Leider wird der Verrechnungssteuer viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, was sich bitter rächen und unter Umständen ein teures Nachspiel haben kann. Die Verrechnungssteuer hat sich in den letzten Jahren zu einer eigentlichen Strafsteuer entwickelt. Insbesondere wurde durch das Erscheinen des Kreisschreibens Nr. 40 der Eidgenössischen Steuerverwaltung ESTV am 11. März 2014 eine Verschärfung der Praxis vollzogen. Damit wurde die bisherige Funktion einer Sicherungssteuer zu einer zusätzlichen Steuerbelastung deformiert.
Von der Verrechnungssteuer ist jemand schnell einmal betroffen.
Gegenstand der Verrechnungssteuer auf bewegliche Kapitalvermögen ist die Auszahlung, Gutschrift oder Verrechnung der Erträge
- der von einem Inländer ausgegebenen
– Obligationen (Art. 4 Abs. 1 Bst. a VStG)
– Gewinnanteile (beispielsweise Dividenden) aus Beteiligungsrechten (Art. 4 Abs. 1 Bst. b VStG)
– Anteile an einer kollektiven Kapitalanlage gemäss KAG (Art. 4 Abs. 1 Bst. c VStG) sowie - der Kundenguthaben bei inländischen Banken und Sparkassen (Art. 4 Abs. 1 Bst. d VStG).
Gegenstand der Verrechnungssteuer auf Lotteriegewinnen sind Geldtreffer aus Lotterien, die im Inland zur Durchführung gelangen (Art. 6 VStG).
Gegenstand der Verrechnungssteuer sind Kapitalleistungen aus Lebensversicherungen sowie Leibrenten und Pensionen, sofern die Versicherung zum inländischen Bestand des Versicherers gehört und bei Eintritt des versicherten Ereignisses der Versicherungsnehmer oder ein Anspruchsberechtigter Inländer ist (Art. 7 und 8 VStG).
Ursprünglich hatte die Verrechnungssteuer die Funktion einer Sicherungssteuer. Die relativ hohe Steuerbelastung (bei Kapitalerträgen und Lotteriegewinnen immerhin 35%) soll sicherstellen, dass der Empfänger einer steuerbaren Leistung diese als Einkommen versteuert, weil eine entsprechende Einkommenssteuer tendenziell tiefer ausfällt als der Verlust der Verrechnungssteuer. Dies soll als Anreiz dienen, lieber die Einkommenssteuer zu bezahlen als die Verrechnungssteuer zu verlieren. Wie bereits oben erwähnt, hat die Verrechnungssteuer einen «brutal» hohen Satz von 35 Prozent. Hat die Überwälzung nicht stattgefunden, ist die Leistung «ins Hundert» aufzurechnen, was sogar zu einer Belastung von 54 Prozent1 führt.
Den Anspruch auf Rückerstattung der Verrechnungssteuer verwirken natürliche und juristische Personen, welche mit der Verrechnungssteuer belastete Einkünfte oder die entsprechenden Vermögen nicht deklarieren2 bzw. nicht verbuchen3. Im Bereich der Erträge aus beweglichem Kapitalvermögen wird die Steuerpflicht grundsätzlich durch die Steuerablieferung mit Überwälzung und anschliessendem Rückerstattungsverfahren und ausnahmsweise durch Meldung erfüllt.
In der Regel gelten die mit der Verrechnungssteuer belasteten Einkünfte als ordnungsgemäss deklariert, wenn der Steuerpflichtige sie der kantonalen Steuerbehörde vor Eintreten der Rechtskraft der Veranlagung bekannt gegeben hat. Bei einer Deklaration zu einem späteren Zeitpunkt wird der Rückerstattungsanspruch verweigert, und zwar unabhängig davon, ob es zur Durchführung eines Nachsteuer- oder Strafverfahrens kommt. Erfolgt die Deklaration jedoch vorsätzlich oder gar in Betrugsabsicht nicht rechtzeitig, kann der Rückerstattungsanspruch bereits vor Rechtskraft der Veranlagung verweigert werden.
Durch das Inkrafttreten des Kreisschreibens Nr. 40 im Jahre 2014 wurde eine Verschärfung der Verwirkung der Rückerstattung der Verrechnungssteuer erreicht. Den Anspruch auf Rückerstattung der Verrechnungssteuer verwirken natürliche Personen bereits aus nachfolgenden Gründen:
- Wenn erst «aufgrund einer Anfrage, Anordnung oder sonstigen Intervention der Steuerbehörden» deklariert wird, gilt dies nicht mehr als ordnungsgemäss.
- Blosse Nachlässigkeit oder Unbeholfenheit bei der Nichtdeklaration schützt nicht vor Verweigerung der Rückerstattung.
- Auch wenn Nichtdeklaration offensichtlich ist (beispielsweise Belege mit den Zinseinnahmen liegen bei, Betrag wurde jedoch nicht in die entsprechende Ziffer des Wertschriftenverzeichnisses eingetragen), verpflichtet das die Steuerbehörde nicht zur Nachforschung.
Bezüglich der Handhabung von geldwerten Leistungen sowohl an natürliche als auch an juristische Personen hat sich das Kreisschreiben Nr. 40 nicht konkret geäussert. Damit überhaupt eine geldwerte Leistung angenommen werden kann, müssen nachfolgende Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein:
- Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung
- Leistung an einen Aktionär oder eine diesem nahestehende Person
- Rechtsgrund liegt ausschliesslich im Beteiligungsverhältnis
- Erkennbarkeit für die Organe
Gemäss BGer 2C_85/2015 vom 16. September 2015 sind die gesetzlichen Grundlagen, deren Verletzung Art. 23 VStG sanktioniert, namentlich die in Art. 124 Abs. 2 und Art. 125 Abs. 1 DBG enthaltenen Deklarationspflichten. Der Steuerpflichtige muss seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse selber deklarieren, um seinen Anspruch auf Rückerstattung der erhobenen Verrechnungssteuer zu wahren. Dadurch ist bei der Nichtdeklaration einer geldwerten Leistung der Rückerstattungsanspruch verwirkt. Einzige Möglichkeiten einer allfälligen Rückerstattung bestehen bei Bewertungsfragen.
Am 28. Juni 2017 hat nämlich der Bundesrat beschlossen, die Änderung des Verrechnungssteuergesetzes in die Vernehmlassung zu schicken. Woher kommt dieser plötzliche Sinneswandel zu einer grosszügigeren Praxisanwendung? Diese Einsicht ist einer Motion «keine Verwirkung bei der Verrechnungssteuer»4 zu verdanken, welche von Frau Nationalrätin Daniela Schneeberger eingereicht worden ist. Mit dieser Motion sollte insbesondere der verschärften Praxis gemäss den zwei BGE-Urteilen BGE 2C_95/2011 vom 11. Oktober 2011 und BGE 2C_80/2012 vom 16. Januar 2013 entgegengewirkt werden.
Der Bundesrat will das Bundesgesetz über die Verrechnungssteuer (VStG) insofern ändern, dass eine fahrlässig unterlassene Deklaration in der Steuererklärung bis zum Ablauf der Einsprachefrist nachgeholt werden kann. Damit verwirkt der Rückerstattungsanspruch nicht mehr, wenn
- die steuerpflichtige Person von sich aus nachdeklariert,
- die Steuerbehörde das Versäumnis entdeckt und die steuerpflichtige Person darauf aufmerksam gemacht hat,
- die Steuerbehörde den nicht deklarierten Betrag von sich aus aufrechnet.
Bis 2014 war dies bereits möglich. Seither hat das Bundesgericht die Praxis jedoch verschärft.
Der Bundesrat will diese grosszügigere Regelung im Gesetz verankern. Dabei würde Art. 23 des VStG wie folgt angepasst:
Die Verwirkung tritt nicht ein, wenn die Einkünfte oder Vermögen in der Steuererklärung fahrlässig nicht angegeben wurden und vor Ablauf der Frist für die Einsprache gegen die Veranlagung:
a) nachträglich angegeben werden oder
b) von der Steuerbehörde von sich aus zu den Einkünften oder Vermögen hinzugerechnet werden.
Die unangebrachte Verschärfung würde mit diesen Massnahmen aufgehoben.
Durch diesen Beschluss des Bundesrats soll das Bundesgesetz über die Verrechnungssteuer (VStG) so geändert werden, dass eine bloss fahrlässig unterbliebene Deklaration in der Steuererklärung noch bis zum Ablauf der Einsprachefrist nachgeholt werden kann. Die Botschaft der Vernehmlassung zur Verrechnungssteuerrevision liegt vor und sollte aufgrund der Dringlichkeit im ersten Quartal 2018 verabschiedet werden. Abhängig von der Dauer der parlamentarischen Beratung kann die Revision frühestens per 2019 in Kraft gesetzt werden. Auch würde Artikel 70 d eine Übergangsbestimmung vorsehen, welche festlegt, dass Artikel 23 Abs. 2 auch auf steuerbare Leistungen anwendbar ist, die zwischen dem Beginn des Kalenderjahrs vor Inkrafttreten der Änderung vom … und dem Zeitpunkt des Inkrafttretens fällig werden.
- Die geldwerte Leistung beträgt 100 000 Franken. Die Gesellschaft kann nun die Verrechnungssteuer von 35 000 Franken deklarieren und diesen Betrag an die Eidg. Steuerverwaltung überweisen. Dem Aktionär werden nur 65 000 Franken ausbezahlt. Verzichtet die Gesellschaft auf eine Überwälzung an den Aktionär, erbringt sie diesem eine zusätzliche Leistung. Sie muss die 100 000 Franken als Nettoleistung (65%) deklarieren. Die Bruttoleistung beträgt 153 846 Franken (100 000 / 65 × 100).
- Art. 23 VStG: Verwirkung (bei natürlichen Personen)
«Wer mit der Verrechnungssteuer belastete Einkünfte oder Vermögen, woraus solche Einkünfte fliessen, entgegen gesetzlicher Vorschrift der zuständigen Steuerbehörde nicht angibt, verwirkt den Anspruch auf Rückerstattung der von diesen Einkünften abgezogenen Verrechnungssteuer.» = sog. Deklarationsklausel. - Art. 25 Abs. 1 VStG: Verwirkung (bei juristischen Personen)
«Juristische Personen, Handelsgesellschaften ohne juristische Persönlichkeit und ausländische Unternehmen mit inländischer Betriebsstätte, welche die mit der Verrechnungssteuer belasteten Einkünfte nicht ordnungsgemäss als Ertrag verbuchen, verwirken den Anspruch auf Rückerstattung der von diesen Einkünften abgezogenen Verrechnungssteuer.» = sog. Verbuchungsklausel. - Siehe auch Eidgenössisches Finanzdepartement EFD, Vernehmlassungsverfahren zum Bundesgesetz über die Verrechnungssteuer (Verrechnungssteuergesetz; VStG); Erläuternder Bericht; 28. Juni 2017.