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Bis zum Ende des Jahres 2014 müssen die Bestimmungen des revidierten Buchführungs- und Rechnungslegungsrechts zwingend umgesetzt sein. Im vorliegenden Beitrag skizziert der Autor zehn mögliche Problemfelder für die Praxis, die bei der Umsetzung problematisch sein könnten.

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1. Einleitung
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Mit Beginn des Monats März sind es (nur) noch zehn Monate, bis in der Schweiz definitiv nur noch die Bestimmungen des revidierten Buchführungs- und Rechnungslegungsrechts angewandt werden dürfen (für die Konzernrechnung kann noch ein Jahr länger zugewartet werden). Obwohl der Gesetzgeber in der Vorlage explizit davon abgesehen hat, die relevanten Vorjahreszahlen anzupassen (Art. 2 Abs. 4 der Übergangsbestimmungen vom 23.12.2011) und somit für 2014 noch kein zahlenmässiger Anpassungsbedarf besteht,1 ist es sehr empfehlenswert, sich spätestens jetzt mit den Neuerungen auseinanderzusetzen. Der vorliegende Beitrag skizziert zehn mögliche Problemfelder für die Praxis. Es wird weder der Anspruch erhoben, damit alle möglichen Problemfelder abzubilden, noch soll mit diesem Beitrag suggeriert werden, dass die ausgewählten Themen für jede/n Anwender/in die schwierigsten Problemfelder sind. Ebenso wenig kann ein Konnex zwischen der hier gewählten Reihenfolge sowie den verbleibenden Monaten bis zum Jahresende 2014 erstellt werden.

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2. Problemfeld 1: ­Eingeschränkte Buchführungspflicht
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Kleinstunternehmen mit einem Umsatz von weniger als CHF 500 000 können theoretisch prüfen, ob sie auf die Einhaltung der neuen Bestimmungen zur Rechnungslegung verzichten und die Buchführungsvorschriften nur sinngemäss anwenden wollen (Milchbüchleinrechnung) – es sei denn, ihre Rechtsform entspräche derjenigen einer juristischen Person; dann ist kein Verzicht möglich. Die Buchführungspflicht ist neu nicht mehr mit der Pflicht zum Handelsregistereintrag verknüpft. Bei der Prüfung dieser Erleichterungsmöglichkeit ist die Berechnung der massgeblichen Umsatzerlöse gem. Art. 957 Abs. 1 OR unter Berücksichtigung sämtlicher Erträge (auch der nicht betrieblichen Komponenten), jedoch exklusive Mehrwert­steuer, vorzunehmen; saldobesteuerte Umsätze sind umzurechnen.2 Aus fachlicher Sicht ist nach Meinung des Autors unbedingt davon abzuraten, auf eine ordentliche Buchführung zu verzichten, v.a. auch im Hinblick auf die steuerrechtlichen Anforderungen.

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3. Problemfeld 2: Grundsätze ordnungsgemässer Buchführung
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Art. 957a Abs. 2 Ziff. 1 – 5 OR formuliert erstmals fünf explizite Grundsätze bezüglich ordnungsgemässer Buchführung. Die Liste im Gesetz ist weder abschliessend zu verstehen noch komplett neu; sie entspricht heutiger Lehre und Rechtsprechung. Neu ist, dass die elektronische Buchführung explizit zugelassen wird. Art. 957a Abs. 4 und 5 OR erlauben zudem neu auch die Verwendung der englischen Sprache sowie eine andere Währung als Schweizer Franken (z.B. USD oder EUR). Damit verbundene Umrechnungsprobleme sind gesondert zu analysieren und in der Fachwelt momentan Gegenstand intensiver Analysen und Diskussionen.

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4. Problemfeld 3: Kontierung
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Art. 959a OR schreibt die Mindestgliederung der Bilanz, Art. 959b OR diejenige der Erfolgsrechnung vor. Damit werden gewisse Konten und Bezeichnungen vom Gesetzgeber als Minimum verlangt. Eine für die Praxis zentrale Konkretisierung bietet der neu aufgelegte Kontenrahmen KMU.3 In der Praxis ist darauf zu achten, dass sowohl die neuen Gliederungsvorschriften als auch Bezeichnungen umgesetzt werden; von besonderer Bedeutung ist dabei auch die neue Unterteilung des Eigenkapitals in Grund- / Gesellschafts- bzw. Stiftungskapital, zuzüglich Kapital- und Gewinnreserven (gesetzlich / freiwillig). Die Erfassung eigener Kapitalanteile (z.B. eigene Aktien) ist neu als Abzugsposition im Eigenkapital vorgesehen; im Falle eines Erwerbs eigener Aktien durch voll beherrschte Tochtergesellschaften fehlt eine konsistente Lösung; diesbezüglich dürfte auch nach 2014 die bisherige Verbuchungspraxis anwendbar sein.

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5. Problemfeld 4: Aktivierungspflicht / -möglichkeit
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Art. 959 Abs. 2 OR definiert erstmals, was ein Aktivum ist, und postuliert eine Aktivierungspflicht für diejenigen Positionen, welche der Definition entsprechen. Im Umkehrschluss wird die Aktivierung übriger Positionen verboten. In der Praxis führt dies beispielsweise dazu, dass Gründungs- und Kapitalerhöhungskosten (Art. 664 OR in der Fassung bis 31.12.2012) nicht mehr bilanziert werden dürfen; sie sind per 1.1.2015 erfolgswirksam abzuschreiben; gemäss Ausführung der Schweizerischen Steuerkonferenz (SSK) handelt es sich dabei um geschäftsmässig begründeten Aufwand.4

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6. Problemfeld 5: Stille Reserven
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Aus heutiger Sicht erlaubt das revidierte Recht nach wie vor die Bildung und Auflösung stiller Willkür- und Ermessensreserven. Nach wie vor muss eine Netto-Auflösung dann offengelegt werden, wenn dadurch das ausgewiesene Ergebnis «wesentlich günstiger» dargestellt wird (Art. 959c Abs. 1 Ziff. 3 OR). Bestände an stillen Reserven müssen auch nach dem 1.1.2015 nicht offengelegt werden. Für gewisse Unternehmen ist gem. Art. 962 OR eine Pflicht eingeführt worden, einen zusätzlichen Abschluss nach anerkanntem Standard (z.B. Swiss GAAP FER) zu erstellen; ein solcher Abschluss darf keine stillen Willkürreserven mehr enthalten (True & Fair View). Ein Zahlenwerk gemäss FER / IFRS u.Ä. ersetzt den OR-Abschluss jedoch nicht und untersteht auch nicht der Genehmigungspflicht durch das oberste Organ, muss jedoch diesem offengelegt werden. Steuerlich massgeblich bleibt in jedem Fall der OR-Abschluss.

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7. Problemfeld 6: Ereignisse nach dem Bilanzstichtag
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Neu muss gem. Art. 959c Abs. 2 Ziff. 13 OR auf wesentliche Ereignisse nach dem Bilanzstichtag hingewiesen werden. Gemäss Botschaft des Bundesrats sind damit sowohl positive als auch negative Ereignisse gemeint, welche zwischen dem Bilanzstichtag (z.B. 31.12.2014) und der Genehmigung des Abschlusses durch das zuständige Organ (z.B. Genehmigung im Rahmen einer Verwaltungsratssitzung am 15.3.2015) eingetreten sind. Zu unterscheiden ist dabei zwischen wertbeeinflussenden Ereignissen, die eine zahlenmässige Auswirkung auf den Abschluss haben, und werterhellenden Ereignissen, die lediglich im Anhang aufzuführen sind und ggf. durch finanzielle Schätzungen ergänzt werden müssen.

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8. Problemfeld 7: Durchführung einer Risikobeurteilung
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Art. 961c Abs. 2 Ziff. 2 OR verlagert die Pflicht zur Durchführung einer Risikobeurteilung in den Lagebericht (nicht mehr wie bisher im Anhang). Es sind jedoch nur «grössere Unternehmen» verpflichtet, einen Lagebericht zu erstellen; im Umkehrschluss ist formell die Durchführung einer Risikobeurteilung für die übrigen Unternehmen nicht (mehr) nötig. Es ist fraglich, ob in der Praxis darauf integral verzichtet werden kann: Nur eine seriöse Risikobeurteilung (Planungen, Analyse von Märkten / Produkten, Konkurrenz- und Wettbewerbsanalyse u.ä.) vermag aufzuzeigen, ob die Bilanzierung zu Fortführungswerten (Going Concern) angebracht ist. Diese Feststellung ist gerade bei der Durchführung einer ein­geschränkten Revision von besonderer Bedeutung.

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9. Problemfeld 8: Eventualverbindlichkeiten
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Die Anwender müssen gem. Art. 959c Abs. 2 Ziff. 8 OR offenlegen, in welchem Umfang sie Sicherheiten gegenüber Dritten bestellt haben. Neu ist zudem nötig offenzulegen, wenn aus solchen Zusagen eine rechtliche oder tatsächliche Verpflichtung eintreten könnte (Art. 959c Abs. 2 Ziff. 10 OR), eine solche aber noch nicht zur Bildung einer Rückstellung geführt hat (Eintretenswahrscheinlichkeit des Ereignisses ist somit noch kleiner als 50 %). In der Praxis dürfte die konsistente Schätzung der Wahrscheinlichkeiten (sowie deren Validierung) eine grosse Herausforderung darstellen. Zu achten ist im Weiteren darauf, dass die neue Bestimmung des Gesetzes kaum erfüllt sein dürfte, wenn bloss eine Zahl genannt wird. Nötig ist vielmehr eine kurze Beschreibung des Sachverhalts, aus welcher klar wird, warum der Mittelabfluss unwahrscheinlich ist oder nicht quantifiziert werden kann.

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10. Problemfeld 9: Ausnahmen vom Anschaffungskostenprinzip
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Analog der bisherigen Regulierung wird von einer Bewertung zu Anschaffungskosten (Herstellungskosten) bei Vorräten (Produkten) dann ­abgewichen, wenn der Veräusserungswert (abzüglich Veräusserungskosten) am Bilanzstichtag geringer als die Anschaffungs- / Herstellungskosten ist (Niederstwertprinzip, Art. 960c Abs. 1 OR). Das neue Recht erlaubt im Weiteren gem. Art. 960b OR, Aktiven mit «beobachtbaren Marktpreisen» zum Marktpreis / Kurs am Bilanzstichtag zu bewerten. Der Wortlaut des Gesetzes beschränkt diese Formulierung nicht auf bestimmte Kategorien von Aktiven (z.B. nur Umlaufvermögen) und verwendet zudem wenig ­klare Bestimmungen wie z.B. «anderer beobachtbarer Marktpreis» oder «aktiver Markt». Bundesrätin Sommaruga selber hat die von den Räten beschlossene Formulierung als «nicht justiziabel» bezeichnet. Gerade deshalb ist eine enge Auslegung vermutlich die beste Lösung für die Praxis; eine Beschränkung nur auf börsenkotierte Wertschriften dürfte geringe Pro­bleme verursachen.

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11. Problemfeld 10: Querulanten
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Von vielen Anwendern werden vermutlich die vom Gesetzgeber neu an diversen Stellen vorgesehenen Bestimmungen zum Minderheitenschutz unterschätzt. So dürfen z.B.

  • 10 % der Aktionäre / Genossenschafter bzw. 20 % der Vereinsmitglieder einen Abschluss gemäss den Vorschriften für grössere Unternehmen verlangen;
  • 20 % der Aktionäre, 10 % der Genossenschafter bzw. 20 % der Vereinsmitglieder einen Abschluss gemäss anerkanntem Standard verlangen.

Ähnliche Möglichkeiten bestehen bezüglich Konzernrechnung / Konzernrechnung nach anerkanntem Standard. In denjenigen Fällen, wo ein Mitglied persönlich für Verbindlichkeiten der Gesellschaft haftet oder einer Nachschusspflicht unterliegt, kann dieses Mitglied bereits mit seiner eigenen (einzigen) Stimme Entsprechendes verlangen. Die Organe der Gesellschaften werden gut damit beraten sein, sich darauf vorzubereiten, dass entsprechende Anträge auch eingesetzt werden können, um die Verantwortlichen «auf Trab» zu halten und ggf. auch schikanös zu behandeln und damit die gut gemeinte Intention des Gesetzgebers torpedieren können.

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12. Fazit und Ausblick
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Der Umstand, dass die Aktienrechtsrevision stockt, das revidierte Buchführungs- und Rechnungslegungsrecht aber schon in Kraft gesetzt wurde, bedeutet für die Anwender eine doppelte Herausforderung: Einerseits bedarf es fundierter Kenntnisse über die neuen Bestimmungen zur Buchführung und Rechnungslegung sowie den Transfer der «alten» Bestimmungen ins neue Recht; andererseits muss genau darauf geachtet werden, welche Widersprüche zwischen den beiden Gebieten bestehen und wie mit diesen umgegangen werden muss. So sind z.B. die Vorschriften bezüglich eigener Aktien aus dem Aktienrecht nur noch für den Fall des Erwerbs der Titel via Tochtergesellschaft anwendbar; die Vorschriften ­bezüglich Aufwertungsreserve (Art. 670 OR) und Bilanzgewinn sind uneingeschränkt anzuwenden, obwohl die entsprechenden Konti im Rechnungslegungsrecht nicht vorgesehen sind.

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  1. Die Nutzung dieser Erleichterungsbestimmung bedingt jedoch eine Erwähnung im Anhang (so ausdrücklich Art. 2 Abs. 4 Übergangsbestimmungen), dies obwohl in den Vorschriften über den Anhang (Art. 959c OR und 961a OR) keine diesbezügliche Pflicht erwähnt wird.
  2. Vgl. ESTV (2010): Mehrwertsteuer-Praxis Info-06, S. 7.
  3. Vgl. Sterchi / Mattle / Helbling: Kontenrahmen KMU, ­Zürich 2013.
  4. Vgl. SSK (2013): Analyse des Vorstands zum neuen Rechnungslegungsrecht, S. 3 /4.
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