des Gemeinschuldners – gegen Entgelt (Verkauf einer Forderung im Rahmen der Verwertung) oder zum Inkasso – einer privaten Gesellschaft abzutreten, absprechen. Die Aktivlegitimation dieser Gesellschaft wird man kaum verneinen können.
- Vgl. Lukas Bopp, Sanierung im Internationalen Insolvenzrecht der Schweiz, 2004.
- Vgl. Gauch/Schluep/Schmid/Rey, OR Allgemeiner Teil, Band I und II, S. 13, N 29.
- Vgl. Gauch/Schluep/Schmid/Rey, OR Allgemeiner Teil, Band I und II, S. 15, N 48 ff.
- Vgl. Gauch/Schluep/Schmid/Rey, OR Allgemeiner Teil, Band I und II, S. 19, N 81 ff.
- Vgl. Volken, Zürcher Kommentar zum IPRG, 2. Auflage, S. 1854.
- Vgl. Volken, Zürcher Kommentar zum IPRG, 2. Auflage, S. 1854.
- Vgl. Mayriam A. Gehri/Gregor H. Kostkiewicz, Anerkennung ausländischer Insolvenzentscheide in der Schweiz – ein neuer Réduit National? In: SZIER 2009, S. 204.
- Vgl. beispielsweise Franco Lorandi, Handlungsspielraum ausländischer Insolvenzmassen in der Schweiz, AJP 2008, S. 560 ff., Karl Wüthrich, Kann eine ausländische Konkursmasse in der Schweiz eine Klage gegen einen ihrer Schuldner mit Sitz oder Wohnsitz in der Schweiz einleiten?, Jusletter 25. Oktober 2004.
- Vgl. Art. 5 Abs. 3 lit. b IPRG, Art. 17 LugÜ kennt das Erfordernis einer Binnenbeziehung gar nicht, d.h. die Zuständigkeit kann vom Gericht kaum abgelehnt werden; vgl. Spuehler/Vock, Gerichtsstandsgesetz (GestG), S. 38.
- Vgl. zum Ganzen Paul Oberhammer, Urteilsbesprechung zu BGer. 5A_222/2008 vom 23. September 2008, ZZZ 2009/10, S. 258 ff. (in Druck).