Treuhänder werden aufgrund ihres Fachwissens und ihrer beruflichen Tätigkeit häufig für die Übernahme eines VR-Mandats angefragt. Als Verwaltungsrat unterstehen sie grundsätzlich denselben Rechten und Pflichten wie jedes andere VR-Mitglied auch. Gewisse Themen können sich für sie in faktischer und rechtlicher Hinsicht allerdings akzentuieren.
Treuhänder sind – insbesondere im KMU-Umfeld – oft die erste externe Ansprechperson von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung für alle Art von Fragen rund um das Unternehmen und die Familie. Sie werden um Rat gefragt in unternehmerischen, organisatorischen, finanziellen, buchhalterischen, rechtlichen, steuerlichen und vielen Fragen mehr. Nicht selten werden sie schliesslich aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit, ihres Fachwissens und ihrer bereits vertieften Kenntnis des Unternehmens auch für VR-Mandate angefragt. Als Verwaltungsrat ist der Treuhänder in erster Linie ordentliches VR-Mitglied mit denselben Funktionen, Rechten und Pflichten wie jedes andere Mitglied des Gremiums auch. Je nach Konstellation ergeben sich für Treuhänder unter Umständen jedoch einige besondere Aspekte. Der vorliegende Aufsatz soll dem Treuhänder Orientierungshilfe sein für seine eigene VR-Tätigkeit oder für die Beratung von Verwaltungsräten. Er gibt einen Überblick über Corporate-Governance-Anliegen, zeigt Stellung, Rechte und Pflichten des schweizerischen Verwaltungsrats auf und beleuchtet schliesslich mögliche Akzente für Treuhänder im Zusammenhang mit Verwaltungsratsthemen.
Die Corporate-Governance-Debatte hat ihren Anfang in den 1930er-Jahren, als die Interessen der Aktionäre («principals») und der Unternehmensleitung («agents») immer stärker auseinanderzudriften begannen. Diese Interessen- und Informationsasymmetrie führte zur sogenannten Principal-Agent-Theorie, die mittels verschiedener Kontroll- und Organisationsmassnahmen das Ungleichgewicht ausgleichen oder zumindest abschwächen will. Der eigentliche Begriff «Corporate Governance» erschien erstmals in den 1970er-Jahren.1 Der für das heutige Verständnis der Corporate Governance wegweisende «Cadbury Report»2 wurde schliesslich 1992 publiziert.
Seither ist der Begriff zu einem Schlagwort mit vielfältigen und immer neuen Definitionsversuchen geworden. Generell kann Corporate Governance als System bezeichnet werden, mit dem Unternehmen geführt und beaufsichtigt werden.3 Die aktuelle Version des 2002 erstmals publizierten «Swiss Code»4 definiert Corporate Governance als «die Gesamtheit der auf das nachhaltige Unternehmensinteresse ausgerichteten Grundsätze, die unter Wahrung von Entscheidungsfähigkeit und Effizienz auf der obersten Unternehmensebene Transparenz und ein ausgewogenes Verhältnis von Führung und Kontrolle anstreben».
Merkmale einer guten Corporate Governance sind etwa ausgewogene Führungsstrukturen mit funktionierenden Überwachungs- und Kontrollmechanismen («checks and balances»), eine bestmögliche Zusammensetzung der Führungsgremien, die zielgerichtete und effiziente Zusammenarbeit der Organe, eine sorgfältige und verbindliche Aufgabenerfüllung, ein angemessener Umgang mit Risiken und Interessenskonflikten, adäquate Vergütungen und eine transparente Kommunikation gegen innen und aussen. Eine gute Corporate Governance definiert nicht nur Prozesse, sondern integriert auch Kultur, Ethik5 und Verhaltensweisen. Der auf dem Cadbury Report basierende «UK Corporate Governance Code» umfasst zum Beispiel folgende fünf Themenbereiche: Führung, Wirksamkeit, Verantwortlichkeit, Vergütung und die Beziehung zu den Aktionären.
Corporate-Governance-Bestimmungen können sowohl verbindlich (hard law) als auch unverbindlich (soft law) sein. Sie finden sich in Erlassen6, in verbindlichen7 oder unverbindlichen8 Kodizes9 sowie in unternehmensinternen Regelungen.
Verantwortlich für die Corporate Governance ist der Verwaltungsrat.10 Er sorgt dafür, dass die Aktionäre ihre Rechte ausüben können,11 nimmt unter Berücksichtigung seiner unentziehbaren und unübertragbaren Aufgaben gemäss Artikel 716a des Obligationenrechts die Oberleitung und Oberaufsicht des Unternehmens wahr12 und sorgt für eine zweck- und rechtmässige Organisation des Unternehmens und für die Delegation der Aufgaben. In KMU fokussiert die Corporate Governance in der Regel auf die Oberleitung der Gesellschaft und das Erteilen der nötigen Weisungen, die Festlegung der Organisation (insbesondere Zuteilung von Aufgaben und Kompetenzen) und die Finanzplanung und Finanzkontrolle.13 In Bezug auf seine Aufgaben hat jeder Verwaltungsrat eine strategische, eine normative, eine finanzwirtschaftliche, eine führungsmässige, eine personelle und eine kommunikative Funktion.14 Die strategische Funktion beinhaltet Strategie, Struktur und Kultur des Unternehmens, die normative stellt sicher, dass Gesetze, Reglemente und Standards eingehalten werden; die finanzwirtschaftliche verlangt, dass sich der Verwaltungsrat systematisch mit der Ausgestaltung des Rechnungswesens, der Finanzkontrolle und der Finanz- und Liquiditätsplanung auseinandersetzt; die führungsmässige umfasst ein systematisches Risiko- und Krisenmanagement; die personelle befasst sich mit Auswahl, Zusammensetzung, Weiterbildung, Honorierung und Nachfolge des Verwaltungsrats und die kommunikative schliesslich ist besorgt für eine transparente Informations- und Kommunikationspolitik.
Peter Böckli hat speziell für KMU-Verwaltungsräte zwölf Leitgrundsätze für eine Best Practice entwickelt:15 Er unterteilt die Grundsätze einerseits in solche betreffend Beziehung des Verwaltungsrats im Verhältnis zur Familie (1 – 6) und andererseits in solche betreffend Beziehung des Verwaltungsrats zum Unternehmen (7 – 12). Nach diesen Grundsätzen trennt der KMU-Verwaltungsrat Familien- und Unternehmensangelegenheiten (1). Er spielt nicht die Rolle des Familienrats (2), betrachtet Familienaktionäre als Investoren und unterhält dauernd eine gute Kommunikation zu ihnen (3). Der KMU-Verwaltungsrat schenkt der allmählichen Entstehung aktiver und passiver Aktionärsgruppen Beachtung (4) und kümmert sich um die Stellung von Minderheitsaktionären (5). Gegenüber der Familie wirkt er als Anreger und Mahner (6). Er ist Garant für die rechtmässige Führung des Unternehmens und hat eine eigenständige Oberleitungs- und Aufsichtsaufgabe (7), sorgt für eine disziplinierte Führung und Überwachung der Finanzen (8), sorgt für eine angemessene Risikobeurteilung und interne Kontrolle (9) und überträgt die vertiefte Analyse von Problemen oder Vorbereitung von Beschlüssen dem VR-Präsidenten oder einzelnen Mitgliedern (10). Er thematisiert Interessenskonflikte und erlässt Regelungen zum Umgang mit ihnen (11). Last but not least wacht der KMU-Verwaltungsrat über die Governance und die Nachfolge im Verwaltungsrat und in der Geschäftsleitung (12).
Das Grundverhältnis zwischen Verwaltungsrat und Aktiengesellschaft ist ein eigenständig organschaftliches, das weitgehend durch die zwingenden Normen des Gesellschaftsrechts bestimmt wird. Daneben können weitere – namentlich vertragliche – Beziehungen bestehen. Als Organ ist das VR-Mitglied der Gesellschaft und Dritten gegenüber grundsätzlich nicht weisungsgebunden. Seine Rechte und Pflichten richten sich in erster Linie nach den Normen des Gesellschaftsrechts, allenfalls spezialgesetzlichen Regelungen sowie den gesellschaftsinternen Bestimmungen von Statuten und Reglementen. Insbesondere die Beendigung des VR-Mandats folgt nicht vertraglichen, sondern gesellschaftsrechtlichen Regeln. Die Auflösung von mit dem Mandat zusammenhängenden Verträgen folgt den Regelungen in den jeweiligen Verträgen.
Das VR-Mandat beginnt mit der Wahl des VR-Mitglieds durch die Generalversammlung und mit dessen bedingungsloser (auch formlos möglichen) Wahlannahmeerklärung. Die zwingend erforderliche Eintragung ins Handelsregister hat nur deklaratorische Bedeutung. Im internen Verhältnis und gegenüber Dritten, denen die Wahl bekannt gegeben wurde, ist die gewählte Person nach ihrer Wahlannahmeerklärung ohne Weiteres als Verwaltungsrat zu behandeln – mit allen Rechten und Pflichten.
Zur Beendigung des VR-Mandats können folgende Gründe führen: Abberufung durch die Generalversammlung, Rücktritt des VR-Mitglieds, Wegfall der Wählbarkeitsvoraussetzungen, Tod oder Urteilsunfähigkeit des VR-Mitglieds, Auflösung der Gesellschaft. Die Nichtwiederwahl nach Ablauf der Amtsdauer hingegen führt zwar in der Regel, jedoch nicht zwingend zur Beendigung des VR-Mandats (zum Beispiel dann nicht, wenn fälschlicherweise gar keine Generalversammlung stattfindet).
Nach Konzeption des schweizerischen Aktienrechts ist der Verwaltungsrat nicht nur Aufsichts- und Strategieorgan, sondern übt auch die operative Geschäftsleitung aus.16 In diesem sogenannt monistischen System17 führt das VR-Gremium die Geschäfte der Gesellschaft und beschliesst in allen Angelegenheiten, die nicht nach Gesetz oder Statuten der Generalversammlung vorbehalten sind.18 Der Verwaltungsrat kann die Geschäftsführung bis auf die unübertragbaren und unentziehbaren Aufgaben nach Artikel 716a des Obligationenrechts freilich an einzelne VR-Mitglieder (Delegierte) oder an Dritte (Direktoren) übertragen. Die Delegation der Geschäftsführung ist unter dem Aspekt der «checks and balances» ein zentrales Anliegen der Corporate Governance. Damit sie rechtsgültig erfolgen kann, müssen die Statuten den Verwaltungsrat explizit dazu ermächtigen, und dieser muss ein Organisationsreglement erstellen. Darin werden im Minimum die Geschäftsführung geordnet, die erforderlichen Stellen bestimmt, deren Aufgaben umschrieben und die Berichterstattung an den Verwaltungsrat geregelt.19
Ausser bei der Einpersonen-AG sind heute selbst in kleinen Unternehmen Verwaltungsrat und Geschäftsleitung personell oft nicht vollständig deckungsgleich. Häufig finden sich im VR-Gremium Mitglieder der Geschäftsleitung, Vertreter von Aktionären und externe, sogenannte unabhängige Verwaltungsräte.
Das Kennen und sorgfältige Wahrnehmen der Aufgaben, Rechte und Pflichten ist für einen Verwaltungsrat aus zwei Überlegungen zentral: Einerseits ist eine effiziente und erfolgreiche Unternehmensführung nur durch eine engagierte Wahrnehmung der Führungsaufgaben möglich, andererseits minimiert eine sorgfältige Mandatsführung das Haftungsrisiko. Denn: Eine unsorgfältige Ausübung des VR-Mandats kann zu einer Haftung des Verwaltungsrats führen.20 Trotzdem sollte der Verwaltungsrat sein Handeln nicht in erster Linie an der Haftungsfrage, sondern an der sorgfältigen Mandatsführung ausrichten.
Das Gesetz enthält zu Recht keinen umfassenden Katalog der Aufgaben und Pflichten eines Verwaltungsrats. Die Ansprüche des Wirtschaftslebens sind zu unterschiedlich und zu vielschichtig, als dass man ihnen mit einer Checkliste beikommen könnte. Trotzdem gibt der Gesetzgeber einen gewissen Rahmen dessen vor, was ein Verwaltungsrat tun muss. Zentral dabei sind – auch in Verantwortlichkeitsprozessen – vor allem die allgemeine Sorgfalts- und Treuepflicht21 sowie die unübertragbaren und unentziehbaren Aufgaben des Verwaltungsrats22. Zudem schafft das Gesetz eine Kompetenzvermutung zugunsten des obersten Führungsorgans, indem es festlegt, dass der Verwaltungsrat über alle Angelegenheiten Beschluss fassen kann, die nicht gesetzlich oder statutarisch der Generalversammlung zugeteilt sind.23
Die Mitglieder des Verwaltungsrats (und der Geschäftsleitung) sind verpflichtet, ihre Aufgaben mit aller Sorgfalt zu erfüllen, die Interessen der Gesellschaft in guten Treuen zu wahren und die Aktionäre unter gleichen Voraussetzungen gleich zu behandeln. Diese allgemeine Sorgfalts- und Treuepflicht setzt als zentrale gesetzliche Pflicht den allgemeinen Rahmen. Lehre und Rechtsprechung haben daraus – ergänzt durch gewisse Straftatbestände – weitere Pflichten abgeleitet wie zum Beispiel eine generelle Handlungs- und Mitwirkungspflicht, ein Konkurrenzierungsverbot, die Ausstandspflicht, die Geheimhaltungspflicht oder bei positiver Erfolgsprognose auch die Pflicht zur Sanierung der Gesellschaft.24
An die Sorgfalt, die ein Verwaltungsrat aufzuwenden hat, wird ein strenger, objektiver Massstab angelegt. Massgebend ist diejenige Sorgfalt, die von einem ordnungsgemäss handelnden Verwaltungsrat in einer vergleichbaren Situation erwartet werden darf. Die Sorgfaltsanforderung erstreckt sich von der Auswahl über die Vorbereitung bis hin zur Ausübung und schliesslich Aufgabe des VR-Mandats. Wer beispielsweise ein Mandat annimmt, ohne über die nötigen Kompetenzen oder die nötige Zeit zu verfügen, handelt pflichtwidrig. Die wohl grösste Sorgfalt schuldet der Verwaltungsrat den Finanzen. Er muss das Gesellschaftsvermögen soweit als möglich erhalten, die Mittelflüsse und die Liquidität überwachen, um eine ausgeglichene Anlagestrategie besorgt sein und Klumpenrisiken möglichst vermeiden und von Geschäften Abstand nehmen, deren Abschluss zulasten der Gesellschaft in einem Leistungsmissverhältnis stehen.25
Bei einer unterschiedlichen Interessenslage geht im Zweifelsfall das Unternehmensinteresse vor. Dieses lässt sich allerdings häufig nicht eindeutig definieren. Im Einzelfall können in jedem Verwaltungsrat durchaus in guten Treuen unterschiedliche Auffassungen darüber bestehen, was genau im Interesse des Unternehmens liegt. Die Grenze muss sicher dort gezogen werden, wo Entscheide des Verwaltungsrats und im fiduziarischen Verhältnis Weisungen des Auftraggebers mit den Interessen der Gesellschaft klar nicht vereinbar sind. Vorsicht geboten ist dabei insbesondere bei Geschäften, in denen Leistung und Gegenleistung zulasten der Gesellschaft in einem Missverhältnis stehen, in denen der Gesellschaft Kapital entzogen wird oder bei Insichgeschäften. Für Letztere sieht das Obligationenrecht vor, dass ein Vertragsabschluss mit einem Wert von über 1000 Franken schriftlich zu erfolgen hat, wenn die Gesellschaft durch diejenige Person vertreten wird, mit der sie den Vertrag abschliesst.26
Die Aufgaben und Pflichten des Verwaltungsrats definieren sich nach der allgemeinen Sorgfalts- und Treuepflicht sowie zahlreichen gesonderten Gesetzes-, Statuten- oder Reglementsbestimmungen. Sieben Aufgaben dürfen dem Verwaltungsrat weder entzogen werden, noch darf er sie delegieren.27 In diesen zwingenden Aufgaben eine abschliessende Liste zu sehen und sich auf die Erfüllung dieser Aufgaben zu beschränken, wäre jedoch falsch. Eine derartige Mandatsführung wäre nicht nur unsorgfältig, sondern übersähe auch weitere (spezial)gesetzlich der Verantwortung des Verwaltungsrats zugeordnete Aufgaben.28
Die aktuell laufende Revision des Aktienrechts29 will die zwingenden Aufgaben insbesondere im Bereich des Kapitalschutzes weiter ausbauen. Der Bundesrat hat die entsprechende Vorlage Ende 2016 ans Parlament überwiesen, wo sie voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte 2017 erstmals behandelt wird.
Das Gesetz nennt zu Recht keine erforderlichen Kompetenzen für die Ausübung eines VR-Mandats.30 Die Aufzählung der sieben Kernaufgaben des Verwaltungsrats widerspiegelt jedoch, welche Fähigkeiten im Minimum erwartet werden.
Die Oberleitung der Gesellschaft ist die zentrale Aufgabe des Verwaltungsrats. Sie beinhaltet im Wesentlichen die Entwicklung der Unternehmensstrategie, die Festlegung der Ziele und Prioritäten inklusive des Masses der Gewinnstrebigkeit, das strategische Risikomanagement, die Zurverfügungstellung der erforderlichen Ressourcen sowie die Auftragserteilung an die Geschäftsleitung und die Überwachung der Umsetzung.
Der Verwaltungsrat ist verantwortlich für die Festlegung der Grundzüge der Unternehmensorganisation. Er entscheidet aufgrund seiner Strategie über Struktur, Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Abläufe im Unternehmen. Hilfreiche Instrumente sind dabei das Organisationsreglement und Organigramme.
Das Rechnungswesen ist ein wichtiges Planungs-, Führungs- und Informationsinstrument sowie Voraussetzung für Finanzkontrolle, Finanzplanung und Jahresrechnung. Aufgabe des Verwaltungsrats ist es, die Ausgestaltung in ihren Grundzügen festzulegen und sich regelmässig über die Finanzlage zu informieren.
Ernennung und Abberufung der obersten, direkt dem Verwaltungsrat unterstellten GL-Mitglieder und die Zuweisung der Zeichnungsberechtigung (Vertretungsbefugnis) erfolgt durch VR-Beschluss. Für die nächstuntere, der Geschäftsleitung unterstellte Ebene kann die Aufgabe delegiert werden.
Der Verwaltungsrat muss die Geschäftsleitung sorgfältig aussuchen, anweisen und überwachen,31 namentlich auch im Hinblick auf die Befolgung von Gesetzen, Statuten, Reglementen und Weisungen. Die Oberaufsicht beinhaltet die Sicherstellung einer angemessenen Kontrolle und die Organisation der Berichterstattung an den Verwaltungsrat.
Der Geschäftsbericht besteht aus dem Jahresbericht, der Jahresrechnung und gegebenenfalls der Konzernrechnung. Zur Vorbereitung der Generalversammlung gehören neben der Erstellung des Geschäftsberichts die frist- und formgerechte Einladung, das Erstellen der Traktandenliste, die Formulierung der Anträge des Verwaltungsrats und die Sicherstellung des reibungslosen Ablaufs der Generalversammlung.
Sodann muss der Verwaltungsrat die Ausführung der GV-Beschlüsse durch eine angemessene Organisation und entsprechende Weisungen sicherstellen sowie die Umsetzung kontrollieren.
Voraussetzung für das rechtzeitige Erkennen einer Überschuldungssituation ist ein gut ausgebautes Rechnungswesen inklusive Frühwarnsystem. Eine Überschuldung liegt vor, wenn die Forderungen der Gesellschaftsgläubiger weder zu Fortführungs- noch zu Veräusserungswerten gedeckt sind, d.h. wenn die Aktiven sowohl Aktienkapital und gesetzliche Reserven als auch einen Teil des Fremdkapitals nicht mehr decken. Der Verwaltungsrat muss, vorbehaltlich genügender Rangrücktritte oder sofortiger geeigneter Sanierungsmassnahmen, den Konkursrichter benachrichtigen. Bereits bei einem Kapitalverlust und bei begründeter Besorgnis auferlegt das Gesetz dem Verwaltungsrat gewisse Handlungspflichten.32
Es gibt zahlreiche weitere explizite oder implizite Aufgaben, Rechte und Pflichten des Verwaltungsrats, die zu einer sorgfältigen Führung des VR-Mandats gehören. Auf einige ausgewählte davon sei an dieser Stelle hingewiesen. Dabei lassen sich Aufgaben, Rechte und Pflichten nicht immer exakt abgrenzen, denn aus einem Recht lässt sich unter dem Gesichtspunkt einer sorgfältigen Mandatsführung regelmässig auch die Pflicht bzw. die Aufgabe ableiten, das Recht, wenn erforderlich, auszuüben.
Sofern die Geschäftsführung ganz oder teilweise an einzelne Mitglieder oder an Dritte delegiert wird, muss der Verwaltungsrat von Gesetzes wegen ein Organisationsreglement erlassen.33 Das Organisationsreglement ist zudem ein Instrument der Corporate Governance und sorgt als Führungsinstrument für Effizienz, Transparenz, Verbindlichkeit und Klarheit. Darüber hinaus dient es der Minimierung von Haftungsrisiken des Verwaltungsrats. Es kann ergänzt werden durch ein Organigramm, ein Funktionendiagramm, einen Führungskalender, ein Anforderungsprofil oder weitere auf ihm basierende Reglemente. Häufig finden sich folgende Inhalte in einem Organisationsreglement:
- Organisationsstruktur sowie eine Aufzählung der Organe und der vom Reglement betroffenen Stellen
- Konstituierung und Funktionsweise der Organe und Stellen
- Sitzungen und Protokollführung
- Präsenz- und Beschlussquoren
- Umschreibung und Abgrenzung der Aufgaben sowie Kompetenzen
- Zeichnungsberechtigungen
- Regelung über die Berichterstattung und Kommunikation
- Umgang mit Interessenskollisionen und Ausstandsregelungen
- Auskunfts- und Einsichtsrechte
- Geheimhaltungs- und Rückgabepflichten
- Konkurrenzverbote
- Entschädigungsgrundsätze
Jedes VR-Mitglied kann vom VR-Präsidenten die Einberufung einer VR-Sitzung verlangen.34 Das Traktandierungsbegehren hat einen Antrag sowie die Angabe von Gründen zu enthalten. Das Einberufungsrecht ermöglicht dem VR-Mitglied, seiner Verantwortung nachzukommen, und ist daher unentziehbar.35 Der VR-Präsident muss das Gremium über das Begehren informieren. Weigert er sich, dem Gesuch Folge zu leisten, kann der Richter angerufen werden. Die sorgfältige Führung des Mandats verlangt vom VR-Mitglied, dass es sich zu den Geschäften der Gesellschaft äussert und darüber abstimmt. Die Ausübung des Stimmrechts36 ist daher grundsätzlich auch eine Pflicht.
Jedes Mitglied des Verwaltungsrats kann Auskunft über alle Angelegenheiten der Gesellschaft verlangen.37 Dabei ist zu unterscheiden zwischen dem Auskunftsrecht an den VR-Sitzungen und ausserhalb. In den Sitzungen ist das Auskunftsrecht ein umfassendes, und jedes VR- und GL-Mitglied ist zur Auskunft verpflichtet. Ausserhalb der Sitzungen kann nur Auskunft über den Geschäftsgang und nicht über einzelne Geschäfte verlangt werden. Diese Auskunft bedarf der Zustimmung des VR-Präsidenten.
Die VR-Mitglieder haben sodann das Recht, beim VR-Präsidenten Einsicht in Bücher und Akten der Gesellschaft zu verlangen und damit lückenhafte Informationen zu vervollständigen oder zu überprüfen. Das Einsichtsrecht ist persönlich auszuüben. Lässt sich das VR-Mitglied begleiten, trägt es die Verantwortung für die Wahrung der Geschäftsgeheimnisse auch durch den beigezogenen Berater.38
Der Verwaltungsrat muss über seine Verhandlungen und Beschlüsse ein Protokoll führen, das vom VR-Präsidenten und vom VR-Sekretär unterzeichnet wird.39 Ein reines Beschlussprotokoll erfüllt die gesetzlichen Anforderungen nicht. Das Protokoll ist Informations-, Kontroll- und Beweisinstrument. Es informiert über die geführten Diskussionen, deren Grundlagen und die entsprechenden Beschlüsse. Diese Informationen dienen sowohl dem einzelnen VR-Mitglied – insbesondere dann, wenn es an der entsprechenden Sitzung nicht teilnehmen konnte – als auch der Gesellschaft oder gegebenenfalls Dritten. Jedes VR-Mitglied hat das Recht, zu verlangen, dass seine Anträge und Äusserungen explizit im Protokoll aufgenommen werden. Das Protokoll ermöglicht zudem die Kontrolle über den Vollzug der Beschlüsse. Eine zuverlässige Protokollierung hilft dem Verwaltungsrat, die Sitzungen gezielt nachzubearbeiten. Im Weiteren kann das Protokoll auch der Qualitätskontrolle der VR-Arbeit dienen (Präsenz, Einbringen und Aufgabenerfüllung der einzelnen VR-Mitglieder, Einhaltung des Sitzungskalenders, Behandlung stehender und regelmässiger Traktanden usw.). Als Beweisinstrument liefert das Protokoll den VR-Mitgliedern selber den Nachweis für geführte Diskussionen, getroffene Abklärungen, geäusserte Meinungen und gefasste Beschlüsse.
Das Protokoll ist eine Urkunde im Sinne des Strafrechts und dient in Verantwortlichkeitsprozessen als Grundlage für die Beurteilung allfälliger zivil- oder strafrechtlicher Pflichtverletzungen. Es gehört in der Regel zu den Geschäftsbüchern und ist deshalb während mindestens zehn Jahren aufzubewahren.40
Per 1. Juli 2015 wurde die «societé anonyme» faktisch abgeschafft. Seither müssen Inhaberaktionäre der Gesellschaft den Erwerb von Inhaberaktien melden. Und sowohl Inhaber- als auch Namenaktionäre, die – allein oder in Absprache mit Dritten – den Grenzwert von 25 Prozent des Aktienkapitals oder der Stimmen erreichen, müssen der Gesellschaft die wirtschaftlich berechtigten Personen melden. Mit Einführung dieser GAFI41-Bestimmungen wurden nicht nur den Aktionären, sondern auch dem Verwaltungsrat zusätzliche Pflichten auferlegt. In letzter Konsequenz ist der Verwaltungsrat dafür verantwortlich, dass ein Verzeichnis über die Inhaberaktionäre und die wirtschaftlich berechtigten Personen geführt wird, die den Grenzwert von 25 Prozent erreichen, und dass die Anmeldeunterlagen mindestens zehn Jahre aufbewahrt werden.42 Die entsprechenden Verzeichnisse können im Aktienbuch geführt werden, und zwar so, dass in der Schweiz jederzeit darauf zugegriffen werden kann. Der Verwaltungsrat muss zudem prüfen, ob die gemachten Angaben formell korrekt sind.43 Allerdings trifft ihn wohl keine Nachforschungspflicht. Zudem muss der Verwaltungsrat sicherstellen, dass keine Aktionäre unter Verletzung der Meldepflichten ihre Rechte ausüben.44
Unbestrittenermassen hat ein VR-Mitglied das Recht, jederzeit vom Mandat zurückzutreten. Der Rücktritt darf allerdings nicht gegen seine Sorgfaltspflicht verstossen. Tut er dies, kann das zurücktretende VR-Mitglied zur Rechenschaft gezogen werden. Der Rücktritt kann grundsätzlich per sofort erfolgen, häufig wird er auf das Ende der Amtsdauer oder zumindest auf den Zeitpunkt der nächsten ordentlichen Generalversammlung hin erklärt.
Mit dem Rücktritt aus dem Verwaltungsrat verliert das Mitglied per Rücktrittsdatum alle damit zusammenhängenden Rechte. Die Gesellschaft muss den Austritt den Handelsregisterbehörden umgehend mitteilen, und auch das austretende VR-Mitglied hat in der Regel ein Interesse daran, dass seine Funktion im Register gelöscht wird. Trotzdem wird diese Mitteilung ans Handelsregister in der Praxis vor allem bei kleineren Unternehmen häufig vergessen. Bis zur Löschung im Handelsregister bleibt das ausgeschiedene VR-Mitglied aufgrund der positiven Publizitätswirkung nach aussen weiterhin vertretungsberechtigt.
Selbst wenn der Verwaltungsrat nicht Aktionär ist, hat er das Recht (und gegebenenfalls die Pflicht), an der Generalversammlung teilzunehmen und aus seiner Organstellung heraus Anträge zu stellen.45 Ist ein VR-Mitglied zusätzlich Aktionär der Gesellschaft, stehen ihm grundsätzlich alle Aktionärsrechte, insbesondere auch das Stimmrecht in der Generalversammlung, zu. Dabei ist allerdings darauf zu achten, dass nicht durch Äusserungen und Anträge in der Aktionärsstellung allenfalls die Sorgfalts- und Treuepflichten des VR-Mitglieds verletzt werden. Von Gesetzes wegen ist der Verwaltungsrat, der Aktionär ist, vom Stimmrecht bei der eigenen Déchargeerteilung ausgeschlossen.46
Die Verletzung von Pflichten kann zur Haftung führen. Deshalb ist die beste Haftungsprävention die sorgfältige und umsichtige Wahrnehmung des VR-Mandats. Für den Verwaltungsrat finden sich mögliche Haftungsgrundlagen sowohl im Zivil- als auch im Straf- oder im Verwaltungsrecht. Die genauen Haftungsvoraussetzungen und -folgen sind jeweils im Einzelfall zu prüfen.
Generell gilt, dass nicht nur formell gewählte, sondern auch sogenannte faktische VR-Mitglieder haften. Als faktischer Verwaltungsrat gilt nach Lehre und Rechtsprechung, wer fortgesetzt tatsächlich dem Verwaltungsrat vorbehaltene Entscheide trifft und so die Willensbildung der Gesellschaft massgebend mitbestimmt.47 Ein Handeln im Einzelfall oder eine bloss hilfsweise Tätigkeit in untergeordneter Stellung hingegen begründen keine faktische Organstellung.48
Im Fokus der zivilrechtlichen Haftung des Verwaltungsrats stehen Verantwortlichkeitsansprüche aus dem Aktienrecht. Daneben können weitere zivilrechtliche Tatbestände eine Haftung des Verwaltungsrats nach sich ziehen. Generelle Voraussetzungen für eine zivilrechtliche Haftung sind:
- das Vorliegen eines Schadens,
- ein pflichtwidriges Verhalten,
- ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen pflichtwidrigem Verhalten und Schaden sowie
- ein Verschulden.
Solange die Gesellschaft liquide ist, sind Klagen aus aktienrechtlicher Verantwortlichkeit selten. Sobald sich das Unternehmen jedoch im Konkurs befindet, wird immer häufiger versucht, beim Verwaltungsrat und bei der Revisionsstelle für den erlittenen Schaden Ersatz zu erhalten. Offenbar steigen auch Klagen der Gesellschaft selber gegen ihre früheren Organmitglieder.
In knapp der Hälfte der Gerichtsverfahren liegt der Klagegrund in einer Verletzung der allgemeinen Sorgfaltspflichten oder anderen unbestimmten Rechtsbegriffen sowie in der Verletzung der Anzeigepflichten bei Kapitalverlust und Überschuldung der Gesellschaft49. Viele Fälle der Sorgfaltspflichtverletzung stehen im Zusammenhang mit Finanzen und Buchführung. Die Verletzung konkreter Bestimmungen (mit Ausnahme der genannten Anzeigepflichten) stellt die Ausnahme dar. Aus der Rechtsprechung ergeben sich namentlich folgende zivilrechtliche Klagegründe:50
- ungenügende oder nicht zweckmässige Organisation des Verwaltungsrats oder des Unternehmens
- Schlecht- oder Nichterfüllung gewisser Aufgaben
- rechtlich unzulässige Delegation von Aufgaben
- unsorgfältige Auswahl und Anweisung der Geschäftsleitung und/oder ungenügende Überwachung
- ungenügende Information über das Unternehmen
- unterlassener Beizug von Spezialisten bei besonderen Geschäften
- ungenügende finanzielle Führung
- ungenügende Prüfung von Akquisitionen
- Eingehen von Klumpenrisiken aufgrund schlechten Risikomanagements
- falsche oder ungenügende Beurteilung einzelner Geschäfte
Pro Jahr werden schweizweit rund 21 Verantwortlichkeitsklagen angehoben. Neun bis zehn davon werden an die zweite Instanz weitergezogen (oder direkt beim Handelsgericht eingereicht). Rund ein Viertel der Klagen wird ganz oder teilweise gutgeheissen, knapp ein Viertel abgewiesen. In den meisten restlichen Fällen wurde das Verfahren mit einem Vergleich erledigt. Das Bundesgericht beurteilt pro Jahr drei bis vier Klagen aus aktienrechtlicher Verantwortlichkeit. Vorprozessual bzw. via Haftpflichtversicherung werden jährlich schätzungsweise 200 bis 400 Fälle erledigt.51
Die aktienrechtliche Verantwortlichkeit umfasst ein Vierfaches: die Haftung für das Emissionsprospekt52, die Gründungshaftung53, die Haftung für Verwaltung, Geschäftsführung und Liquidation54 sowie die Revisionshaftung. Bei der Prospekthaftung haftet der Verwaltungsrat sowie jede Person, die absichtlich oder fahrlässig mitgewirkt hat, für unrichtige, irreführende oder nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Angaben im Emissionsprospekt und ähnlichen Mitteilungen. Die Gründungshaftung nimmt Verwaltungsräte und Personen, die bei der Gründung mitwirken, in die Pflicht für unrichtige oder irreführende Angaben über Sacheinlagen, Sachübernahmen und Vorteilsgewährungen, HR-Eintragungen aufgrund unrichtiger Angaben sowie für die Zeichnung bekanntermassen zahlungsunfähiger Personen. Der Revisionshaftung unterliegen alle mit der Prüfung der Jahres- und Konzernrechnung, der Gründung, der Kapitalerhöhung oder Kapitalherabsetzung befassten Personen, die durch absichtliche oder fahrlässige Verletzung ihrer Pflichten einen Schaden verursachen.
In der Praxis relevant ist dabei in erster Linie die Haftung für Verwaltung, Geschäftsführung und Liquidation. Danach haften die VR-Mitglieder (und alle mit der Geschäftsführung oder Liquidation befassten Personen) der Gesellschaft, den Aktionären und den Gläubigern für den Schaden, den sie durch absichtliche oder auch nur fahrlässige Verletzung ihrer Pflichten verursachen.
Als Schaden gilt die Differenz zwischen dem gegenwärtigen Stand des Vermögens und dem hypothetischen Vermögensstand, wie er sich präsentierte, wäre das schädigende Ereignis nicht erfolgt (Differenztheorie). Dabei ist nicht nur die direkte Vermögenseinbusse, sondern auch allenfalls entgangener Gewinn zu berücksichtigen. Zudem ist zwischen unmittelbarem und mittelbarem Schaden zu unterscheiden. In den meisten Fällen der aktienrechtlichen Verantwortlichkeit handelt es sich um einen mittelbaren Schaden, d.h. um einen Schaden, der das Vermögen der Gesellschaft schmälert. Diesen Schaden können nur bestimmte Klägerkategorien geltend machen, und Aktionäre, die dem Verwaltungsrat die Décharge erteilt haben, sind von der Geltendmachung ausgeschlossen. Die Berechnung des Schadens ist in der Praxis oft kompliziert und aufwendig.
Pflichtwidrig ist jedes Verhalten des Verwaltungsrats, das gegen gesetzliche, statutarische oder reglementarische Pflichten verstösst, namentlich gegen die Treue- und Sorgfaltspflicht oder die unübertragbaren und unentziehbaren Aufgaben. Das erforderliche Mass an Sorgfalt, das von jedem VR-Mitglied bei der Übernahme und Ausübung seines Mandats erwartet wird, beurteilt sich nach objektivierten Gesichtspunkten. Massgebend ist das Verhalten, das von einem vernünftig und korrekt handelnden Verwaltungsrat unter den gegebenen Umständen mindestens erwartet werden darf. Sonderwissen oder besondere fachliche Qualifikationen erhöhen den Sorgfaltsmassstab beim entsprechenden VR-Mitglied.
Pflichtwidrig können sowohl Handlungen als auch Unterlassungen bzw. ein Nichttätigwerden des Verwaltungsrats sein. Handlungen stellen allerdings nicht bereits deshalb eine Pflichtverletzung dar, weil sie sich nachträglich als falsch oder ungünstig erweisen. Unternehmerische Tätigkeit beinhaltet immer auch das Eingehen unternehmerischer Risiken. Das Bundesgericht anerkennt daher zusammen mit der herrschenden Lehre, dass sich die Gerichte bei der Beurteilung von Geschäftsentscheiden Zurückhaltung aufzuerlegen haben, wenn diese in einem einwandfreien Prozess, aufgrund angemessener Informationen und frei von Interessenskonflikten zustande gekommen sind (Business Judgment Rule).55
Zwischen dem objektivierten pflichtwidrigen Verhalten und dem entstandenen Schaden muss sodann ein adäquater Kausalzusammenhang bestehen. Dieser ist gegeben, wenn nach dem natürlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung die fragliche Pflichtwidrigkeit geeignet erscheint, einen Schaden wie den eingetretenen zu verursachen oder zu fördern.
Auch beim Verschulden gilt – wie bei der Sorgfalt – ein objektivierter Massstab. Von einem Verwaltungsrat wird heute professionelles Handeln und Verhalten gefordert. Dies führt bei Vorliegen einer Sorgfaltspflichtverletzung faktisch zur Vermutung eines Verschuldens, wobei dem Verwaltungsrat der Exkulpationsbeweis zusteht. Einwände wie mangelnde Kenntnis, fehlende Zeit oder niedriges Honorar taugen nicht zur Entlastung. Eine Pflichtverletzung wird daher in aller Regel verschuldet sein.
Die aktienrechtliche Haftung des Verwaltungsrats ist eine (differenziert) solidarische, persönliche und unbeschränkte. Jedes VR-Mitglied haftet nach Massgabe des ihm aufgrund seines Verschuldens und der Umstände zurechenbaren Schadens solidarisch für den Gesamtbetrag – und zwar unbeschränkt mit seinem ganzen Privatvermögen.56 Der solidarisch in die Verantwortung genommene Verwaltungsrat hat gegenüber den anderen VR-Mitgliedern gegebenenfalls ein Rückgriffsrecht.
Neben der aktienrechtlichen Verantwortlichkeit können für den Verwaltungsrat je nach Situation weitere zivilrechtliche Haftungsgrundlagen relevant werden. Dabei stehen die obligationenrechtlichen Bestimmungen über die ausservertragliche Haftung57 sowie diejenigen über die vertragliche Haftung58 im Fokus. Im ersten Fall haftet der Verwaltungsrat für den Schaden, den er einem anderen widerrechtlich absichtlich oder fahrlässig zufügt, im zweiten Fall für den Schaden aus einer Vertragsverletzung. Zur ausservertraglichen Haftung gehört etwa auch die Werkeigentümerhaftung59 und zur vertraglichen namentlich auch die Haftung für Hilfspersonen.60
Zu denken ist hier aber auch an eine zivilrechtliche Haftung aufgrund des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG).
Verwaltungsräte können nicht nur zivil-, sondern auch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie entweder selber straffällig werden – aufgrund ihrer Organstellung oder wegen einer strafrechtlichen Garantenhaftung. Für die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Verwaltungsrats kommen grundsätzlich sämtliche Tatbestände des Strafgesetzbuches (StGB), des Nebenstrafrechts sowie des Verwaltungsstrafrechts infrage.
Praktisch relevant sind insbesondere strafbare Handlungen gegen Leib und Leben (z.B. fahrlässige Tötung, Körperverletzung, Gefährdung des Lebens), Vermögensdelikte (z.B. Veruntreuung, Betrug, ungetreue Geschäftsbesorgung), Schuldbetreibungs- und Konkursdelikte (z.B. betrügerischer Konkurs, Gläubigerschädigung, Unterlassung der Buchführung) oder Urkundenfälschung (vor allem im Zusammenhang mit der Rechnungslegung und der Erstellung der Jahresrechnung). Aus dem Nebenstrafrecht ist vor allem an Bestimmungen aus den Bereichen Umweltschutz, Produktesicherheit, Wettbewerbsrecht, Baurecht, Steuer- und Sozialversicherungsrecht sowie Banken- und Börsenrecht zu denken.
Drei Konstellationen sind dabei denkbar.
Jedes VR-Mitglied ist für sich selber strafrechtlich verantwortlich. Übt es eine Straftat aus oder beteiligt sich an einer solchen, so ist es, sind die objektiven und subjektiven Strafbestandsmerkmale in der eigenen Person erfüllt, ohne Weiteres strafbar. Wer zum Beispiel als VR-Mitglied Fabrikations- und Geschäftsgeheimnisse, zu deren Wahrung er verpflichtet ist, verrät, macht sich nach Artikel 162 des Strafgesetzbuches strafbar.
Bei sogenannten Sonderdelikten, bei denendie strafbegründende oder -erhöhende Sonderpflicht oder Tätereigenschaft nur bei der Gesellschaft gegeben ist, kann diese dem Verwaltungsrat zugerechnet und dieser damit strafbar werden.61 Relevant ist die strafrechtliche Organhaftung namentlich bei vermögensrechtlichen Sonderdelikten (z.B. Veruntreuung, ungetreue Geschäftsbesorgung, Missbrauch von Lohnabzügen sowie Betreibungs- und Konkursdelikte). Als berufsmässige Vermögensverwalter gelten zum Beispiel auch die Organe und die Angestellten einer Gesellschaft, deren Zweck die Vermögensverwaltung ist. Damit machen sich diese Personen gegebenenfalls nicht der einfachen, sondern der qualifizierten Veruntreuung mit einem höheren Strafrahmen schuldig.62
Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Verwaltungsrats kann sich unter Umständen auch aus seiner Garantenstellung ergeben, wenn er pflichtwidrig erforderliche Massnahmen nicht ergriffen hat (strafrechtliche Geschäftsherrenhaftung). Dem Verwaltungsrat kommt nicht allein aufgrund seiner Organstellung eine Garantenstellung zu. Entscheidend ist seine tatsächliche Position im Unternehmen. Nur ein VR-Mitglied, das eine entsprechende Kontrollfunktion und -pflicht hat, kann sich auf diese Weise strafbar machen. So wurde zum Beispiel ein VR-Mitglied wegen schwerer fahrlässiger Körperverletzung verurteilt, weil eine abschüssige Zufahrt des im Eigentum der Gesellschaft stehenden Gebäudes durch eine 30 Zentimeter hohe Mauer nicht genügend gesichert war und eine Kundin dadurch rund zwei Meter in die Tiefe stürzte und sich schwer verletzte.63
Das praktisch grössere Haftungsrisiko für Verwaltungsräte ist die Haftung für nicht bezahlte Sozialversicherungs- und Pensionskassenbeiträge. Pro Jahr werden knapp 1300 entsprechende Klagen angehoben und in den allermeisten Fällen gutgeheissen.
Obwohl ursprünglich nur eine Haftpflicht des Arbeitgebers (also der Gesellschaft) vorgesehen war, hatte die Rechtsprechung den Anwendungsbereich bereits seit längerer Zeit über den Gesetzeswortlaut hinaus auf die verantwortlichen Organe ausgedehnt. Diese Rechtsprechung hat schliesslich Eingang gefunden in den Gesetzestext:64 Subsidiär zur juristischen Person haften von Gesetzes wegen unter anderem auch die Verwaltungsratsmitglieder solidarisch für ausstehende AHV-, IV-, EO- und ALV-Beiträge. In Betracht fallen ausstehende Beiträge, die bis zum Ausscheiden des Verwaltungsratsmitglieds fällig geworden sind. Die Haftung ist als Verschuldenshaftung konzipiert. Die Ausgleichskasse muss grundsätzlich sowohl den Schaden als auch die Pflichtverletzung, die Kausalität und die Adäquanz beweisen. Der Verwaltungsrat ist zum Gegenbeweis zugelassen. Die Gerichtspraxis stellt allerdings eine erhöhte Sorgfaltspflicht an den Verwaltungsrat – obwohl das Gesetz eine absichtliche oder grob fahrlässige Verletzung verlangt –, sodass die Haftung faktisch zumindest in die Nähe einer Garantenhaftung rückt. Entschuldigungsgründe werden von den Gerichten nur äusserst selten berücksichtigt.
Die Haftung des Verwaltungsrats für Steuerschulden der Gesellschaft nahm ihren Anfang im Jahr 1965 mit der Einführung von Artikel 15 des Verrechnungssteuergesetzes (VStG). Seither wurde sie ständig ausgebaut.65 Während die aktienrechtliche Haftung eine Verschuldenshaftung ist – also ein Verschulden des Verwaltungsrats voraussetzt –, ist die Haftung für Steuerschulden gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung eine sogenannte Garantenhaftung: Jedes einzelne Verwaltungsratsmitglied haftet allein aufgrund seiner Funktion solidarisch und mit seinem ganzen Vermögen für die Steuerschulden der Gesellschaft. Dies hat für den Fiskus den Vorteil, dass er weder eine Pflichtverletzung noch deren Kausalität und Adäquanz zum Schaden belegen muss. Immerhin kann der Verwaltungsrat theoretisch den positiven Nachweis erbringen, dass er alles ihm Zumutbare zur Erfüllung der Steuerforderung getan und die nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat. Dabei reicht zum Beispiel ein Nachfragen und Erteilen von Weisungen ohne Einsichtnahme in die Geschäftsbücher nicht aus, um sich aus der Haftung zu befreien.66
Die beste Haftungsprävention ist eine sorgfältige, umsichtige und aktive Auswahl und Ausübung des VR-Mandats. Faktische Organschaften gilt es zu vermeiden.
Im Zentrum der zivilrechtlichen Haftungsprävention stehen dabei Massnahmen wie die bestmögliche Zusammensetzung der Führungsgremien, das Festlegen einer transparenten, zweckmässigen Organisation (inkl. Zuständigkeiten), die Delegation von Aufgaben an sorgfältig ausgewählte, instruierte und kontrollierte Personen sowie jederzeit einwandfreie, dokumentierte Entscheidungsprozesse.
Die strafrechtliche Haftungsprävention konzentriert sich auf das rechtzeitige Erkennen von Risiken und Gefahren sowie deren Vermeidung oder Minimierung. Folgende Punkte helfen dabei: Einhalten der gesetzlichen und statutarischen Pflichten, regelmässige Analyse und Identifikation der Risiken, Sicherstellung ausreichender organisatorischer Massnahmen, sofortiges Einschreiten und Ergreifen von Massnahmen bei Bekanntwerden von Sicherheitsrisiken für Mitarbeiter, Kunden oder Dritte, keine Erstellung und Verbuchung nicht wahrheitsgetreuer Rechnungen oder Verträge, Überwachung und Kontrolle der Geschäftsleitung in Bezug auf die Einhaltung gesetzlicher und unternehmensinterner Vorschriften.
Gewisse Risiken können durch eine Berufshaftpflichtversicherung für Verwaltungsräte versichert werden. Dies geschieht entweder durch den Einschluss des Verantwortlichkeitsrisikos von Verwaltungsräten in einer Berufshaftpflichtversicherung oder durch den Abschluss einer Organhaftpflichtversicherung (D & O Versicherung). Nicht alle Risiken lassen sich jedoch versichern. Zudem entbindet der Abschluss einer Haftpflichtversicherung nicht von der sorgfältigen Ausübung des VR-Mandats.
Aufgrund ihrer Funktion und ihrem Fachwissen können sich für Treuhänder gewisse Themen des Verwaltungsrats in faktischer und rechtlicher Hinsicht akzentuieren. Für die Zusammenarbeit im Gremium relevant ist für den Treuhänder – wie grundsätzlich für jedes VR-Mitglied –, weshalb er in den Verwaltungsrat gewählt, welcher Beitrag und welche Rolle von ihm erwartet wird. Es ist hilfreich und unter Sorgfaltsaspekten geboten, diese Fragen vor Annahme des Mandats zu klären. Falls neben dem VR-Mandat noch weitere Tätigkeiten für die Gesellschaft ausgeübt werden sollen, empfiehlt sich eine klare entsprechende Regelung. In rechtlicher Hinsicht hat der Treuhänder als Verwaltungsrat grundsätzlich die gleichen Rechte und Pflichten wie die anderen VR-Mitglieder. Für gewisse Situationen sollte er jedoch ein besonderes Sensorium aufweisen. Im Weiteren werden Treuhänder bisweilen vom Verwaltungsrat als Dritte beigezogen – auch hier gilt es, allenfalls gewisse Besonderheiten zu beachten.
Die meisten aktienrechtlichen Verantwortlichkeitsklagen stehen im Zusammenhang mit den Finanzen der Gesellschaft. Zwar verlangen die Gerichte von jedem VR-Mitglied eine sogenannte «financial literacy», doch dürfte für Treuhänder aufgrund ihrer Ausbildung der Sorgfaltsmassstab gerade in diesem Bereich regelmässig höher sein. Der Treuhänder, der VR-Mitglied ist, tut daher auch aus Haftungsründen gut daran, den finanziellen Angelegenheiten der Gesellschaft besondere Sorgfalt und erhöhtes Augenmerk zu schenken. Der Sorgfaltsmassstab kann unter Umständen auch erhöht werden durch Zusatzwissen, das der Treuhänder aus weiteren Verträgen, Verbindungen oder Funktionen mit und für die Gesellschaft erworben hat.
Sind bei der Gründung einer Gesellschaft, bei einer Kapitalerhöhung, einem Kapitalschnitt oder bei der Ausgabe von Aktien, Obligationen oder anderen Titeln im Emissionsprospekt oder ähnlichen Mitteilungen unrichtige, irreführende oder den gesetzlichen Anforderungen nicht entsprechende Angaben gemacht worden, so haftet jeder, der absichtlich oder fahrlässig dabei mitgewirkt hat, für den dadurch verursachten Schaden (Prospekthaftung).67
Ebenso sind alle Personen, die bei der Gründung mitwirken, für den Schaden verantwortlich, der durch unrichtige, irreführende, verschwiegene oder gesetzeswidrige Angaben zu Sacheinlagen, Sachübernahmen und zu besonderen Vorteilen gemacht wird, durch eine Eintragung im Handelsregister aufgrund falscher Angaben oder durch die wissentliche Annahme von Zeichnungen zahlungsunfähiger Personen (Gründungshaftung).68
Die Gründungshaftung (und mit ihr die Prospekthaftung) ist über ihren Wortlaut hinaus also genau betrachtet keine Gründungshaftung, sondern eine «Haftung für Störungen des rechtmässigen Verfahrens einer aktienrechtlichen Kapitaläufnung».69 Sie kann neben den eigentlichen oder fiduziarischen Gründern selber namentlich für folgende Personen rechtlich relevant werden: Strohmänner und deren Auftraggeber, VR- und GL-Mitglieder, Kapitalgeber, Banken, beratende Treuhänder, Rechtsanwälte und Steuerrechtsexperten oder Urkundspersonen.
Der Treuhänder kann zum faktischen Verwaltungsrat und damit haftungsrechtlich zum VR-Mitglied werden, wenn er regelmässig Entscheide, die dem Verwaltungsrat vorbehalten sind, trifft oder massgebend mitbestimmt. Die Haftung des faktischen Verwaltungsrats betrifftalle Haftungsgrundlagen, namentlich auch diejenige für nicht bezahlte Sozialversicherungsbeiträge und Steuern. Die Grenzen vom Berater und Fachexperten zum faktischen Verwaltungsrat sind fliessend. Das Bundesgericht hat zum Beispiel eine faktische VR-Funktion eines Treuhänders angenommen, der nach dem Tod des einzigen Verwaltungsrats während längerer Zeit neben seiner Tätigkeit als selbständiger Treuhänder noch zu rund 50 Prozent die Geschäfte der Gesellschaft führte, zu einem Stundenhonorar, das weit unter den Honoraransätzen von Treuhändern lag.70
Der fiduziarische Verwaltungsrat wahrt als grundsätzlich vollwertiges und voll haftendes VR-Mitglied treuhänderisch die Interessen seiner Auftraggeber. Er handelt damit innerhalb des rechtlichen Ermessensspielraums weitgehend weisungsgebunden.
Treuhänder werden aus unterschiedlichen Gründen als fiduziarische Gründer oder VR-Mitglieder eingesetzt. Der fiduziarische Verwaltungsrat übt das VR-Mandat im eigenen Namen und in eigener Verantwortung, aber im Interesse und nach Weisungen des Auftrag gebenden Dritten aus. Sein Auftrag ist in jedem Fall die Wahrung der Auftraggeberinteressen im Verwaltungsrat der Gesellschaft. Damit befindet sich der fiduziarische Verwaltungsrat in einem doppelten Pflichtennexus: Einerseits hat er sämtliche Rechte und Pflichten eines VR-Mitglieds, andererseits treffen ihn regelmässig vertragliche Pflichten gegenüber seinem Fiduzianten.
Zwischen dem Auftraggeber und dem fiduziarischen Verwaltungsrat besteht ein Treuhandverhältnis. Dieses wird in der Regel in einem schriftlichen Mandatsvertrag geregelt. Vertragliche Weisungen, die den fiduziarischen Verwaltungsrat zu gesetzes- oder statutenwidrigen Handlungen verpflichten, sind unzulässig. Das Weisungsrecht des Treugebers erstreckt sich auf sämtliche Ermessensentscheide des Verwaltungsrats. Der fiduziarische Verwaltungsrat darf auch die Auftraggeberinteressen anderen Interessen voranstellen. Im Zweifelsfall geht jedoch das Unternehmensinteresse vor. Die Weisungsgebundenheit wird damit durch zwingende Gesetzes- und Statutenbestimmungen sowie das Gesellschaftsinteresse beschränkt. Je nachdem, wie stark und in welcher Art und Weise der Auftraggeber Einfluss auf die Entscheide des Verwaltungsrats nimmt, riskiert er, allenfalls zum faktischen Organ der Gesellschaft zu werden.
Umstritten ist, ob der fiduziarische Verwaltungsrat das Bestehen eines Treuhandverhältnisses gegenüber den anderen VR-Mitgliedern offenlegen muss oder nicht. In der Praxis wird es sich häufig aus den Umständen ergeben. Für den fiduziarischen Verwaltungsrat hat die Offenlegung den Vorteil, dass er sich von den anderen VR-Mitgliedern gegenüber seinem Auftraggeber von der Schweige- und Geheimhaltungspflicht befreien lassen kann.
Die Liquidation der Gesellschaft erfolgt, wenn nicht durch das Konkursamt oder schuld- und konkursrechtliche Liquidatoren,71 grundsätzlich durch den Verwaltungsrat. Weil dieser jedoch gerade für die Liquidation unter Umständen einen Treuhänder beizieht, ist die Liquidationshaftung an dieser Stelle separat erwähnt. Liquidatoren unterliegen derselben Haftung wie Verwaltungsräte.72 Aktienrechtlich sind sie der Gesellschaft, den Aktionären und den Gesellschaftsgläubigern für den Schaden verantwortlich, den sie durch absichtliche oder fahrlässige Verletzung ihrer Pflichten verursachen. Zudem haften sie auch für von der Gesellschaft nicht bezahlte Sozialversicherungsbeiträge und Steuern.73
Treuhänder sind – im häufigen Gegensatz zu anderen VR-Mitgliedern – von Berufs wegen für Geldwäschereitatbestände sensibilisiert. Trotzdem sei an dieser Stelle auf einige in Bezug auf Verwaltungsräte praktisch relevante Punkte hingewiesen.
Die Tätigkeit als Verwaltungsrat gilt grundsätzlich nicht als Finanzintermediation. Der Verwaltungsrat handelt als Organ der Gesellschaft und verfügt damit nicht über fremdes, sondern über eigenes Vermögen, dasjenige der Gesellschaft. Bei Sitzgesellschaften hingegen wird die VR-Tätigkeit als finanzintermediäre Tätigkeit betrachtet, sofern sie fiduziarisch, also auf Weisung des wirtschaftlich Berechtigten, erfolgt. In diesem Fall verwalten die Organpersonen fremdes Vermögen, nämlich dasjenige des wirtschaftlich Berechtigten. Ist der wirtschaftlich Berechtigte selbst Organperson, entsteht keine Unterstellungspflicht für den wirtschaftlich Berechtigten.74
Die Gründung einer Gesellschaft untersteht nicht dem Geldwäschereigesetz, wenn sich der Treuhänder auf die Beratung beschränkt und nicht in den notwendigen Zahlungsverkehr eingreift. Die Aufbewahrung von Inhaberaktien oder blanko-indossierten Namensaktien mit Effektenqualität allerdings gilt als finanzintermediäre Tätigkeit, und die Weiterleitung von Gründungskapital an die Bank stellt eine unterstellte Dienstleistung dar.75
Regulatorische und gerichtliche Praxis tendieren dazu, Treuhänder im Kampf gegen Wirtschaftskriminalität verstärkt in die Pflicht zu nehmen. So verurteilte das Bundesstrafgericht in einem Referenzentscheid aus dem Jahr 201576 einen Treuhänder wegen fahrlässiger Unterlassung der Abklärungs- und Meldepflicht bei der Gründung und Verwaltung von Gesellschaften. Trotz deutlicher Hinweise auf eine verbrecherische Herkunft der Vermögenswerte unterliess er die Meldung bei der Meldestelle für Geldwäscherei (MROS). Als doppelt fahrlässig erachtete das Bundestrafgericht, dass der Treuhänder, der GwG-Profile eingerichtet hatte, weitere Abklärungen unterliess. Konkret waren im genannten Fall verschiedene Hinweise vorhanden, die den Treuhänder zu Abklärungen und zur Meldung hätten veranlassen sollen: Die mündliche Auftragserteilung war vage und stimmte nicht mit den tatsächlich erbrachten Leistungen der Gesellschaft überein, ein wichtiger ausländischer Rüstungskonzern beauftragte einen unerfahrenen, über kein besonderes Know-how verfügenden schweizerischen Treuhänder, die Vertrags- und Gesellschaftsstrukturen waren komplex und wenig verständlich und die regelmässig fliessenden Beträge in Millionenhöhe flossen jeweils einige Tage später wieder zugunsten Dritter ab.
Der VR-Sekretär muss nicht Mitglied des Verwaltungsrats sein und kann grundsätzlich ad hoc bestimmt werden. Bisweilen werden Treuhänder als externer Sekretär des Verwaltungsrats eingesetzt. Es ist möglich, den ständigen VR-Sekretär ins Handelsregister – mit oder ohne Zeichnungsberechtigung – einzutragen. Gehört der VR-Sekretär dem VR-Gremium nicht an (und auch sonst keinem Organ), untersteht er nicht der Organhaftung. Es sei denn, er entwickle sich in seiner Rolle zum faktischen Verwaltungsrat. Seine Sorgfaltspflichten definieren sich in der Regel nach Auftragsrecht, allenfalls nach Arbeitsrecht.
In der heutigen Praxis hat die Rolle des VR-Sekretärs an Bedeutung gewonnen. Mit der zunehmenden Regulierung, Internationalisierung und Prozessfreudigkeit steigen auch die Anforderungen an den VR-Sekretär. Die marginalen gesetzlichen Regelungen geben dem Verwaltungsrat eine grosse Flexibilität in der Konstituierung des VR-Sekretariats und ermöglichen die Ausarbeitung eines Anforderungs- und Stellenprofils für den VR-Sekretär nach den Bedürfnissen des jeweiligen Unternehmens. Die Aufgaben des VR-Sekretärs reichen häufig weit über die korrekte Protokollführung bei VR-Sitzungen, Ausschüssen und Generalversammlungen hinaus. So ist der VR-Sekretär regelmässig verantwortlich für die Vollständigkeit und Richtigkeit der Handelsregistereinträge, die Führung des Aktienregisters, die VR-Dokumentation, die Einhaltung interner und externer Normen, die Beratung des VR-Präsidenten, die Beurteilung von Rechtsfragen, interne Projekte und Prozesse oder die Organisation der Zusammenarbeit mit Dritten.
Zu beachten ist, dass die VR-Protokolle Urkunden im strafrechtlichen Sinne sind. Eine falsche oder verfälschte Protokollierung kann den Straftatbestand der Urkundenfälschung erfüllen.77
Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle auf die häufigen Funktionen des Treuhänders als Revisionsstelle oder Sonderprüfer hingewiesen. Als Revisionsstelle ist der Treuhänder bei der Berichterstattung, der Erstattung von Anzeigen und bei der Auskunftserteilung an die Generalversammlung zur Wahrung des Geschäftsgeheimnisses verpflichtet.78 Als Revisionsstelle untersteht er für absichtliche oder fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzungen der aktienrechtlichen Revisionshaftung.79
Treuhänder können vom Gericht als Sonderprüfer eingesetzt werden.80 Gründer, Organe, Beauftragte, Arbeitnehmer, Sachwalter und Liquidatoren müssen dem Sonderprüfer Auskunft über alle für den Gegenstand der Sonderprüfung relevanten Tatsachen geben. Der Sonderprüfer ist darüber zur Verschwiegenheit verpflichtet.81 Er verfasst unter Wahrung des Geschäftsgeheimnisses einen einlässlichen Bericht, den er dem Gericht vorlegt.82
Ein zentrales Anliegen der Corporate Governance ist der korrekte Umgang mit Interessenskonflikten bzw. die möglichst weitgehende Vermeidung derselben. Auch die vom Bundesgericht anerkannte Business Judgement Rule83 verlangt Entscheidungsprozesse, die frei von Interessenskollisionen sind. Auch die Standesregeln verlangen vom Treuhänder, dass er seinen Beruf in voller Unabhängigkeit ausübt und sich allfälliger Interessenskonflikte enthält.84
Interessenskonflikte können sich namentlichaus Mehrfachmandaten des Treuhänders für die Gesellschaft und Aktionäre oder Kreditgeber ergeben. Ist der Treuhänder Verwaltungsrat, gehen im Konfliktfall von Gesetzes wegen immer die Interessen der Gesellschaft vor. Im Rahmen seiner Sorgfaltspflicht muss der Verwaltungsrat in der Regel auf Mandate, die einen ständigen Interessenskonflikt in sich bergen, verzichten. Im Einzelfall müssen Interessenskonflikte offengelegt werden. Eine mögliche punktuelle Massnahme kann im Einzelfall der Ausstand des mit einem Interessenskonflikt belasteten VR-Mitglieds sein, wobei aufgrund der Mitwirkungspflicht des VR-Mitglieds ein Ausstand ultima ratio sein sollte.
- Felder Silvan / Freymond Dominique / Hostettler Stephan / Kofmel Peter / Kunz Peter V. / Meier-Gubser Stefanie, Handbuch für den Verwaltungsrat – Ein Ratgeber für die KMU-Praxis, 1. Aufl. 2014, Cosmos Verlag
- Krneta Georg, Praxiskommentar Verwaltungsrat, 2. Aufl. 2005, Stämpfli Verlag
- Müller Roland / Lipp Lorenz / Plüss Adrian, Der Verwaltungsrat – Ein Handbuch für Theorie und Praxis, 4. Aufl. 2014, Schulthess Verlag
- Courtney C. Brown, Putting the Corporate Board to Work, New York 1976.
- Sir Adrian Cadbury, The financial aspects of Corporate Governance, London 1992.
- Vgl. The UK Corporate Governance Code, Ziff. 2.5 («Corporate governance is the system by which companies are directed and controlled.»).
- Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance, economiesuisse 2016 (SCBP).
- Vgl. dazu den vermehrten Ruf nach einer speziellen «Corporate Social Responsibility».
- Z.B. Verordnung gegen übermässige Vergütungenbei börsenkotierten Aktiengesellschaften (VegüV) vom 20. November 2013.
- Z.B. Richtlinie betr. Informationen zur Corporate Governance der SIX Swiss Exchange AG vom 1. Januar 2016 (RLCG).
- Z.B. Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance, economiesuisse 2016.
- Einen Überblick über die weltweit verschiedenen Kodizes findet man unter www.ecgi.org.
- «Boards of directors are responsible for the governance of their companies.» UK Code, Ziff. 2.5.
- SCBP Ziff. 2 ff.
- SCBP Ziff. 9 f.
- Müller Roland, Entwicklung und Bedeutung der Corporate Governance, Skript 2008.
- Vgl. Best Board Practice®-Label (www.bestboardpractice.ch).
- Böckli Peter, Leitgrundsätze für eine Best Practice des KMU-Verwaltungsrates, in: Schweizerische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht SZW 5/2014, S. 522 ff.
- Art. 716 Abs. 2 OR.
- Im dualistischen System, wie es z.B. Deutschland kennt, sind Geschäftsführung und Aufsicht strikt getrennt. Der Aufsichtsrat ist reines Kontrollorgan.
- Art. 716 OR.
- Art. 716b Abs. 2 OR.
- S. dazu unten Punkt 5. Haftung des Verwaltungsrats.
- Art. 717 OR.
- Art. 716a OR.
- Art. 716 OR.
- Kunz Peter V., Grundlagen zum Konzernrecht, Bern 2016, S. 333.
- Buchser Michael, Müller Michael, Die Haftung einer Muttergesellschaft und ihrer Organe für Geschehnisse im Hause der Konzerntochter, in: Ohne jegliche Haftung – Festschrift für Willi Fischer, Zürich 2016, S. 62.
- Art. 718b OR.
- Art. 716a OR.
- Z.B. Durchführung der ordentlichen Kapitalerhöhung (Art. 650 OR) oder Recht zur sofortigen Suspendierung eines (von der Generalversammlung gewählten) VR-Mitglieds (Art. 726 Abs. 2 OR).
- Botschaft und Entwurf des Bundesrats vom 23. November 2016 zur Änderung des Obligationenrechts (Aktienrecht), BBl 2017 399 und BBl 2017 683.
- Vgl. aber das Erfordernis, dass ein VR-Mitglied eine natürliche Person sein muss (Art. 707 Abs. 2), die implizit handlungsfähig ist.
- Cura in eligendo, instruendo, custodiendo.
- Art. 725 OR.
- Art. 716 b OR.
- Art. 715 OR.
- Krneta Georg, Praxiskommentar Verwaltungsrat, Bern 2005, RN 901.
- Art. 713 OR.
- Art. 715a Abs. 1 OR.
- Krneta Georg, Praxiskommentar Verwaltungsrat, Bern 2005, RN 1032.
- Art. 713 Abs. 3 OR.
- Art. 958f OR.
- Groupe d’action financière.
- Art. 697l OR.
- Art. 697i OR.
- Art. 697m Abs. 4 OR.
- Art. 702a OR.
- Art. 695 OR.
- BGE 117 II 570 E. 3.
- BGE 128 III 92 E. 3c.
- Art. 725 i.V.m. Art. 716a Abs. 1 Ziff. 7 OR.
- Zum Ganzen: Keller Susanne, Verantwortlichkeit des Verwaltungsrates – Bedeutung und Entwicklung von zivilrechtlichen Verantwortlichkeitsklagen gegen Verwaltungsräte, in: Jusletter 24. Oktober 2011.
- Keller Susanne, a.a.O., S. 3 (die Untersuchungsperiode umfasste den Zeitraum von 2000 bis 2010).
- Art. 752 OR.
- Art. 753 OR.
- Art. 754 OR.
- Urteil des Bundesgerichts. 4A_74/2012 vom 18. Juni 2012 E. 5.1.
- Art. 759 OR.
- Art. 41 ff. OR.
- Art. 97 ff. OR.
- Art. 58 OR.
- Art 101 OR.
- Art. 29 StGB.
- Urteil des Bundesgerichts. 6B_446/2011 vom 27. Juli 2012.
- Urteil des Bundesgerichts 6S.87/2003 vom 6. Juni 2003.
- Art. 52 AHVG.
- Art. 55 DBG, Art. 15 MWSTG, z.T. kantonale Steuergesetze.
- Urteil des Bundesgerichts 9C_289/2011.
- Art. 752 OR.
- Art. 753 OR.
- Amstutz Marc / Gohari Ramin Silvan, OR Kommentar Orell Füssli zu Art 753 RN 4.
- Urteil des Bundesgerichts 6B_697/2014 vom 27. Februar 2015, E. 3.2.
- Art. 317 ff. SchKG.
- Art. 754 Abs. 1 OR.
- Art. 52 Abs. 2 AHVG und Art. 15 VStG.
- Art. 6 Abs. 1 lit. d GwV, FINMA-Rundschreiben 2011/1 (1. Januar 2017) Tätigkeit als Finanzintermediär nach GwG, RZ 100.
- FINMA-Rundschreiben 2011/1 (1. Januar 2017) RZ 122.
- Entscheid der Strafkammer des Bundestrafgerichts vom 18. März 2015 Dossiernummer SK.2014.14.
- Art. 251 StGB.
- Art. 730b OR.
- Art. 755 OR.
- Art. 697a OR.
- Art. 697d OR.
- Art. 697e Abs. 1 OR.
- S. oben Punkt 5.1.1 «Zum pflichtwidrigen Verhalten» und «Zum Verschulden».
- Ziff. 4 Standesregeln TREUHAND|SUISSE.